Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IB 301



101 Ib 301

54. Auszug aus dem Urteil vom 17. Oktober 1975 i.S. Wegona AG Basel gegen
Regierungsrat des Kantons St. Gallen Regeste

    Gewässerschutz, Baubewilligung. BG vom 8. Oktober 1971 (GSchG).

    Allgemeine Gewässerschutzverordnung des Bundesrates vom 19. Juni
1972/6. November 1974 (AGSchV).

    1. Verhältnis zwischen Art. 19 und 20 GSchG, Auslegung des ungenau
gefassten Art. 20. Begriff der Bauzone im Sinne des GSchG: Das in der
Zonenordnung der Gemeinde ausgeschiedene "übrige Gemeindegebiet" fällt
nicht darunter, obwohl das kantonale Recht dort nicht nur der Land-
und Forstwirtschaft oder öffentlichen Interessen dienende, sondern unter
bestimmten Voraussetzungen auch andere Bauten zulässt (Bestätigung der
Rechtsprechung; Erw. 2a und b).

    2. Sachlich begründetes Bedürfnis (Art. 20 GSchG; Art. 27 Abs. 1 AGSchV
in der Fassung vom 6. November 1974). Im "übrigen Gemeindegebiet" dürfen
Wohnhäuser, deren Zweckbestimmung den beanspruchten Standort nicht bedingt,
nicht gebaut werden, selbst wenn sie an eine Kanalisation angeschlossen
werden könnten (Erw. 2c).

Sachverhalt

    A.- Die politische Gemeinde Eggersriet (SG) hat am 16.  Dezember 1970
ein Baureglement mit Zonenplan erlassen. Für den zur Gemeinde gehörenden
Weiler Fürschwendi gelten die Vorschriften der Wohn- und Gewerbezone
WG 2. Das den Weiler umgebende Areal ist zum "übrigen Gemeindegebiet"
geschlagen. In diesem Gebiet sind nach Art. 21 des Baugesetzes des Kantons
St. Gallen vom 6. Juni 1972 Bauten und Anlagen zugelassen, die der land-
und forstwirtschaftlichen oder gartenbaulichen Nutzung, der Versorgung
mit Wasser oder Energie oder einem anderen öffentlichen Interesse dienen
(Abs. 1); immerhin können auch andere Bauten und Anlagen bewilligt
werden, wenn die Erschliessung, insbesondere die Abwasserreinigung,
sichergestellt ist, das Landschafts- und Ortsbild nicht beeinträchtigt
wird, die plangemässe bauliche Entwicklung der Gemeinde nicht gestört
wird und der Gemeinde keine Aufwendungen für die Erschliessung erwachsen
(Abs. 2).

    Die Wegona AG Basel kaufte am 10. Juni 1972 das 3583 m2 messende
Wiesengrundstück Nr. 887 in Eggersriet zum Preise von Fr. 75'243.--. Die
Parzelle ist amtlich auf Fr. 70'000.-- geschätzt, d.h. als Bauland. Sie
liegt nahe beim Weiler Fürschwendi im "übrigen Gemeindegebiet". Sie grenzt
im Süden an eine den Weiler durchquerende Strasse. Im Grundstück ist längs
der Strasse eine private Trinkwasserleitung verlegt. Nördlich führt in
einigen Metern Entfernung vom Grundstück eine private Kanalisationsleitung
vorbei.

    Die Wegona AG verlangte die Bewilligung für den Bau von vier
Einfamilienhäusern auf dem gekauften Land. Der Gemeinderat Eggersriet
lehnte das Gesuch ab. Auf Beschwerde der Gesuchstellerin hin schützte
der Regierungsrat des Kantons St. Gallen diese Verfügung gestützt auf
Art. 20 GSchG und Art. 27 Abs. 1 AGSchV in der Fassung vom 6. November
1974. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Wegona AG gegen den Entscheid
des Regierungsrates wird vom Bundesgericht abgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Art. 19 und 20 GSchG enthalten Grundsätze, die für die
Beurteilung von Gesuchen um Baubewilligungen massgebend sind. Art. 19
betrifft Bauten innerhalb der Bauzonen oder, wo solche fehlen, innerhalb
des im generellen Kanalisationsprojekt (GKP) abgegrenzten Gebietes. In
Art. 20 ist von Bauten ausserhalb des im GKP abgegrenzten Gebietes die
Rede, doch ist diese Bestimmung als Korrelat zu Art. 19 zu verstehen,
in dem Sinne, dass sie sich auf das Gebiet ausserhalb der Bauzonen oder,
wo solche fehlen, ausserhalb des Perimeters des GKP bezieht (BGE 101 Ib 66
E. 5a, 193 E. 2). Gemäss Art. 28 AGSchV dürfen in Gemeinden, die weder über
Bauzonen noch über ein GKP verfügen, Baubewilligungen nach Art. 19 GSchG
nur innerhalb des engeren Baugebietes, welches das erschlossene und vor
der Erschliessung stehende Land umfasst, erteilt werden. Bauten ausserhalb
bestehender Bauzonen dürfen nach Art. 20 GSchG nur bewilligt werden,
wenn der Gesuchsteller ein sachlich begründetes Bedürfnis nachweist.

