Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IA 405



101 Ia 405

67. Urteil vom 9. Juli 1975 i.S. Mifsud gegen Schweizerische
Bundesanwaltschaft Regeste

    Auslieferung; Auslieferungsvertrag mit Grossbritannien.
   Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichtes (E. 1b).

    Keine Anwendung des Prinzips der Gegenseitigkeit, wenn der britische
Auslieferungsrichter das Vorliegen des hinreichenden Tatverdachtes
überprüft (E. 3).

    Die richtige Qualifikation der verfolgten Tat ist nicht
Gültigkeitserfordernis für das Auslieferungsbegehren (E. 4).

    Fragen der Verjährung der Auslieferungsdelikte "murder" und Anstiftung
zu Meineid (E. 6).

    Die in Art. V Abs. 6 des Auslieferungsvertrages vorgesehene Frist
zur Ergänzung der Akten ist keine Verwirkungsfrist (E. 6aa).

    Grundsatz von Treu und Glauben im zwischenstaatlichen Verkehr (E. 6bb).

Sachverhalt

    A.- Der britische Staatsangehörige Francis Frank Mifsud wurde am
2. Juli 1974 auf Ersuchen der Interpol London in Olten verhaftet. Gestützt
auf Art. II Ziff. 1 und 16 des Auslieferungsvertrages zwischen der Schweiz
und Grossbritannien stellte die britische Botschaft am 30. Juli 1974 das
Gesuch um Auslieferung Mifsuds wegen Mordes und Anstiftung zu Meineid. Im
einzelnen wird Mifsud folgendes vorgeworfen:

    a) Mifsud soll zusammen mit Phillip Ellul, Victor Spampinato
   und Bernard Silver Thomas Smithson ermordet haben. Nach Zeugenaussagen
   hat Mifsud im Sommer

    1956 in einem Café des Londoner Stadtteils Soho Phillip

    Ellul und Victor Spampinato einen Revolver und Munition
   übergeben und die beiden beauftragt, den Anführer einer rivalisierenden
   Verbrecherbande umzubringen; es handelte sich dabei um den Croupier
   Thomas Smithson.

    Vier oder fünf Tage später, am 25. Juni 1956, wurde

    Smithson von Ellul und Spampinato in seiner Wohnung
   erschossen.

    Ellul wurde wegen dieser Tat zum Tode verurteilt, die

    Strafe jedoch nicht vollzogen, sondern in eine Freiheitsstrafe
   umgewandelt. Spampinato wurde freigesprochen.

    b) Zwischen dem 1. Januar und dem 6. November 1967 soll

    Mifsud Harold Dennison Stocker zu Meineid im Strafprozess
   gegen Anthony Cauci und Tony Galea angestiftet haben, indem er Stocker
   veranlasste, eine Galea belastende wahrheitswidrige Aussage zu machen.

    Francis Frank Mifsud hat gegen seine Auslieferung Einsprache
erhoben, wobei er sowohl formell- wie auch materiellrechtliche Mängel
des Auslieferungsbegehrens geltend machte. Zu den formellen Rügen hat
die Eidgenössische Polizeiabteilung am 29. November 1974 in abweisendem
Sinne Stellung genommen und die Akten zum Entscheid über die Einsprache
dem Bundesgericht überwiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Die Einwendungen Mifsuds gegen seine Auslieferung sind, da
Grossbritannien dem europäischen Auslieferungsabkommen vom 13.12.1957
noch nicht beigetreten ist, anhand des am 26. November 1880 zwischen
der Schweiz und Grossbritannien abgeschlossenen Auslieferungsvertrages
zu überprüfen. Die Vorschriften des Bundesgesetzes betreffend die
Auslieferung gegenüber dem Ausland vom 22. Januar 1892 (AuslG) finden nur
dort Anwendung, wo der Staatsvertrag die Bedingungen der Auslieferung
nicht abschliessend regelt und soweit sie den Vertragsbestimmungen
nicht zuwiderlaufen (BGE 97 I 375; SCHULTZ, Das schweizerische
Auslieferungsrecht, S. 135).

