Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 101 IA 314



101 Ia 314

52. Auszug aus dem Urteil vom 24. September 1975 i.S. A. Betschart's Söhne
AG gegen Gemeinde Ingenbohl und Regierungsrat des Kantons Schwyz Regeste

    Art. 4 und 22ter BV; nachträgliche Baubewilligung.

    Für Bauten, die aufgrund einer besonderen bundesrechtlichen
Ermächtigung (Art. 164 Abs. 3 MO) ohne Baubewilligung errichtet worden
sind, kann nach Wegfall der ursprünglichen Zwecksetzung ein nachträgliches
Baubewilligungsverfahren durchgeführt werden.

Sachverhalt

    A.- Im Jahre 1941 errichtete das Eidg. Militärdepartement (EMD) in
der Gemeinde Ingenbohl/SZ auf einem Grundstück der Firma Fassbind & Schär
zwei Holzbaracken, die militärischen Zwecken dienten. Der Boden wurde vom
EMD lediglich gemietet und verblieb im Eigentum der genannten Firma. Die
beiden Baracken wurden gemäss Art. 164 Abs. 3 der Militärorganisation (MO)
aufgestellt, ohne dass dafür eine Baubewilligung eingeholt wurde. Am
10. Januar 1972 verkaufte die Firma Fassbind & Schär das fragliche
Grundstück an die Firma A. Betschart's Söhne AG. Am 27. September 1972
verkaufte sodann das EMD die beiden Baracken an die neue Eigentümerin
des Bodens.

    Am 20. Oktober 1972 gelangte die Firma A. Betschart's Söhne AG an
die Gemeinde Ingenbohl. Die Firma teilte mit, dass sie beabsichtige, eine
der Baracken teilweise als Einstellhalle für Lastenzüge auszubauen, und
ersuchte den Gemeinderat um die Bewilligung des geplanten Ausbaus. Der
Gemeinderat Ingenbohl beschloss, vorerst die rechtlichen Fragen des
Weiterbestehens der Bauten zu prüfen, nachdem die Baracken nicht mehr
ihrem ursprünglichen, militärischen Zweck dienten. Der Gemeinderat verfügte
daher, die Firma A. Betschart's Söhne AG habe für die beiden Bauten ein
normales Baugesuch einzureichen.

    Eine gegen diese Verfügung gerichtete Beschwerde wies der Regierungsrat
des Kantons Schwyz ab. Das Bundesgericht hat die gegen diesen Entscheid
erhobene staatsrechtliche Beschwerde der Firma A. Betschart's Söhne
AG abgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das EMD hat die beiden Baracken im Jahre 1941 aufgestellt, ohne
dafür um eine Baubewilligung nachzusuchen. Dazu war es auch gar nicht
verpflichtet, da mit der Erstellung der Baracken eine Arbeit ausgeführt
wurde, die der Landesverteidigung diente. Eine solche Arbeit darf nach
Art. 164 Abs. 3 MO keiner kantonalen Gebühr oder Bewilligung unterstellt
werden (s. nicht veröffentlichtes Urteil Schweizerische Eidgenossenschaft
gegen Kanton Luzern vom 23. Dezember 1952, E. 3). Diese Bestimmung enthält
einen Einbruch in das kantonale Recht, um dem Bund die Erfüllung der
verfassungsmässigen Aufgabe der Landesverteidigung zu ermöglichen und zu
erleichtern. Spätestens mit dem Verkauf der Baracken an die A. Betschart's
Söhne AG ist jedoch die militärische Zwecksetzung der Bauten und damit
auch der Grund für ihre privilegierte Behandlung weggefallen. Die beiden
Baracken unterstehen seit der Änderung ihrer Zwecksetzung uneingeschränkt
den Vorschriften des kantonalen und kommunalen Baurechts. Dies anerkennt
auch die Beschwerdeführerin. Ihrer Auffassung nach kann dies jedoch nicht
bedeuten, dass das formelle und materielle Baurecht nun nachträglich
noch durchzusetzen sei. Der vorliegende Sachverhalt müsse vielmehr so
beurteilt werden, wie wenn alte baurechtliche Vorschriften durch neue
ersetzt worden seien. In jenem Falle werde zu Recht nicht verlangt,
dass die bereits errichteten Bauten den neuen Vorschriften angepasst und
allenfalls beseitigt werden müssten. Aus diesem Grunde erübrige sich ein
nachträgliches Baubewilligungsverfahren hier wie dort.

