Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IB 456



101 Ib 456

75. Urteil vom 19. Dezember 1975 i.S. B. gegen Eidg. Steuerverwaltung
Regeste

    Warenumsatzsteuer: Haftung des ausgeschiedenen Teilhabers für Schulden
der Kollektivgesellschaft (Art. 12 Abs. 4 WUStB; Art. 568, 576 ff. OR).

    1. Anwendung des Art. 568 Abs. 3 OR auf den Fall, wo nur zwei
Gesellschafter vorhanden waren und der eine nach dem Ausscheiden des andern
das Geschäft gemäss Art. 579 OR allein fortsetzt: Der Ausgeschiedene kann
für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft erst dann persönlich belangt
werden, wenn er selbst in Konkurs fällt, oder wenn der Fortsetzende das
Geschäft aufgibt, in Konkurs gerät oder erfolglos betrieben wird. Das
Ausscheiden des einen Gesellschafters gilt nicht als Auflösung der
Gesellschaft im Sinne des Art. 568 Abs. 3 OR. Dem erfolglosen Ausgang einer
Betreibung ist der Nachlassvertrag mit Dividende nicht gleichzustellen
(Erw. 2).

    2. Beschränkt der von einer Kollektivgesellschaft erlangte
Nachlassvertrag auch die Haftung der Gesellschafter? Hat der
Nachlassvertrag, den der das Geschäft nach Art. 579 OR Fortsetzende
abschliesst, dieselbe Wirkung für den Ausgeschiedenen? Fragen offengelassen
(Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- A betrieb als Inhaber einer Einzelfirma ein Gewerbe. Er
vereinigte sich dann mit B in der Kollektivgesellschaft A & B, die das
Geschäft übernahm. Nach dem Ausscheiden des Gesellschafters B setzte
A das Geschäft im Sinne des Art. 579 OR allein fort. Er erlangte eine
Nachlassstundung. Im Nachlassverfahren gab die Eidg. Steuerverwaltung
(EStV) eine Forderung gegenüber der Kollektivgesellschaft für rückständige
Warenumsatzsteuern im Betrage von Fr. 9'867.45 ein. A strebte einen
Nachlassvertrag mit einer Dividende von 30% an. Die EStV stimmte dem
Vorschlag nicht zu; der Nachlassvertrag kam indes zustande und wurde vom
Gericht bestätigt. Schliesslich belangte die EStV B für ihre Forderung. In
einem Einspracheentscheid hielt sie am Anspruch ihm gegenüber fest, unter
Abzug eines Anteils von Fr. 990.10 an einer von A bezahlten ersten Rate
der Nachlassdividende.

    B ficht den Einspracheentscheid mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
an. Er beantragt, es sei festzustellen, dass er für die im Entscheid
bestätigte Forderung erst dann persönlich belangt werden könne, wenn
die Voraussetzungen des Art. 568 Abs. 3 OR vorlägen, und dass sein
Ausscheiden aus der Kollektivgesellschaft nicht als Auflösung im Sinne
dieser Bestimmung gelte; eventuell sei festzustellen, dass die Forderung
unter den Nachlassvertrag der Firma A falle und daher ihm gegenüber nur
in der Höhe der Nachlassdividende von 30% geltend gemacht werden könne.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 12 Abs. 4 WUStB haftet der Teilhaber einer
Kollektivgesellschaft für die Erfüllung ihrer auf diesem Beschluss
beruhenden Verbindlichkeiten im Rahmen seiner Haftbarkeit für die
Gesellschaftsschulden. Diese Bestimmung verweist auf die einschlägigen
Vorschriften des OR. Massgebend ist vorab Art. 568 OR, der in
Abs. 1 bestimmt, dass die Gesellschafter für alle Verbindlichkeiten
der Kollektivgesellschaft solidarisch und mit ihrem ganzen Vermögen
einzustehen haben, und in Abs. 3 beifügt: "Der einzelne Gesellschafter
kann jedoch, auch nach seinem Ausscheiden, für Gesellschaftsschulden erst
dann persönlich belangt werden, wenn er selbst in Konkurs geraten oder
wenn die Gesellschaft aufgelöst oder erfolglos betrieben worden ist".