    b) Stützt sich eine Einsprache auf das Auslieferungsgesetz, einen
Staatsvertrag oder auf eine Gegenrechtserklärung, und Werden demzufolge
die Akten nach Art. 23 AuslG dem Bundesgericht überwiesen, so kann dieses
nach neuester Rechtsprechung nicht nur die Rügen materiellrechtlicher
Natur, sondern auch die ausdrücklich gerügten formellen Mängel überprüfen
(BGE 101 Ia 62, E. 1a, mit Hinweisen auf weitere Urteile; vgl. SCHULTZ,
aaO S. 192 f., 227). Es besteht kein Grund, die Kognitionsbefugnis des
Bundesgerichtes anders zu bestimmen, wenn ihm der Entscheid über die
Auslieferung in Anwendung von Art. V Abs. 7 des britisch-schweizerischen
Auslieferungsvertrages übertragen wird, nämlich im Falle, dass "gegen die
Anwendbarkeit dieses Vertrages eine Einsprache vorliegt". Eine Beschränkung
der Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichtes scheint im vorliegenden Fall
schon deshalb nicht angebracht, weil der Vertrag mit Grossbritannien - als
Einzelfall (vgl. SCHULTZ, aaO S. 140) - selbst eingehende Vorschriften
über das Verfahren in der Schweiz enthält; soweit sich der Verfolgte
auf diese Verfahrensvorschriften beruft, kann das Bundesgericht seine
Einwendungen nicht unberücksichtigt lassen.

Erwägung 2

    2.- Frank Mifsud ruft zunächst Art. V Abs. 1 und Art. VII Abs. 1 des
Staatsvertrages an und macht geltend, dass das Auslieferungsbegehren nicht,
wie erforderlich, durch die Unterschrift eines britischen Staatsministers,
sondern nur durch diejenige eines Assistant Under Secretary beglaubigt sei.

    Nach Art. VII des Vertrages haben die Behörden des ersuchten
Staates den ihnen zugestellten Unterlagen "volle Beweiskraft beizulegen,
vorausgesetzt, ... dass sie durch Beidrückung des Amtssiegels eines
britischen Staatsministers oder des schweizerischen Bundeskanzlers
beglaubigt sind". Dem Wortlaut dieser Bestimmung gemäss genügt zur
Beglaubigung der Auslieferungsurkunde die Beidrückung des Siegels
eines Staatsministers ohne jede Unterschrift. Wie die Eidgenössische
Polizeiabteilung in ihrem Sachbericht vom 29. November 1974 dazu bemerkt,
ist es allerdings üblich, dass neben dem Amtssiegel die zu dessen
Anbringung bevollmächtigte Person unterzeichnet. Diese Kompetenz werde
jedoch regelmässig delegiert, weshalb die Unterschrift eines Assistant
Under Secretary auf einem britischen Auslieferungsbegehren den formellen
Anforderungen durchaus genüge. Auch die schweizerischen Ersuchen würden
im übrigen nicht durch den Bundeskanzler persönlich, sondern durch
einen Vertreter beglaubigt. Dem Begehren Mifsuds um Rückweisung des
Auslieferungsgesuchs wegen mangelhafter Beglaubigung kann deshalb weder
auf Grund des Wortlautes des Vertrages noch auf Grund der geübten Praxis
stattgegeben werden.

Erwägung 3

    3.- Ein weiterer Einwand Mifsuds gegen seine Auslieferung bezieht sich
darauf, dass keine hinreichenden Verdachtsgründe für seine Täterschaft
vorlägen. Mifsud anerkennt zwar, dass es die zuständigen schweizerischen
Behörden stets abgelehnt haben, zu beurteilen, ob der Verfolgte hinreichend
verdächtig sei, die ihm vorgeworfenen strafbaren Handlungen begangen zu
haben. Diese Praxis bedürfe jedoch in bezug auf die von Grossbritannien
gestellten Auslieferungsbegehren einer Überprüfung, da der britische
Auslieferungsrichter auf schweizerische Auslieferungsgesuche hin die Frage
des Schuldverdachtes vorfrageweise abkläre; aus Gründen des Gegenrechts
sei die gleiche Vorprüfung auch schweizerischerseits vorzunehmen.

