Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IB 292



101 Ib 292

52. Urteil vom 17. Oktober 1975 i.S. Sozialdemokratische Partei der Schweiz
(SPS) gegen Generaldirektion PTT Regeste

    Postverkehrsgesetz: Beförderung von Drucksachen.

    Ein Anspruch darauf, dass eine Drucksache als "Drucksache von Parteien"
im Sinne von Art. 19 Abs. 2 lit. b PVG zum Vorzugstarif befördert wird,
besteht nur, wenn aus der in Frage stehenden Drucksache ersichtlich ist,
dass sie von einer Partei stammt.

Sachverhalt

    A.- In der Abstimmungskampagne zu einem neuen Verfassungsartikel
betreffend die Krankenversicherung, über den das Schweizervolk am
8. Dezember 1974 entschied, wurde eine vierseitige Aufklärungsschrift
durch die Post in die Haushaltungen verteilt. Die Schrift stammte vom
"Aktionskomitee für die Initiative Soziale Krankenversicherung", dessen
Mitglieder in der Mehrheit der SPS angehören. Die Post verlangte für den
Versand dieser Drucksache eine Taxe von je 7 Rappen. Die SPS hält dafür,
dass die Drucksache zum Vorzugstarif von je 5 Rappen zu befördern sei. Das
Bundesgericht schützt den Standpunkt der Post.

Auszug aus den Erwägungen:

                         Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das Postverkehrsgesetz unterscheidet zwischen einer gewöhnlichen
Drucksachentaxe (Art. 17), einer ermässigten Taxe für Drucksachen
ohne Adresse zur allgemeinen Vertragung (Art. 19) und einer noch
stärker ermässigten sog. Zeitungstaxe für abonnierte Zeitungen und
Zeitschriften (Art. 20 PVG). Die Taxe für Drucksachen ohne Adresse zur
allgemeinen Vertragung innerhalb des Zustellgebietes einer Poststelle
beträgt je nach Gewicht der Drucksache 7 bzw. 12 Rappen (Art. 19 Abs. 1
PVG). Drucksachen bis zu 50 g bei Sammelaktionen von gemeinnützigen
Institutionen schweizerischer oder kantonaler Bedeutung (lit. a) oder von
Parteien schweizerischer, kantonaler oder kommunaler Bedeutung (lit. b)
gelangen nach Art. 19 Abs. 2 PVG in den Genuss eines Sondertarifs; die
Beförderungstaxe beträgt nach Massgabe der vom Bundesrat zu erlassenden
Bestimmungen 5 Rappen.

    Der Bundesrat hat in Art. 56b PVV den Begriff der politischen Parteien
im Sinne von Art. 19 Abs. 2 lit. b PVG umschrieben. Als solche gelten die
politischen Parteien, die in der Bundesversammlung, in einem Kantons-
oder Gemeindeparlament oder in einer Gemeindeexekutive vertreten sind,
und ferner andere politische Vereinigungen, sofern sie körperschaftlich
organisiert sind und sich bei der Aufgabe der Drucksachen durch Vorweisung
der Statuten als politische Partei ausweisen (Abs. 1). Nicht als Parteien
gelten die für die Teilnahme an einer bestimmten Abstimmung oder Wahl
gebildeten Komitees, Gruppen oder Vereinigungen (Abs. 2). Damit ist aber
noch nicht positiv bestimmt, unter welchen konkreten Voraussetzungen
der Post zur Beförderung übergebene Publikationen als "Drucksachen
von Parteien" im Sinne von Art. 19 Abs. 2 lit. b PVG zu betrachten
sind. Namentlich ist die Frage offen, ob es genügt, dass eine Partei eine
Drucksache herstellen lässt und sie allenfalls auch finanziert oder ob
die gesetzliche Ordnung verlangt, dass die Partei sich als Herausgeber
und damit als Absender der Drucksache auch zu erkennen gibt.

