Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IB 265



101 Ib 265

49. Urteil vom 14. November 1975 i.S. J. van der Luyt & Zonen B.V. und
Migros-Genossenschafts-Bund gegen Eidg. Justiz- und Polizeidepartement
Regeste

    Strassenverkehr, Sonntagsfahrverbot für schwere Motorwagen zur
Güterbeförderung (Art. 2 Abs. 2 SVG, Art. 91 ff. VRV). Verweigerung
einer Ausnahmebewilligung, weil dem Gesuchsteller zugemutet werden kann,
anstelle eines schweren Lastwagens mehrere leichte Fahrzeuge einzusetzen.

Sachverhalt

    A.- Art. 2 Abs. 2 SVG sieht vor, dass der Bundesrat ein Nacht- und
Sonntagsfahrverbot für schwere Motorwagen zur Güterbeförderung verfügt
und die Ausnahmen bestimmt. Diesem Auftrag ist der Bundesrat durch Erlass
der Art. 91-93 VRV nachgekommen. Art. 92 VRV bestimmt in Abs. 1-5:

    "1 Ausnahmen vom Sonntags- und Nachtfahrverbot sind nur zulässig,
   wenn die Fahrt am Sonntag oder zur Nachtzeit dringend ist und weder
   durch organisatorische Massnahmen noch durch die Wahl eines andern
   Verkehrsmittels vermieden werden kann.

    2 Der Standortkanton oder der Kanton, wo die bewilligungspflichtige

    Fahrt beginnt, erteilt die Ausnahmebewilligung mit Gültigkeit für
   die ganze Schweiz. Die Zuständigkeit des Standortkantons entfällt,
   wenn sein Gebiet nicht berührt wird. Für Fahrzeuge des Bundes ist die

    Eidgenössische Polizeiabteilung zuständig; sie kann auch über Gesuche
   aus dem Ausland entscheiden.

    3 Nachtfahrbewilligungen dürfen unter den Bedingungen von Absatz

    1 erteilt werden:

    a) zur Beförderung von leicht verderblichen landwirtschaftlichen

    Produkten wie Beeren, gewissen Früchten und Gemüsen, Blumen und
   frisch gepressten Fruchtsäften in der Zeit vom 1. April bis 31. Oktober;

    b) zum Transport von Schlachtschweinen ausser in der Nacht vom

    Freitag auf den Samstag und vom Samstag auf den Sonntag und,
   soweit nötig, für Schlachtgeflügel;

    c) für die Beförderung von Milch und Milchprodukten;

    d) für verkehrsstörende Ausnahmefahrzeuge und Ausnahmetransporte;

    e) zu Fahrten beim Bau und Unterhalt von Strassen und Geleiseanlagen,
   wenn Nachtarbeit unerlässlich ist;

    f) zur Beförderung von Zirkusmaterial, Orchesterinstrumenten,

    Theaterkulissen u. dgl.

    4 Bewilligungen für Sonntagsfahrten dürfen bei Vorliegen triftiger

    Gründe in den Fällen gemäss Absatz 3 erteilt werden und ferner für
   dringliche Fahrten bei Veranstaltungen, namentlich zum Transport von
   Lebensmitteln und Getränken.

    5 Zu weiteren Fahrten dürfen Ausnahmebewilligungen nur mit Zustimmung
   der Eidgenössischen Polizeiabteilung erteilt werden. In einem dringenden
   Fall kann der Kanton eine unerlässliche Fahrt von sich aus gestatten
   unter Mitteilung an die Eidgenössische

    Polizeiabteilung".