    Auf die Frage, ob ein hinreichender Verdacht für die
Täterschaft des Verfolgten spreche, hat das Bundesgericht jedoch
nicht einzutreten. Das in der Schweiz bzw. in Grossbritannien auf ein
Auslieferungsgesuch hin einzuschlagende Verfahren wird in Art. V und VI des
britisch-schweizerischen Auslieferungsvertrages eingehend umschrieben. Im
Gegensatz zum englischen Richter, der, dem angelsächsischen Rechtssystem
entsprechend, zu überprüfen hat, ob die ihm vorgelegten Beweismittel
dazu ausreichen würden, den Verfolgten nach englischem Recht anzuklagen
(Art. VI lit. A, Abs. 3), haben die schweizerischen Behörden, ohne
sich mit der Frage des Tatverdachtes zu befassen, auf den Sachverhalt
abzustellen, der im Auslieferungsbegehren und den dazugehörenden Unterlagen
geschildert wird (Art. V). Diese unterschiedlichen Verfahrensnormen
wurden geschaffen, um der "gegenwärtigen Gesetzgebung und der innern
Organisation" der beiden Staaten gerecht zu werden (vgl. Botschaft
vom 26. November 1880, BBl 1880 IV 510; SCHULTZ, aaO, S. 154, 171), Von
gleichlautenden Verfahrensvorschriften für die Vertragsstaaten im Sinne des
Prinzips der Gegenseitigkeit wurde somit im Hinblick auf die verschiedenen
Rechtssysteme bei der Vertragssetzung bewusst abgesehen. Eine Überprüfung
der britischen Auslieferungsbegehren daraufhin, ob gegenüber dem Verfolgten
ein hinreichender Tatverdacht bestehe, verstiesse deshalb gegen den klaren
Wortlaut des britisch-schweizerischen Auslieferungsvertrages.

    Es darf hier im übrigen erwähnt werden, dass auch Grossbritannien auf
die Einhaltung des Grundsatzes der Gegenseitigkeit verzichtet hat, indem
es in Art. I Abs. 1 des Staatsvertrages die Auslieferung aller Personen,
auch seiner eigenen Staatsangehörigen gewährt, während die Schweiz eine
Auslieferung ihrer Staatsbürger ausschliesst (vgl. BBl 1880 IV 512).

Erwägung 4

    4.- Art. V Abs. 1 des britisch-schweizerischen Auslieferungsvertrages
schreibt vor, dass im Falle eines Auslieferungsbegehrens gegen eine
angeklagte Person den schweizerischen Behörden ein Verhaftsbefehl vorgelegt
werden muss, der das Verbrechen oder Vergehen, dessen sie angeklagt ist,
"klar bezeichnet". Frank Mifsud wird im Verhaftsbefehl vorgeworfen,
zusammen mit Phillip Ellul, Victor Spampinato und Bernard Silver Thomas
Smithson ermordet (murdered) zu haben. Dagegen wendet Mifsud ein, dass
er auf Grund der dem Haftbefehl beigelegten Zeugenaussagen nicht als
Täter, sondern lediglich als Gehilfe zur Verantwortung gezogen werden
könne. Der eingereichte Verhaftsbefehl genüge daher dem Erfordernis der
"klaren Bezeichnung" nicht, weshalb auf den ersten Anklagepunkt nicht
einzutreten sei.