    Die EStV belangt den Beschwerdeführer als ehemaligen Teilhaber
der Kollektivgesellschaft A & B auf Grund des Art. 12 WUStB und des
Art. 568 OR für eine aus dem Warenumsatzsteuerbeschluss abgeleitete
Forderung gegenüber der Gesellschaft. Der Beschwerdeführer bestreitet
nicht, dass es sich um Gesellschaftsschulden handelt, und auch nicht,
dass die in Frage stehenden Steueransprüche vor seinem Ausscheiden aus
der Gesellschaft entstanden sind. Er erhebt jedoch Einwendungen, die den
Umfang seiner Haftung und den Beginn seiner Belangbarkeit betreffen. In
erster Linie hält er dafür, dass hier zur Zeit noch keine der in Art. 568
Abs. 3 OR erwähnten Voraussetzungen der Belangbarkeit des Gesellschafters
erfüllt sei. In zweiter Linie wendet er ein, die Forderung falle unter den
Nachlassvertrag der Firma A und könne daher ihm gegenüber auf jeden Fall
nur in der Höhe der Nachlassdividende von 30% geltend gemacht werden. Er
stellt demgemäss ein Haupt- und ein Eventualbegehren. Es entspricht
seinen Anträgen und ist angezeigt, dass vorab die Frage erörtert wird,
ob er nach Art. 568 Abs. 3 OR schon jetzt belangt werden könne.

Erwägung 2

    2.- a) Der Beschwerdeführer ist nicht in Konkurs geraten, und weder die
Kollektivgesellschaft A & B noch der das Geschäft seit dem Ausscheiden
des Mitgesellschafters fortsetzende Gesellschafter A sind erfolglos
betrieben worden. Der Nachlassvertrag mit Dividende (Prozentvergleich),
wie ihn A abgeschlossen hat, ist dem erfolglosen Ausgang einer Betreibung
nicht gleichzustellen; denn durch ihn wird nicht die Zahlungsunfähigkeit
des Schuldners im Sinne des Gesetzes dokumentiert. Dagegen stellt sich
die Frage, ob die Kollektivgesellschaft im Sinne des Art. 568 Abs. 3 OR
aufgelöst worden sei. Die EStV bejaht dies unter Berufung auf Art. 579
OR; sie nimmt an, der Beschwerdeführer sei für die Gesellschaftsschulden
belangbar geworden, weil die Gesellschaft infolge seines Ausscheidens
aufgelöst worden sei. Ein anderer Grund, aus dem die Gesellschaft
aufgelöst worden sein könnte, wird nicht genannt und kommt auch nicht in
Betracht. Jener Auffassung der EStV kann jedoch nicht zugestimmt werden,
weil sie auf einer Verkennung des Sinnes von Art. 568 Abs. 3 und Art. 579
OR beruht.

