Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IA 610



101 Ia 610

93. Auszug aus dem Urteil vom 17. Dezember 1975 i.S. Schlegel gegen
Schweiz. Bundesanwaltschaft und Eidg. Justiz- und Polizeidepartement
Regeste

    Auslieferung. Vertrag mit Deutschland vom 24. Januar 1874

    1. Hergang der Tat und Schuld des Auszuliefernden; Überprüfungsbefugnis
des Bundesgerichts (E. 2).

    2. Auslieferung wegen Betrugs; gegenseitige Strafbarkeit (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Dem deutschen Staatsangehörigen Werner Schlegel werden in einem
Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund u.a. ein Einbruchdiebstahl, Betrug
in zwei Fällen und Brandstiftungen zur Last gelegt. Die Bundesrepublik
Deutschland ersuchte die Schweiz um die Auslieferung Schlegels. Das
Bundesgericht hat dessen Einsprache in den genannten Punkten abgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Schlegel bestreitet, die ihm vorgeworfenen Brandstiftungen
(Haftbefehl Ziff. 3, 4 und 7) sowie den Einbruchdiebstahl in Bochum
(Ziff. 8) begangen zu haben. Er kritisiert die Schlüssigkeit der von den
deutschen Behörden angeführten Verdachtsmomente und macht in bezug auf
den Einbruchdiebstahl in Bochum geltend, er könne beweisen, dass er zur
Tatzeit in Paris gewesen sei.

    Nach ständiger Rechtsprechung tritt das Bundesgericht in
Auslieferungssachen nicht auf Vorbringen ein, mit denen der Einsprecher
darzulegen versucht, dass er die Taten nicht begangen hat, welche ihm
die Anklagebehörde des ersuchenden Staates zur Last legt (BGE 101 Ia 424
E. 5, 100 Ia 410 E. 1d; 99 Ia 554 E. 3; 95 I 467 E. 5; 92 I 113 E. 1). Der
Auslieferungsrichter ist hinsichtlich des Herganges der Tat und der Schuld
des Auszuliefernden an die zur Begründung des Auslieferungsgesuches
vorgelegten Urkunden gebunden. Ob der in den Auslieferungsdokumenten
dargestellte Sachverhalt bewiesen ist und ob der Auszuliefernde die
gegen ihn erhobenen Anschuldigungen bestreitet, ist unerheblich (BGE
92 I 114 E. 1). Dies bedeutet nicht, dass der Auslieferungsrichter
offensichtliche Fehler, Lücken und Widersprüche in den vorgelegten
Dokumenten unberücksichtigt lassen muss. Ebensowenig schliesst der erwähnte
Grundsatz aus, dass das Bundesgericht die Auslieferung verweigert, wenn
offensichtlich ist, dass der Einsprecher die ihm angelasteten Straftaten
unmöglich begangen haben kann. Im vorliegenden Verfahren wurde ein solcher
Nachweis offensichtlicher Unschuld nicht erbracht.

    Die nähere Prüfung einzelner Einwände, insbesondere die Abnahme
des Alibi-Beweises durch Zeugen im Fall Ziff. 8, erübrigt sich zudem
aus folgender Erwägung: Die Auslieferung eines Verfolgten, der die
ihm angelasteten Straftaten offensichtlich nicht begangen hat, muss
deshalb verweigert werden, weil einem offenkundig Unschuldigen die mit
der Auslieferungshaft und dem Zwangstransport verbundene Unbill nicht
zugefügt werden darf. Wenn sich jedoch ein Auslieferungsbegehren auf
mehrere Delikte bezieht und der Verfolgte wegen einzelner (eingestandener)
Taten ohnehin auszuliefern ist, besteht schon aus diesem Grunde kein
Anlass, im Auslieferungsverfahren auf Vorbringen einzutreten, mit denen die
Täterschaft hinsichtlich der übrigen Delikte bestritten wird. Über solche
Einwendungen hat der Sach-, nicht der Auslieferungsrichter zu befinden.