    Mit diesem Vorwurf des formellen Ungenügens des Verhaftsbefehls
wird die materielle Frage der Qualifizierung der verfolgten Tat
angeschnitten. Der britisch-schweizerische Auslieferungsvertrag verlangt,
wie erwähnt, lediglich die "klare Bezeichnung" des verfolgten Verbrechens
oder Vergehens, während sämtliche übrigen von der Schweiz abgeschlossenen
Auslieferungsverträge fordern, dass die auf die verfolgte Tat anwendbare
Gesetzesstelle im Wortlaut wiedergegeben wird (Zusammenstellung
bei SCHULTZ, aaO S. 167 N. 37). Selbst bei der Anwendung dieser
Verträge, welche die Subsumption der verfolgten Handlung unter die
Strafbestimmungen des ersuchenden Staates ausdrücklich voraussetzen,
wird jedoch der Prüfung der rechtlichen Qualifikation des Tatbestandes
wenig Bedeutung zugemessen, sofern der ersuchte Staat zur Ansicht gelangt,
die verfolgte Tat sei nach dem Recht des ersuchenden Staates überhaupt
als Auslieferungsdelikt strafbar (SCHULTZ, aaO S. 166 f., 358). Damit
wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Auslieferungspflicht für
eine bestimmte Tat als Lebensgeschehnis besteht, deren strafrechtliche
Qualifikation möglicherweise in dem Zeitpunkt des Untersuchungsverfahrens,
in welchem das Auslieferungsbegehren gestellt wird, noch nicht eindeutig
vorgenommen werden kann (vgl. BGE 101 Ia 63 f., 57 I 294). Auch der
Grundsatz der Spezialität der Auslieferung schliesst nicht aus, dass der
ersuchende Staat nach erfolgter Auslieferung den dem Auslieferungsbegehren
zugrundegelegten Tatbestand rechtlich anders würdigt, vorausgesetzt, dass
die verfolgte Tat immer noch als Auslieferungsdelikt bestraft wird und dass
die Auslieferung für die anders qualifizierte Tat nicht ausgeschlossen
gewesen wäre (SCHULTZ, aaO S. 358; HESS, Der Grundsatz der Spezialität
im Auslieferungsrecht, seine Ausgestaltung im Auslieferungsgesetz und in
den Auslieferungsverträgen der Schweiz insbesondere, Diss. Zürich 1944,
S. 50 ff.; PFENNINGER, Eine Frage des Auslieferungsrechtes, SJZ 10/1913,
14 S. 64).

    Das Bundesgericht hat sich in seiner Eigenschaft als schweizerischer
Auslieferungsrichter mit der Qualifikation der verfolgten Tat nach dem
Recht des ersuchenden Staates stets nur im Zusammenhang mit der Frage
befasst, ob es sich bei der im Auslieferungsbegehren umschriebenen
Handlung um ein Auslieferungsdelikt handle und ob die Voraussetzung
der beidseitigen Strafbarkeit erfüllt sei (BGE 101 Ia 63 f., 92 I
115 ff., E. 2, 387 ff., E. 2, 88 I 41, 95 E. 1, 87 I 200 f., 77 I
55 E. 3). Die richtige Qualifikation an sich stellt kein formelles
Gültigkeitserfordernis dar und ist daher auch nicht zu überprüfen,
wenn feststeht, dass der in den Auslieferungsurkunden umschriebene
Sachverhalt den Tatbestand eines Auslieferungsdeliktes erfüllt.
Ein solches formelles Gültigkeitserfordernis wird denn auch keineswegs,
wie der Beschwerdeführer behauptet, durch die Vorschrift von Art. V
Abs. 1 des britisch-schweizerischen Auslieferungsvertrages aufgestellt.
Die Bestimmung, wonach das verfolgte Verbrechen oder Vergehen klar zu
bezeichnen ist, verpflichtet den ersuchenden Staat lediglich, den Behörden
des ersuchten Staates den fraglichen Tatbestand so genau zu bezeichnen,
dass diese in der Lage sind abzuklären, ob die dem Angeschuldigten zur Last
gelegte Tat ein Auslieferungsdelikt darstelle. Diesen Anforderungen wird
im vorliegenden Fall durch die britischen Auslieferungsurkunden Genüge
getan. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Frank Mifsud vorgeworfene
Tötung Smithsons den Tatbestand eines Auslieferungsdeliktes erfüllt. Selbst
wenn nämlich Mifsud nicht dem Haftbefehl entsprechend als Mittäter, sondern
- wie er es behauptet - nur als Gehilfe zur Verantwortung gezogen werden
könnte, stünde der Auslieferung nichts entgegen. Nach Art. II Abs. 2
des Staatsvertrages findet die Auslieferung auch statt wegen Teilnahme
an einem Auslieferungsdelikt, vorausgesetzt, dass diese Teilnahme
nach der Gesetzgebung beider Kontrahenten strafbar ist. Die Bedingung
der beidseitigen Strafbarkeit ist hier erfüllt, da sowohl nach Art. 24
ff. des Schweizerischen Strafgesetzbuches wie auch nach englischem Recht
die Teilnahme bestraft wird, und zwar sieht Art. 1 des Accessories and
Abettors Act von 1861 vor, dass für die vor der Tat begangene Beihilfe
der Gehilfe oder Anstifter "in jeder Hinsicht eingeklagt, verfolgt,
verurteilt und bestraft werden kann, als ob er ein Haupttäter wäre".