    Der Migros-Genossenschafts-Bund (MGB) führt frische Schnittblumen
aus Holland ein. Sie gelangen zunächst in sein zentrales Verteillager
in Neuendorf/SO. Die holländische Transportfirma J. van der Luyt &
Zonen B.V. verbringt die Ware auf einem schweren Motorwagen nach Basel
und an Werktagen von dort nach Neuendorf. An Sonntagen wurden bisher
die Blumen in Basel auf 8-10 leichte Lastwagen (Lieferwagen) umgeladen,
da die von der holländischen Transportfirma verwendeten Fahrzeuge unter
das Sonntagsfahrverbot fallen. Am 7. November 1974 stellte diese Firma
bei der Eidg. Polizeiabteilung das Gesuch, die Blumen in Zukunft auch
an Sonntagen mit ihrem schweren Lastwagen bis ins Zentrallager des MGB
führen zu dürfen. Die Polizeiabteilung verweigerte die Bewilligung. Die
Beschwerde der Transportfirma und des MGB hiegegen wurde vom Eidg. Justiz-
und Polizeidepartement (EJPD) am 24. April 1975 abgewiesen. Die Betroffenen
erheben Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, die erbetene
Bewilligung sei zu erteilen.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Sonntags- und Nachtfahrverbot für schwere Motorwagen
zur Güterbeförderung soll offenbar die Bevölkerung vor übermässiger
Belästigung durch Lärm, Erschütterungen und Abgase schützen wie auch
eine gewisse Gewähr dafür bieten, dass die Vorschriften über die Ruhezeit
der berufsmässigen Motorfahrzeugführer beachtet werden. Das Verbot muss
nach seinem Sinn und Zweck strikte gehandhabt werden. Ausnahmen sind
nach Art. 92 Abs. 1 VRV nur zulässig, wenn die Fahrt am Sonntag oder zur
Nachtzeit dringend ist und weder durch organisatorische Massnahmen noch
durch die Wahl eines andern Verkehrsmittels vermieden werden kann. Mit
diesen Anforderungen ist es grundsätzlich streng zu nehmen. Immerhin
dürfen sie nicht überspannt werden. Eine Ausnahmebewilligung ist als
zulässig zu erachten, wenn der Transport am Sonntag oder zur Nachtzeit
an sich als dringlich angesehen werden kann und die Verwendung schwerer
Motorwagen weder durch zumutbare organisatorische Massnahmen noch durch
die zumutbare Wahl eines andern Verkehrsmittels vermieden werden kann. Von
dieser Auffassung geht auch das EJPD aus.

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Fall werden nach den Angaben der Beschwerdeführer
die für den Verkauf am Montag und Dienstag bestimmten frischen
Schnittblumen aus Holland dort am Samstag eingekauft. Der Transport dieser
leicht verderblichen Produkte am Sonntag von Basel nach dem zentralen
Verteillager des MGB in Neuendorf kann wohl als dringend betrachtet werden.
Andernfalls würde der MGB kaum 8-10 Lieferwagen dafür einsetzen.

    Entscheidend ist jedoch, ob die beabsichtigte Verwendung der schweren
Lastwagen der holländischen Transportfirma für den sonntäglichen Transport
von Basel nach Neuendorf durch zumutbare organisatorische Massnahmen oder
durch die zumutbare Wahl eines andern Verkehrsmittels vermieden werden
kann, wie das EJPD annimmt. Die Tatsache, dass dieser Transport heute
bereits mit leichten Lieferwagen ausgeführt wird, lässt darauf schliessen,
dass diese Annahme der Vorinstanz begründet ist.

    Die Beschwerdeführer wenden ein, die gegenwärtige Transportart sei
eine "Notlösung", die ihnen nicht länger zugemutet werden dürfe, da sie
im Vergleich mit der Verwendung eines schweren Lastwagens einen wesentlich
grösseren Aufwand erfordere. Es ist jedoch in keiner Weise dargetan, dass
die Weiterführung der sonntäglichen Transporte mit Lieferwagen für den
MGB untragbar wäre. Gewiss sind die Gestehungskosten der Blumen im ganzen
etwas höher, wenn die Fahrt von Basel nach Neuendorf am Sonntag nicht
mit einem schweren Lastwagen, sondern mit mehreren Lieferwagen ausgeführt
wird; doch macht die Verteuerung einer Sendung in der Woche einen derart
kleinen Bruchteil der gesamten Einstandskosten aus, dass von Unzumutbarkeit
nicht die Rede sein kann. Dem Interesse des MGB an der Einsparung von
Kosten steht das öffentliche Interesse an der strikten Einhaltung des
Sonntagsfahrverbotes gegenüber. Die Auffassung des EJPD, dass dieses
öffentliche Interesse mehr Gewicht habe, ist nicht zu beanstanden.