Erwägung 3

    3.- Unter Ziff. 1 und 5 des Haftbefehls werden dem Einsprecher zwei
Sachverhalte zur Last gelegt, die nach Auffassung der deutschen Behörden
als Betrug im Sinne von § 263 des deutschen StGB zu qualifizieren sind.

    Schlegel bestreitet nicht, dass er von der Firma Schräer ein
Fernsehgerät und einen Kassettenrecorder auf Abzahlung kaufte und seine
Zahlungsverpflichtungen nicht einhielt. Er macht jedoch geltend, es sei
das in Art. 148 des schweizerischen StGB enthaltene Tatbestandselement der
Arglist nicht erfüllt. Schlegel wendet zudem ein, er sei entgegen der
Auffassung des Amtsgerichts Dortmund willens gewesen, die eingegangenen
Verpflichtungen zu erfüllen. Ferner treffe nicht zu, dass er bei
Abschluss der Kaufverträge unrichtige Angaben gemacht habe. Für den
Auslieferungsrichter wären die zuletzt genannten Vorbringen nach dem in
Erwägung 2 Gesagten nur beachtlich, wenn offensichtlich wäre, dass der
Einsprecher die ihm angelasteten Taten unmöglich begangen haben kann. Dies
ist indessen auch hier nicht der Fall. Hingegen ist die Einwendung zu
prüfen, das in Ziff. 1 und 5 des Haftbefehls umschriebene Verhalten sei
nach Art. 148 des schweizerischen StGB nicht als Betrug strafbar, weil
das Tatbestandsmerkmal der Arglist nicht erfüllt sei. Damit bestreitet
Schlegel die beidseitige Strafbarkeit des ihm vorgeworfenen Verhaltens.

    § 263 des deutschen StGB ist ähnlich umschrieben wie Art. 148 des
schweizerischen Strafgesetzbuches, doch fehlt in jener Bestimmung das im
schweizerischen Betrugstatbestand enthaltene Merkmal der Arglist. Dieses
ist in Art. 148 StGB eingefügt worden, um die Fälle qualifizierter
Täuschung von den Verhaltensweisen abzugrenzen, bei welchen der Täter
jemanden lediglich durch eine einfache, leicht durchschaubare Lüge
irregeführt hat (BGE 100 IV 274; 99 IV 76 E. 4 mit Hinweisen). Bedient sich
der Täter indessen besonderer betrügerischer Machenschaften, so handelt
er arglistig und ist nach Art. 148 StGB strafbar. Arglist liegt nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts aber auch dann vor, wenn der Täter,
ohne dass er ein ganzes Lügengebäude errichtet hätte, den Getäuschten
von der Überprüfung der falschen Angaben abhält oder nach den Umständen
voraussieht, dass jener die Überprüfung unterlässt (BGE 100 IV 274);
ferner dann, wenn dem Getäuschten die Nachprüfung besondere Mühe macht,
nicht zumutbar oder gar unmöglich ist, wie etwa, wenn sich die Täuschung
auf eine innere Tatsache bezieht, die einer Überprüfung ihrem Wesen gemäss
nicht zugänglich ist (BGE 99 IV 75, 84 ff.; 73 IV 225 f.). Ob eine einfache
(straflose) Lüge oder eine arglistige Täuschung vorliegt, hängt nach dem
Gesagten stark von den konkreten Umständen des jeweiligen Falles ab. Das
in den Ziff. 1 und 5 des Haftbefehls umschriebene Vorgehen mag Grenzfälle
des Betrugs im Sinne von Art. 148 Abs. 1 StGB betreffen; doch lässt sich
nicht feststellen, das dem Einsprecher vorgeworfene Verhalten sei nach
schweizerischem Recht nicht strafbar. Vielmehr ist anzunehmen, dass es den
Tatbestand von Art. 148 Abs. 1 StGB erfüllt, weil das Fehlen effektiver
Zahlungsmöglichkeiten und eines ernstlichen Zahlungswillens verschwiegen
wurden. Die Auslieferung ist daher auch in diesen Punkten zu bewilligen.