    Der Einwand der unklaren Bezeichnung der verfolgten Tat im Haftbefehl
ist daher unbegründet.

Erwägung 5

    5.- Mifsud bestreitet an sich nicht, dass die ihm vorgeworfene
Anstiftung zu Meineid gemäss Art. II Ziff. 16 des Staatsvertrages ein
Auslieferungsdelikt darstelle. Er wendet jedoch ein, Art. 13 Perjury Act
von 1911 bestimme, dass niemand für Meineid oder Anstiftung zu Meineid
zur Verantwortung gezogen werden könne, solange die entsprechende Anklage
nur auf die Aussage eines einzelnen Zeugen gestützt werden könne. Damit
werde eine zusätzliche Strafbarkeitsbedingung für Meineid-Vergehen
umschrieben, deren Vorliegen vom Auslieferungsrichter zu überprüfen
sei. Da sich das Begehren um Auslieferung Mifsuds wegen Meineides
nur auf die Zeugenaussage Stockers stützen lasse, fehle es an der
genannten Strafbarkeitsvoraussetzung. - Überdies sei eine weitere
Strafbarkeitsbedingung nicht erfüllt: Nach englischem Recht könne nur
jener Zeuge einen Meineid begehen, der eine für das fragliche Verfahren
wesentliche Aussage mache. Die Aussage Stockers sei jedoch im Verfahren
gegen Galea nicht massgeblich gewesen, da Galea ein Geständnis abgelegt
habe. Die Auslieferung Mifsuds wegen Anstiftung zu Meineid sei daher
mangels Strafbarkeit der Tat nach englischem Recht nicht zu bewilligen.

    a) Entgegen der Behauptung Mifsuds stellt die Bestimmung, ein des
Meineids oder der Anstiftung zu Meineid Verdächtigter könne nicht nur
auf Grund einer einzigen Zeugenaussage zur Verantwortung gezogen werden,
keine Strafbarkeitsbedingung im Sinne des schweizerischen Strafrechts
dar. Sie gehört vielmehr zu den Regeln über die Beweiswürdigung, die dem
englischen Strafprozessrecht eigen sind. Die durch Art. 13 Perjury Act
vorgeschriebene Notwendigkeit der Bestätigung einer Zeugenaussage durch
einen weiteren Beweis (corroboration) bildet denn auch keine Voraussetzung
zur Einleitung des Prozessverfahrens. Die Frage, ob sich die Anklage
tatsächlich nur auf eine einzige Zeugenaussage stützen könne, wird erst
im Verlaufe des Verfahrens geklärt; gegebenfalls muss der Sachrichter den
Angeklagten mangels bestätigenden Beweises freisprechen (K. M. NEWMANN,
Das englisch-amerikanische Beweisrecht, Heidelberg 1950, S. 83 ff.;
CLAUDE ALLEN, Grundsätze und Methoden der Beweiserhebung im englischen
Strafprozess, Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
Bd. 72/1960 S. 171 f.). Der Auslieferungsrichter hat sich jedenfalls
hiezu nicht zu äussern.