    b) Art. 568 Abs. 3 OR sagt deutlich, dass der einzelne
Gesellschafter "auch nach seinem Ausscheiden" erst dann persönlich für
Gesellschaftsschulden belangt werden kann, wenn er selbst in Konkurs
geraten oder wenn die Gesellschaft aufgelöst oder erfolglos betrieben
worden ist. Der ausscheidende Gesellschafter wird also nicht schon zufolge
seines Austritts belangbar, sondern erst, wenn eine der in Art. 568
Abs. 3 OR genannten besonderen Voraussetzungen, zu denen die Auflösung der
Gesellschaft gehört, erfüllt ist. Das Ausscheiden eines Gesellschafters
gilt nicht als Auflösung im Sinne dieser Bestimmung (HARTMANN, N. 12 und 19
zu Art. 568 OR; SIEGWART, N. 18 zu Art. 568/569 OR). Trotz des Ausscheidens
eines oder mehrerer Teilhaber kann die Gesellschaft fortgesetzt werden,
wenn mindestens zwei Gesellschafter übriggeblieben sind. Eine solche
Fortsetzung ist in den Fällen statthaft, die in den Art. 576-578 OR
erwähnt sind. Nach Art. 576 kann sie durch Vereinbarung der Gesellschafter
herbeigeführt werden. Art. 577 sieht vor, dass dann, wenn die Auflösung
der Gesellschaft aus wichtigen Gründen verlangt werden könnte und diese
vorwiegend in der Person eines oder mehrerer Gesellschafter liegen,
der Richter auf deren Ausschliessung erkennen kann, sofern alle übrigen
Gesellschafter es beantragen. Fällt ein Gesellschafter in Konkurs oder
verlangt einer seiner Gläubiger, der dessen Liquidationsanteil gepfändet
hat, die Auflösung der Gesellschaft, so können nach Art. 578 die übrigen
Gesellschafter ihn ausschliessen.

    c) Die Art. 576-578 OR sind ihrem Wortlaut nach auf
Kollektivgesellschaften mit mehr als zwei Teilhabern zugeschnitten.
Sie sehen vor, dass die Gesellschaft von den "übrigen Gesellschaftern",
also von einer Mehrzahl, fortgesetzt werden kann. Die Gesellschaft als
solche kann nicht weiterbestehen, wenn sich in ihr nur zwei Personen
vereinigt haben und eine der beiden ausscheidet; denn nach Art. 552 OR ist
die Kollektivgesellschaft eine Verbindung von mindestens zwei Personen. Das
Bedürfnis nach Erhaltung und Fortsetzung des Unternehmens kann aber
auch in den Fällen bestehen, wo einer von nur zwei Gesellschaftern
ausscheidet. Diesen Fall betrifft Art. 579 OR. Er bestimmt, dass der
Gesellschafter, der keine Veranlassung zur Auflösung gegeben hatte, "unter
den gleichen Voraussetzungen das Geschäft fortsetzen" kann (Abs. 1), und
dass der Richter das gleiche verfügen kann, wenn die Auflösung wegen eines
vorwiegend in der Person des einen Gesellschafters liegenden wichtigen
Grundes gefordert wird (Abs. 2). Diese Bestimmungen beziehen sich auf die
vorausgehenden Art. 578 (Ausschliessung durch die übrigen Gesellschafter)
und 577 (Ausschliessung durch den Richter); doch versteht sich von selbst
und ist anerkannt, dass eine Fortsetzung des Geschäfts im Sinne des
Art. 579 - gleich wie die Fortsetzung der Gesellschaft gemäss Art. 576 -
auch durch Vereinbarung der Gesellschafter beschlossen werden kann (BGE 75
I 274 f.; HARTMANN N. 5, SIEGWART N. 2 zu Art. 579 OR). Die Fortsetzung
des "Geschäfts" durch den einen Gesellschafter nach dem Ausscheiden des
andern wird nach Art. 579 OR der Fortsetzung der Gesellschaft durch die
"übrigen" Gesellschafter im wesentlichen gleichgestellt; das ergibt
sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung und ihrem Zusammenhang mit den
Art. 576-578, 580 und 581 OR, die mit ihr im Unterabschnitt "C. Ausscheiden
von Gesellschaftern" zusammengefasst sind.