    Diese Fragen standen in den parlamentarischen Beratungen 1972
zur Diskussion. Der Nationalrat beschloss vorerst - entgegen den
bundesrätlichen Anträgen und Stellungnahmen - eine Lösung, welche die
tarifliche Bevorzugung für "Drucksachen politischer, erzieherischer oder
religiöser Natur" vorsah (Amtl.Bull. N. 1972 S. 848). Auf die Einwände des
Ständerates hin, dass eine derartige Lösung, die nur auf den Charakter des
Erzeugnisses abstelle, das Postschalterpersonal überfordere und deswegen
administrativ undurchführbar sei (Amtl.Bull. N. 1972 S. 425), kam es im
Differenzbereinigungsverfahren zu der nunmehr geltenden Formulierung,
die nicht mehr auf die Natur der Drucksache abstellt, sondern auf den
Absender. So führte der nationalrätliche Kommissionssprecher aus, was die
Bevorzugung anbelange, wolle man jetzt vom Absender ausgehen. Zwar bringe
auch dies den Posthaltern eine gewisse Mehrarbeit, doch sei es einfacher,
Sendungen nach dem Absender zu differenzieren, als nach dem Inhalt der
Sendung (Amtl.Bull. N. 1972 S. 1009).

Erwägung 2

    2.- Der Vorzugstarif für "Drucksachen von Parteien" bezweckt
offensichtlich die posttarifarische Begünstigung der politischen
Parteien. Es sollen die in der Regel nur knapp dotierten Parteikassen
geschont und damit indirekt den Parteien die Erfüllung der für das
öffentliche Leben wichtigen politischen Aufgaben erleichtert werden. Unter
diesem Gesichtspunkt betrachtet sind alle von einer Partei stammenden
Drucksachen, welche die übrigen Voraussetzungen des Art. 19 PVG erfüllen,
tarifbegünstigt. Es kommt deshalb an sich nicht darauf an, ob eine
Partei in der Drucksache selbst ihre Urheberschaft und Herausgeberschaft
ausdrücklich kundtut. Art. 19 PVG unterwirft die Parteien jedenfalls keiner
eigentlichen Offenbarungspflicht; weder aufgrund der parlamentarischen
Beratungen noch vom Zweckgedanken der gesetzlichen Bestimmung her lässt
sich auf einen Zwang schliessen, die Parteien müssten zum Zwecke der
Vermeidung von Unklarheiten ihre Trägerschaft in klar ersichtlicher Weise
auf der Drucksache zum Ausdruck bringen. Anders verhält es sich, wenn eine
Partei die Drucklegung eines Erzeugnisses zwar veranlasst und finanziert
hat, aber nach aussen den Eindruck zu erwecken versucht, die Drucksache
stamme von einer überparteilichen Aktion. Hier stellt sich nicht so sehr
das Problem der Offenbarungspflicht, sondern jenes der Praktikabilität:
Kann aus praktischen Gründen gestützt auf Art. 19 PVG gefordert werden,
Text und Aufmachung müssten den Absender ersichtlich werden lassen? Diese
Frage stand - wie erwähnt - in den parlamentarischen Beratungen
zur Diskussion, und Gründe der Praktikabilität waren entscheidend
für die heutige Fassung des Art. 19 Abs. 2 lit. b PVG. Den erwähnten
parlamentarischen Beratungen kommt hinsichtlich der Auslegung des Art. 19
PVG deshalb grössere Bedeutung zu, da die geltende Fassung des Art. 19
Abs. 2 lit. b PVG erst nach einem sog. Differenzbereinigungsverfahren
zustande kam. Damals wurden Gründe der Praktikabilität entscheidend für
die Wahl der heute geltenden Fassung der gesetzlichen Privilegierungsregel
ins Feld geführt. Dieser Gesichtspunkt ist daher entgegen der von der
Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung gesetzgeberisch bedeutungsvoll.