    b) Ebenfalls keine Strafbarkeitsbedingung stellt die Vorschrift
dar, dass ein falsch aussagender Zeuge nur dann wegen Meineids
verfolgt werden könne, wenn seine Aussage für das Verfahren wesentlich
war. Die Wesentlichkeit der Zeugenaussage für den Prozessverlauf ist
Tatbestandsmerkmal des Meineid-Delikts, über dessen Vorliegen der englische
Strafrichter zu entscheiden hat.

Erwägung 6

    6.- Dem Ersuchen der britischen Behörden wird schliesslich
entgegengehalten, dass eine Auslieferung Mifsuds schon deshalb
ausgeschlossen sei, weil beide ihm vorgeworfenen strafbaren Handlungen
nach schweizerischem Recht verjährt seien.

    Nach Art. XII des Vertrages mit Grossbritannien soll die
Auslieferung nicht stattfinden, wenn seit der begangenen strafbaren
Handlung oder der Einleitung der strafgerichtlichen Verfolgung nach den
Gesetzen des ersuchten Staates Befreiung von der strafgerichtlichen
Verfolgung eingetreten ist. Da das englische Recht keine allgemeine
Verfolgungsverjährung kennt, braucht hier der Grundsatz der beidseitigen
Strafbarkeit nicht berücksichtigt zu werden, und ist die Möglichkeit der
Verjährung der in Frage stehenden Delikte nur nach dem schweizerischen
Recht zu überprüfen (SCHULTZ, aaO S. 322 mit Literaturhinweisen).

    a) In bezug auf die Anstiftung zu Meineid wird geltend gemacht, sie
würde nach schweizerischem Recht unter den privilegierten Tatbestand von
Art. 307 Abs. 3 StGB fallen, da sich die falsche Aussage auf Tatsachen
bezogen habe, die für die richterliche Entscheidung unerheblich gewesen
seien. Da für diesen Tatbestand nur Gefängnisstrafe angedroht werde,
sei die nach Art. 70 StGB geltende fünfjährige Verjährungsfrist bereits
abgelaufen.

    Auf eine unerhebliche Tatsache im Sinne von Art. 307 Abs. 3 StGB
bezieht sich eine Zeugenaussage nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung nur
dann, wenn sie von vornherein, ihrem Gegenstande nach, nicht geeignet ist,
den Ausgang des Prozesses irgendwie zu beeinflussen, wenn sie also weder
für eine rechtliche Schlussfolgerung noch für eine sich auf rechtlich
erhebliche Tatsachen beziehende tatsächliche Schlussfolgerung in Frage
kommt (BGE 93 IV 26, 75 IV 68). Derartige, für das Prozessverfahren
unwesentliche falsche Zeugenaussagen werden aber vom Perjury Act gerade
nicht erfasst (vgl. E. 5b), sondern bleiben nach englischem Recht
straffrei. Der Vorwurf des Meineides nach englischem Strafrecht kann
daher nie die Tatbestandsmerkmale von Art. 307 Abs. 3 StGB, sondern nur
diejenigen von Art. 307 Abs. 1 und 2 StGB erfüllen. Die Verjährungsfrist
beträgt deshalb in jedem Falle zehn Jahre (Art. 70 StGB) und ist für das
Frank Mifsud vorgeworfene Meineids-Delikt nicht abgelaufen.