    b) Die Gemeinde Eggersriet besitzt eine Zonenordnung mit Ausscheidung
von Bauzonen. Die Liegenschaft der Beschwerdeführerin befindet sich
im nicht eingezonten "übrigen Gemeindegebiet", also ausserhalb der
Bauzonen, wenn auch in der Nähe einer Wohn- und Gewerbezone, des Weilers
Fürschwendi. Nach dem st. gallischen Baugesetz ist allerdings das Bauen
im "übrigen Gemeindegebiet" nicht grundsätzlich untersagt. Dieses Gesetz
lässt dort auch Wohnhäuser zu, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt
sind; u.a. muss die Erschliessung, namentlich die Abwasserreinigung,
sichergestellt sein und dürfen der Gemeinde keine Erschliessungskosten
erwachsen. Indessen kann unter einer Bauzone im Sinne des GSchG nur ein
nach der massgebenden Planung für die Überbauung vorgesehenes Gebiet
verstanden werden. Es gilt, die Streubauweise einzudämmen; das ist ein
Ziel der neuen Gesetzgebung des Bundes über den Gewässerschutz. Würde
nicht eingezontes, dem "übrigen Gemeindegebiet" zugeteiltes Land deshalb,
weil dort nach dem kantonalen Recht ausnahmsweise auch Wohnhäuser gebaut
werden können, ebenfalls zur Bauzone im Sinne des GSchG gerechnet, so wäre
aber eine Streubauweise in weitem Ausmass möglich, sobald der Eigentümer
die Erschliessung auf eigene Kosten an die Hand nimmt. Damit würde die
Erreichung des raumplanerischen Zweckes der Art. 19 und 20 GSchG in Frage
gestellt. Es entspricht deshalb dem Sinne dieses Gesetzes, das "übrige
Gemeindegebiet" nicht als Bauzone zu betrachten (BGE 101 Ib 195 E. 2c).

    Auf das Bauvorhaben der Beschwerdeführerin ist daher Art. 20
GSchG anzuwenden, obwohl das Grundstück Nr. 887 offenbar weitgehend
erschlossen ist, insbesondere an eine in der Nähe vorbeiführende private
Kanalisationsleitung angeschlossen werden könnte.

    c) Die von der Beschwerdeführerin geplanten Bauten könnten somit nach
Art. 20 GSchG nur bewilligt werden, wenn für sie ein sachlich begründetes
Bedürfnis nachgewiesen wäre. Wann ein solches anzunehmen ist, bestimmt
Art. 27 AGSchV näher. Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Unrecht,
dass der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid vom 8. April 1975 auf
die neue Fassung des Art. 27 Abs. 1 AGSchV gemäss Novelle vom 6. November
1974, die am 1. Januar 1975 in Kraft getreten ist, abgestellt hat. Auch in
dieser Beziehung gilt der Grundsatz, dass das neue Recht auf alle Fälle,
die im Zeitpunkt seines Inkrafttretens hängig waren, anwendbar ist.
Übrigens sind durch die Revision vom 6. November 1974 die Anforderungen,
welche die ursprüngliche Fassung des Art. 27 Abs. 1 AGSchV hinsichtlich
des sachlich begründeten Bedürfnisses gestellt hatte, gelockert worden;
die Änderung wirkt sich also zugunsten der Gesuchsteller aus, so dass
diese durch die Anwendung des neuen Textes nicht beschwert sind.

    Nach der neuen Fassung des Art. 27 Abs. 1 AGSchV gilt das Bedürfnis
für eine Baute ausserhalb der Bauzonen als sachlich begründet, wenn
die Zweckbestimmung der Baute den beanspruchten Standort bedingt und dem
Bauvorhaben keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegenstehen. Die
Bauten, welche die Beschwerdeführerin erstellen will, sind aber nicht an
den vorgesehenen Standort gebunden. Sie fänden ihren rechtlich zulässigen
Platz innerhalb des eingezonten Baugebietes. Der Umstand, dass die
Beschwerdeführerin in Eggersriet nur über das Grundstück Nr. 887 verfügt,
ist kein Grund, anders zu entscheiden. Es ist allerdings begreiflich,
dass sie auf der von ihr zu einem Baulandpreis erworbenen Parzelle will
bauen können, doch vermag ihr subjektives Bedürfnis, auch wenn es dringend
ist, die erforderliche Standortgebundenheit nicht zu begründen. Ob dem
Bauvorhaben auch überwiegende öffentliche Interessen im Sinne des Art. 27
Abs. 1 AGSchV entgegenstehen, braucht nicht geprüft zu werden; denn ein
sachlich begründetes Bedürfnis fehlt ohnehin, weil die Zweckbestimmung
der Bauten den beanspruchten Standort nicht bedingt.

    Die - hier bestehende - Möglichkeit des Anschlusses an eine
Kanalisation ersetzt in keinem Fall die Erfordernisse für die Anerkennung
eines sachlich begründeten Bedürfnisses, wie Art. 27 Abs. 1 AGSchV
im letzten Satz ausdrücklich bestimmt. Diese Vorschrift ist eine
selbstverständliche Folge der gesetzlichen Ordnung; in der Tat ginge
die begrenzende Wirkung des in Art. 20 GSchG gezogenen Perimeters zu
einem erheblichen Teil verloren, wenn für die Bewilligung von Bauten
ausserhalb der Bauzonen schon die Möglichkeit des Anschlusses an eine
Kanalisation genügte (nicht veröffentlichtes Urteil Immobiliare Eralda
SA und Mitbeteiligte vom 27. Juni 1975, E. 2c).

    Ist demnach im vorliegenden Fall ein sachlich begründetes Bedürfnis
im Sinne von Art. 20 GSchG und Art. 27 AGSchV nicht nachgewiesen, so
verstösst der angefochtene Entscheid des Regierungsrates nicht gegen die
bundesrechtliche Ordnung des Gewässerschutzes.