    Mit dem gesetzlichen Zweck wäre eine Berufung auf Gründe der
Praktikabilität allerdings dann nicht vereinbar, wenn sie dazu führte,
dass der gesetzlich angestrebte Zweck weitgehend vereitelt würde, d.h.,
wenn gestützt auf solche Gesichtspunkte die Parteien weitgehend um ihre
posttarifarische Bevorzugung geprellt werden könnten. Dies ist indes
nach der Praxis der Postbehörden, soweit sie im vorliegenden Verfahren
zur Diskussion steht, nicht der Fall. Bei den meisten "Drucksachen von
Parteien" ergibt sich der Absender ohne weiteres und zwangsläufig aus
der Drucksache selbst; der Absender ist mithin mühelos durch die Organe
der Post feststellbar. Abstimmungs- und Wahlmaterial, das eine vielfach,
das andere vereinzelt, wird anstelle von oder in Zusammenarbeit mit
Parteien von sog. Aktionskomitees herausgegeben. Der politische Gehalt
derartiger Druckerzeugnisse ist unverkennbar; hingegen entfällt die
in Art. 19 Abs. 2 lit. b PVG verlangte parteiliche Trägerschaft dann,
wenn das Druckerzeugnis von einem ad hoc gebildeten Komitee oder einer
sonstigen Gruppe oder Vereinigung herausgegeben und zum Versand gebracht
wird. Deshalb ist es denn auch nicht rechtserheblich, dass in manch solchen
Aktionskomitees eine oder mehrere politische Parteien über ihre Vertreter
engagiert sind und die Parteikassen unter Umständen sogar finanzielle
Beiträge zur Unterstützung solcher Aktionen leisten. Dem Erfordernis,
dass die Anwendung des Art. 19 Abs. 2 lit. b PVG für die Organe der
Post praktikabel sein muss, wäre jedenfalls nicht Genüge getan, wenn sich
diese vor Versand einer unadressierten Drucksache immer erst vergewissern
müssten, ob trotz gegenteiligem Anschein (Herausgabe durch Aktionskomitee)
nicht doch eine Partei dahintersteht, welcher die Urheberschaft und die
Trägerschaft zukommt sowie die Finanzierung der Drucksache obliegt und
welche somit allenfalls Anspruch auf Privilegierung im Sinne von Art. 19
Abs. 2 lit. b PVG beanspruchen könnte.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerin macht selbst nicht geltend, aus dem in Frage
stehenden Flugblatt hätte sich in irgendeiner Weise ergeben, dass es sich
um ein solches der SPS handle. Das Flugblatt vermeidet in der Tat jede
direkte oder indirekte Bezugnahme auf die Partei. Auf der letzten Seite
des Blattes werden im Sinne der Urheberschaftsbezeugung die Mitglieder des
Aktionskomitees angeführt. Deren Mehrheit gehört der SPS an. Die einzelnen
Namen der Komitee-Mitglieder sind beinahe durchwegs mit dem Hinweis auf die
berufliche oder politische Stellung, nicht aber mit der Parteizugehörigkeit
ergänzt. Die von der SPS und dem Schweiz. Gewerkschaftsbund lancierte
Krankenversicherungs-Initiative, die zur Abstimmung gelangen soll,
wird nicht im Originalwortlaut wiedergegeben; mit Bezug auf deren
Urheber heisst es, es handle sich um "fortschrittliche Kreise aus allen
Bevölkerungsschichten". Lediglich in einem Zitat aus einer Rede von
alt Bundesrat Tschudi ist von der "sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen
Krankenversicherungs-Initiative" die Rede. Es kann dahingestellt bleiben,
ob die damit erreichte politische Neutralisierung es erst möglich gemacht
hat, die Flugblattaktion von einem überparteilichen Aktionskomitee tragen
zu lassen, und mit ihr Wirkungen anzustreben, die mit einem eigentlichen
Parteierzeugnis nicht hätten erzielt werden können. Wesentlich ist, dass
die in Frage stehende Drucksache nicht ersichtlich werden lässt, dass sie
von einer Partei, in concreto der SPS, stammt. Ein Anrecht, dass sie als
"Drucksache von Parteien" im Sinne von Art. 19 Abs. 2 lit. b PVG zu
einem Vorzugstarif befördert wird, besteht somit nicht.

    Daraus erhellt, dass der angefochtene Entscheid Bundesrecht
nicht verletzt. Die Rügen der Beschwerdeführerin bedürfen somit keiner
weiteren Erörterung. Mit der Vorinstanz braucht entsprechend der erwähnten
Auslegung des Art. 19 Abs. 2 lit. b PVG nicht näher abgeklärt zu werden,
ob und allenfalls in welchem Ausmass die SPS tatsächlich Urheber der
Flugblattaktion war und diese auch finanziert hat. Dieser nicht abgeklärte
Sachverhalt ist rechtlich im vorliegenden Fall nicht erheblich.