    b) Das Tötungs-Delikt wird Mifsud im Verhaftsbefehl als "murder"
vorgeworfen, doch umfasst dieses Auslieferungsdelikt nach englischem
Recht nicht nur den Tatbestand des Mordes, wie er im Schweizerischen
Strafgesetzbuch umschrieben ist, sondern weitere vorsätzliche
Tötungshandlungen (vgl. SCHULTZ, aaO S. 329; HONIG, Zur neueren Judikatur
des englischen Straf- und Strafprozessrechts, ZStR 66/1951 S. 430). Das
schweizerische Strafrecht setzt für vorsätzliche Tötungshandlungen
unterschiedliche Verjährungsfristen fest; liegt der einfache Tatbestand der
vorsätzlichen Tötung (Art. 111 StGB) vor, tritt die Verjährung nach zehn
Jahren ein, liegt der qualifizierte Tatbestand des Mordes (Art. 112 StGB)
vor, verjährt die Tat nach zwanzig Jahren (Art. 70 StGB). Die Frage, ob
die Mifsud als "murder" vorgeworfene Tat bereits verjährt sei, kann daher
nur geklärt werden, wenn festgestellt wird, welche der im Schweizerischen
Strafgesetzbuch vorgesehenen Tatbestandsmerkmale sie erfüllt.

    Da sich bei den Auslieferungsurkunden keine Darstellung des
Sachverhaltes befand, die eine eindeutige Qualifizierung des Deliktes
gestattet hätte, beschloss das Bundesgericht in seiner Sitzung vom
19. Februar 1975, die britischen Behörden in Anwendung von Art. V Abs. 6
des Staatsvertrages um entsprechende Ergänzung der Akten zu ersuchen. Das
Begehren wurde der britischen Botschaft von der Eidgenössischen
Polizeiabteilung am 20. Februar zunächst mündlich und mit einer vom
20. Februar datierten Note am 24. Februar 1975 schriftlich übermittelt. Die
britischen Behörden reichten am 11. März 1975, d.h. innerhalb der ihnen
von der Eidgenössischen Polizeiabteilung angesetzten Frist den verlangten
Tatsachenbericht ein.

    In seiner Stellungnahme zur nachträglich beigebrachten
Auslieferungsurkunde machte Mifsud geltend, die Ergänzung der Akten sei
nicht innert der in Art. V Abs. 6 des Staatsvertrages vorgeschriebenen
Frist von 15 Tagen erfolgt. Da es sich hiebei um eine peremptorische und
absolute, nicht nach schweizerischem Recht zu bestimmende Frist handle,
sei Mifsud den Vertragsbestimmungen entsprechend sofort auf freien Fuss
zu setzen.

    aa) Die Folge der Nichteinhaltung der Frist zur Ergänzung des
Auslieferungsbegehrens ist im Auslieferungsvertrag selbst geregelt: Können
die erforderlichen Aktenstücke nicht vor Ablauf von 15 Tagen beigebracht
werden, so wird der Verhaftete in Freiheit gesetzt (Art. V Abs. 6). Damit
wird jedoch die Auslieferung des Verfolgten wegen der gleichen Tat auf
erneutes Ersuchen hin nicht ausgeschlossen. Insofern kann, entgegen der
Ansicht Mifsuds, diese Frist nicht als Verwirkungsfrist betrachtet werden.

    bb) Es ist im weiteren nicht einzusehen, weshalb für die Berechnung
der Frist nicht schweizerisches Recht anwendbar sein sollte. Da der
Vertrag selbst keine Bestimmungen über den Fristenlauf enthält, hat der
ersuchte Staat nach eigenem Recht zu entscheiden, ob die vertraglich
festgelegte Frist eingehalten worden sei oder nicht. Die Eidgenössische
Polizeiabteilung hat sich daher bei der Fristansetzung zu Recht an die
Bestimmungen von Art. 32 OG und des Bundesgesetzes vom 21. Juni 1963 über
den Fristenlauf an Samstagen gehalten.