    Die Beschwerdeführer machen auch geltend, dass für den Transport
von Obst, Gemüse, Blumen usw. überhaupt nie eine Ausnahmebewilligung
erteilt werden dürfte, wenn die blosse Möglichkeit, statt mit schweren
Lastwagen mit Lieferwagen zu fahren, für die Verweigerung der Bewilligung
genügte. Diese Argumentation geht fehl. In vielen Fällen von dringlichen
Transporten im Sinne von Art. 92 Abs. 3 und 4 VRV besteht für den Absender,
den Transporteur oder den Empfänger gar keine andere zumutbare Möglichkeit,
als die Fahrt mit einem schweren Lastwagen durchzuführen. Wie gesagt,
ist aber nicht nachgewiesen, dass es sich hier so verhält.

    Das EJPD deutet an, dass der MGB auch noch andere Möglichkeiten als den
Einsatz von Lieferwagen habe, um die Fahrten mit schweren Lastwagen, deren
Bewilligung nachgesucht wird, zu vermeiden. Dazu braucht nicht Stellung
genommen zu werden. Es genügt festzustellen, dass dem MGB zugemutet werden
kann, an Sonntagen die Blumen wie bisher mit Lieferwagen von Basel nach
Neuendorf zu schaffen. Daraus ergibt sich, dass der angefochtene Entscheid
durch Art. 92 Abs. 1 VRV gedeckt ist.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführer legen besonderes Gewicht auf den Einwand,
dass es dem Zweck des Sonntagsfahrverbots offensichtlich zuwiderlaufe,
sie auf die Möglichkeit der Fortsetzung der sonntäglichen Transporte
mit Lieferwagen zu verweisen, weil 8-10 solche Fahrzeuge bedeutend mehr
Lärm und Abgase erzeugten als ein einziger schwerer Motorwagen. Indes
ist zu beachten, dass nach Art. 91 Abs. 3 VRV nur schwere und nicht auch
leichte Motorlastwagen unter das Verbot fallen. Diese dem Gesetz (Art. 2
Abs. 2 SVG) entsprechende Beschränkung ist für den Richter verbindlich.
Sie beruht offenbar auf der Überlegung, dass die Bevölkerung im allgemeinen
durch schwere Lastwagen, die einen besonders starken Lärm verursachen,
ja mitunter ganze Häuser erschüttern, in höherem Masse als durch leichte
Lieferwagen belästigt wird. Es widerspricht daher keineswegs dem Sinn
der Verordnung, den Beschwerdeführern wegen der Möglichkeit des weiteren
Einsatzes mehrerer Lieferwagen die Ausnahmebewilligung zu verweigern,
selbst wenn es zutreffen sollte, dass diese Fahrzeuge zusammen nicht nur
mehr Abgase, sondern unter Umständen auch einen intensiveren Lärm als
ein einziger schwerer Lastwagen erzeugen.

    Würde anders entschieden, so müssten auch in zahlreichen andern Fällen
mit gleichem oder ähnlichem Sachverhalt Ausnahmebewilligungen für den
Transport leicht verderblicher Waren (Lebensmittel usw.) erteilt werden,
gleichviel ob es sich um importierte oder um inländische Güter handeln
würde und ob der Transport über Autostrassen oder über sonstige Strassen
ginge. Eine solche Lockerung der Bewilligungspraxis wäre aber mit dem
Wortlaut und dem Sinn der VRV nicht vereinbar. Denn es muss damit gerechnet
werden, dass sie zu einer Belästigung der Bevölkerung durch den nächtlichen
und sonntäglichen Verkehr schwerer Motorlastwagen in einem Ausmass führen
würde, das durch das Nacht- und Sonntagsfahrverbot eben verhindert werden
soll. Zu Unrecht werfen die Beschwerdeführer dem EJPD vor, dass es die
präjudizielle Bedeutung einer Gutheissung ihres Gesuches überschätze.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.