    Demnach erwirbt der das Geschäft gemäss Art. 579 OR Fortsetzende das
Geschäftsvermögen nicht neu, sondern es verbleibt ihm, d.h. es geht ohne
weiteres, durch Anwachsung, in sein Alleinvermögen über (BGE 75 I 275, 81
II 362; HARTMANN N. 7, SIEGWART N. 1 zu Art. 579 OR). Der ausgeschiedene
zweite Gesellschafter wird nach denselben Grundsätzen abgefunden, die für
das Ausscheiden aus einer fortbestehenden Gesellschaft gelten (Art. 580
OR). Aber auch seine Belangbarkeit ist an die gleichen Voraussetzungen
geknüpft wie die des Gesellschafters, der aus einer von den übrigen
Gesellschaftern fortgesetzten Gesellschaft ausscheidet; sie tritt nicht
schon infolge seines Ausscheidens ein, sondern erst, wenn er selbst in
Konkurs fällt, oder wenn der Fortsetzende das Geschäft aufgibt, in Konkurs
gerät oder erfolglos betrieben wird (HARTMANN N. 11, SIEGWART N. 7 zu
Art. 579 OR). Wohl wird die Gesellschaft als solche aufgelöst, wenn nur
zwei Gesellschafter vorhanden waren und einer von ihnen ausscheidet;
aber auch in diesem Fall gilt das Ausscheiden nicht als Auflösung im
Sinne von Art. 568 Abs. 3 OR, weil das Geschäft eben fortgesetzt wird.

    d) Im vorliegenden Fall ist - offenbar auf Grund einer Vereinbarung
- der eine Gesellschafter ausgeschieden und das Geschäft vom andern
im Sinne des Art. 579 OR fortgesetzt worden. Der Ausgeschiedene ist
nicht in Konkurs gefallen, und der Fortsetzende hat weder das Geschäft
aufgegeben, noch ist er seinerseits in Konkurs geraten oder erfolglos
betrieben worden. Der Ausgeschiedene kann daher nach Art. 568 Abs. 3 OR
für die Gesellschaftsschulden bis auf weiteres nicht persönlich belangt
werden. Das in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestellte Hauptbegehren
erweist sich somit als begründet.

Erwägung 3

    3.- Nach Art. 303 SchKG verliert ein Gläubiger infolge eines
Nachlassvertrages, dem er nicht zugestimmt hat, seine Rechte gegen
Mitschuldner, Bürgen und Gewährspflichtige nicht. Die EStV hat dem von
A, der das gesellschaftliche Unternehmen fortsetzt, abgeschlossenen
Nachlassvertrag nicht zugestimmt. Indes nehmen verschiedene Autoren an,
dass der von einer Kollektivgesellschaft erlangte Nachlassvertrag die
Gesellschafter von ihrer Haftung über die Nachlassquote hinaus befreie
(HARTMANN, N. 14 zu Art. 570 OR; SIEGWART, N. 24 zu Art. 568/569 OR; im
gleichen Sinne JAEGER, der immerhin verlangt, dass der Nachlassvertrag
mit allen Gesellschaftern abgeschlossen werden müsse, N. 1 zu Art. 293
SchKG). Das Bundesgericht hat in älteren Urteilen dieselbe Auffassung
vertreten (BGE 32 II 478, 37 I 160, 45 II 301, 48 III 247); doch hat es
in einem neueren Entscheid offengelassen, ob an dieser Rechtsprechung
festgehalten werden könne (BGE 62 III 133 f.). Die Frage braucht auch
hier nicht geprüft zu werden. Die EStV bejaht sie zwar, macht aber unter
Berufung auf SIEGWART (N. 24 zu Art. 568/569 OR) geltend, der nicht von
der Gesellschaft, sondern vom Übernehmen des gesellschaftlichen Vermögens
abgeschlossene Nachlassvertrag habe keine befreiende Wirkung für den
ausgeschiedenen Gesellschafter. Auch hiezu braucht in diesem Urteil nicht
Stellung genommen zu werden. Es genügt festzustellen, dass die EStV den
Beschwerdeführer für die im Streite liegende Schuld einstweilen nicht
persönlich belangen kann. In welchem Umfang er gegebenenfalls hiefür
in Anspruch genommen werden könnte, mag heute dahingestellt bleiben.
Sein Eventualbegehren, das sich auf diese Frage bezieht, muss nicht
beurteilt werden, da sein Hauptbegehren geschützt wird.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid
aufgehoben.