    Die Frage, ob die fünfzehntägige Frist bereits mit der mündlichen
Mitteilung des Ergänzungsbegehrens oder erst mit dessen schriftlicher
Eröffnung zu laufen begonnen hat, kann offen bleiben. Selbst wenn
nämlich die den britischen Behörden angesetzte und von ihnen eingehaltene
Frist von der Eidgenössischen Polizeiabteilung falsch berechnet worden
wäre, müsste die Ergänzung als rechtzeitig erfolgt betrachtet werden,
da ein gegenteiliger Entscheid gegen den Grundsatz von Treu und
Glauben verstossen würde, der von den schweizerischen Behörden auch
im zwischenstaatlichen Verkehr zu beachten ist. Aus dem Umstand, dass
der ergänzende Tatsachenbericht erst, wie verlangt, am 11. März 1975
eingereicht wurde, darf daher nichts zu Ungunsten der britischen Behörden
abgeleitet werden.

    cc) Der zusätzliche Einwand Mifsuds, der nachträglich eingereichte
Tatsachenbericht könnte von einem englischen Gericht nicht als beglaubigte
Zusammenfassung des Sachverhaltes anerkannt werden und sei deshalb in
dieser Form nicht zu berücksichtigen, ist unbehelflich. Der schweizerische
Richter hat die Auslieferungsakten nicht in bezug auf ihre Vereinbarkeit
mit dem englischen Recht zu überprüfen, sondern nur abzuklären, ob sie
den Vorschriften des Auslieferungsvertrages genügen. Dass die ergänzende
Sachverhaltsdarstellung in irgendeiner Weise gegen die Vertragsbestimmungen
verstossen würde, wird mit Recht nicht behauptet.

    c) Aus der Darstellung des Sachverhaltes und den dem Verhaftsbefehl
beigelegten Zeugenaussagen ergibt sich, dass Thomas Smithson einer
Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Verbrechergruppen zum Opfer
fiel. Smithson soll offenbar bei Malteser Vereinigungen und Londoner
Kaffeehausbesitzern Schmiergelder eingezogen haben. Dabei geriet er in den
Tätigkeitsbereich von Mifsud, der zusammen mit Bernard Silver versuchte,
eine Kontrollorganisation über Spielkasinos und Bordelle aufzubauen. Um
den Rivalen aus aus dem Weg zu schaffen und zugleich die eigene Macht zu
demonstrieren, liess Mifsud, wie aus den Auslieferungsakten hervorgeht,
Smithson von Spampinato und Ellul erschiessen. Mifsud selbst soll den
beiden eine Schusswaffe und Munition übergeben haben, mit der die Tat
ausgeführt wurde.

    Die Qualifikation des Mordes (Art. 112 StGB) gegenüber dem einfachen
Tatbestand der vorsätzlichen Tötung (Art. 111 StGB) liegt in der besonders
verwerflichen Gesinnung oder der besonderen Gefährlichkeit des Täters. Das
Mifsud zur Last gelegte Verhalten offenbart eine besonders verwerfliche
Gesinnung. Sein kaltblütiger Entschluss, einen Rivalen um den Machtanspruch
über Londoner Vergnügungsetablissements aus dem Wege räumen zu lassen,
und die Absicht, mit dieser Tat gleichzeitig seine Stellung innerhalb der
Verbrechergruppen zu stärken, zeugen von einem besonders hohen Grad an
Skrupellosigkeit und ungehemmter Machtgier. Die Tat ist daher als Mord zu
qualifizieren, welcher, entsprechend der dafür angedrohten lebenslänglichen
Zuchthausstrafe, erst nach Ablauf von 20 Jahren verjährt (Art. 70 StGB).

    Francis Frank Mifsud ist deshalb sowohl wegen Anstiftung zu Meineid
wie auch wegen Mordes an Grossbritannien auszuliefern.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Einsprache von Francis Frank Mifsud wird abgewiesen und seine
Auslieferung an Grossbritannien bewilligt.