    Diese Auffassung der Beschwerdeführerin trifft nicht zu. Wenn eine
Baute aufgrund einer Baubewilligung errichtet worden ist, so hat die
zuständige Behörde die Übereinstimmung des Projekts mit dem materiellen
Baurecht geprüft und durch die Bewilligung bejaht. Auf diesen Entscheid
kann sie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht zurückkommen. Für ein
zweites Bewilligungsverfahren in einem späteren Zeitpunkt ist insoweit
kein Platz. Wenn hingegen keine Baubewilligung eingeholt worden ist,
so ist ungeklärt, ob und inwieweit eine Baute mit den materiellen
Bauvorschriften übereinstimmt oder dagegen verstösst. Ein nachträgliches
Baubewilligungsverfahren ist in diesem Fall, entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin, keineswegs sinnwidrig. - Für die beiden Baracken
der Beschwerdeführerin ist eine Baubewilligung weder nachgesucht noch
erteilt worden. Die Bauten sind aber dennoch nicht eigenmächtig, sondern
von der Rechtsvorgängerin der Firma Betschart's Söhne AG gestützt auf eine
besondere bundesrechtliche Ermächtigung rechtmässig erstellt worden. Heute
sind jedoch die Voraussetzungen, an welche Art. 164 Abs. 3 MO diese
Privilegierung knüpft, nicht mehr vorhanden. Diese Besonderheit des
vorliegenden Falles ist zu bedenken, falls sich im Bewilligungsverfahren
ergeben sollte, dass die beiden ehemaligen Militärbaracken nicht entweder
den im Zeitpunkt ihrer Errichtung oder den im Zeitpunkt der Zweckänderung
gültigen kantonalen und kommunalen Bauvorschriften entsprechen. Damit ist
gesagt, dass die Beseitigung von Bauten, die aufgrund einer besonderen
bundesrechtlichen Ermächtigung erstellt worden sind, nach dem Wegfall ihrer
ursprünglichen Zwecksetzung nicht stets verfügt werden kann, wenn diese
Bauten mit den kantonalen und kommunalen Bauvorschriften nicht vollständig
übereinstimmen. Über die Einzelheiten einer solchen Beurteilung hat sich
das Bundesgericht heute nicht auszusprechen; auf jeden Fall aber ist es als
zulässig zu erachten, wenn die zuständige Behörde im vorliegenden Fall ein
nachträgliches Baubewilligungsverfahren durchführen will, in welchem die
aufgeworfenen Fragen geprüft und die entsprechenden Anordnungen getroffen
werden sollen.

    Unbegründet ist auch die Auffassung der Beschwerdeführerin, ein
nachträgliches Baugesuch für eine bereits erstellte Baute könne nur bei
Vorliegen einer besonderen gesetzlichen Grundlage verlangt werden. Das
Bundesgericht hat in BGE 100 Ia 345 festgehalten, dass der Abbruch einer
widerrechtlich erstellten Baute auch ohne ausdrückliche gesetzliche
Grundlage angeordnet werden könne. Das Gleiche muss nach dem Gesagten
für die Verpflichtung gelten, ein Baugesuch für eine Baute einzureichen,
die zwar rechtmässig, aber doch ohne Baubewilligung erstellt worden ist,
wenn die Voraussetzungen für die Befreiung dieser Baute vom formellen
und materiellen Baurecht entfallen sind.