Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 V 83



100 V 83

21. Urteil vom 26. August 1974 i.S. Lips gegen Eidgenössössische
Militärversicherung und Versicherungsgericht des Kantons Zürich Regeste

    Zusammenfallen von Renten der In validenversicherung mit solchen
der obligatorischen Unfallversicherung oder Militärversicherung (Art.
45 Abs. 1 IVG und Art. 39bis Abs. 4 IVV). Kürzungsverfahren, wenn die
Ehefrau nach Art. 33 Abs. 3 IVG Anspruch auf die halbe Ehepaarrente hat.

Sachverhalt

    A.- Der 1911 geborene Versicherte leidet an Myeloencephalitis nach
TPT-Impfung sowie an schwerer neurozirkulatorischer Dystonie. Wegen
völliger Erwerbsunfähigkeit bezieht er seit Jahren eine Rente der
Eidgenössischen Militärversicherung (MV) sowie eine Invalidenrente. Für
die Zeit ab 1. Januar 1973 ermittelte die MV bei einem massgebenden
Jahresverdienst von Fr. 25 764.-- eine Rente von Fr. 1824.95 im Monat,
kürzte diese jedoch im Sinne von Art. 45 IVG um Fr. 277.95, nachdem sich
zusammen mit der Rente der Invalidenversicherung (Ehepaar-Invalidenrente
von Fr. 600.-- im Monat) Bezüge ergeben hätten, welche den entgangenen
Ver dienst überstiegen.

    Der Versicherte erhob hiegegen Einspruch mit der Begründung, die
Ehepaar-Invalidenrente - welche mit Wirkung ab 1. September 1973 nach
Art. 33 Abs. 3 IVG zwischen den Ehepartnern aufgeteilt wurde - sei nur
zur Hälfte anzurechnen, womit eine Kürzung der Militärrente entfalle. Mit
Verfügung vom 15. November 1973 hielt die MV unter Hinweis auf Art. 39bis
Abs. 4 IVV an ihrem Entscheid fest.

    B.- Der Betroffene beschwerte sich bei der kantonalen Rekursinstanz
mit dem Begehren, die Rente der MV sei ihm ab 1. September 1973
ungekürzt auszurichten. Die der Ehefrau zustehende halbe Ehepaarrente
sei rechtlich als ihr Sondergut zu betrachten. Art. 39bis IVV lasse
unberücksichtigt, dass der Ehefrau nach den geänderten Bestimmungen des
IVG ein selbständiger Rechtsanspruch auf die halbe Ehepaarrente zustehe;
die Verordnungsbestimmung sei daher rechtswidrig.

    Mit Entscheid vom 28. Februar 1974 wies das Versicherungsgericht des
Kantons Zürich die Beschwerde ab. Anlässlich der auf den 1. Januar 1973
erfolgten Änderung von Art. 33 Abs. 3 IVG sei bewusst auf eine Anpassung
von Art. 39bis IVV verzichtet worden. Dies rechtfertige sich schon deshalb,
weil der Ehemann im Ausmass der an die Ehefrau ausbezahlten halben Rente
von seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht befreit werde. Eine andere
Regelung würde zu einer ungleichen Behandlung der Versicherten führen
und die Kürzung der Militärrente von der zufälligen Geltendmachung des
Teilungsanspruches durch die Ehefrau abhängig machen.

    C.- Der Versicherte lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben. In
der Begründung hält er daran fest, mit der auf den 1. Januar 1973
erfolgten Änderung von Art. 33 Abs. 3 IVG sei die Verordnungsbestimmung
von Art. 39bis IVV rechtswidrig und damit unbeachtlich geworden, soweit
sie nicht berücksichtige, dass die Ehefrau des Bezügers einer Ehepaarrente
einen selbständigen Rechtsanspruch auf die Hälfte der Rente besitze. Nach
ihrem Wortlaut beziehe sich die Kürzungsbestimmung des Art. 45 Abs. 1
IVG auf die Bezüge des Rentenberechtigten, nicht dagegen auf die von der
Ehefrau beanspruchte halbe Ehepaarrente, welche Sondergut der Ehefrau
darstelle. Bei der Rentenkürzung sei daher nur die dem Ehemann zustehende
Hälfte der Ehepaarrente in Rechnung zu stellen. Nachdem der Bundesrat es
unterlassen habe, die Verordnungsbestimmung an die veränderte Rechtslage
anzupassen, sei es Sache des Richters, diesem Umstand Rechnung zu tragen.

    Die MV beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 45 Abs. 1 IVG werden die Renten der obligatorischen
Unfallversicherung und der Militärversicherung gekürzt, soweit sie zusammen
mit der Rente der Invalidenversicherung den entgangenen mutmasslichen
Jahresverdienst übersteigen. Gestützt auf eine am 1. Januar 1968 in Kraft
getretene Ermächtigungsnorm (Art. 45 Abs. 3 IVG) hat der Bundesrat in
Art. 39bis IVV hiezu Ausführungsvorschriften erlassen. Gemäss Abs. 4
dieser Bestimmung ist bei Ablösung der einfachen Invalidenrente
durch eine Ehepaar-Invalidenrente lediglich jenes Rentenbetreffnis
anzurechnen, "das zu diesem Zeitpunkt der Ehepaar-Invalidenrente
zuzüglich allfälliger Zusatzrenten, berechnet allein aus den Beiträgen
des Versicherten, entsprochen hätte". Keine ausdrückliche Regelung findet
sich hinsichtlich der im vorliegenden Fall zu beurteilenden Rechtsfrage,
ob eine nach Art. 33 Abs. 3 IVG aufgeteilte Ehepaar-Invalidenrente auch
bezüglich der der Ehefrau ausgerichteten Rentenhälfte in die Kürzung
einzubeziehen sei. Die Frage erhebt sich in gleicher Weise auch bezüglich
der Altersrenten (vgl. Art. 22 Abs. 2 AHVG und Art. 48 AHVG in Verbindung
mit Art. 66quater AHVV).

Erwägung 2

    2.- Anlässlich der auf den 1. Januar 1973 erfolgten Einführung des
uneingeschränkten Teilungsanspruches der Ehefrau gemäss Art. 22 Abs. 2 AHVG
und Art. 33 Abs. 3 IVG wurden auch die Auswirkungen dieser Änderung auf
die Kürzungsbestimmungen der Art. 48 AHVG und 45 IVG in Betracht gezogen.
In der Botschaft des Bundesrates zur 8. AHV-Revision heisst es hiezu,
die Neuregelung habe "voraussichtlich auch Auswirkungen auf... die
Kürzung der Renten der obligatorischen Betriebsunfallversicherung
oder der Militärversicherung. Im Hinblick auf den virtuellen Anspruch
der Ehefrau auf die halbe Rente, den sie nach freiem Belieben geltend
machen kann, stellt sich die Frage, ob bei der Berechnung des für die
Rentenkürzung massgebenden Betrages die ganze Ehepaarrente angerechnet
werden darf. Nötigenfalls ist in den Vollzugsbestimmungen eine Regelung
zu treffen, wofür der Bundesrat gemäss Art. 48 Abs. 3 AHVG und Art.. 45
Abs. 3 IVG die Befugnis besitzt" (BBl 1971 II S. 1091).

    Wie das Bundesamt für Sozialversicherung in einer Stellungnahme
zuhanden der MV vom 19. Oktober 1973 ausführt, wurde in der Folge gemäss
einem Beschluss der Eidgenössischen AHV/IV-Kommission auf eine Änderung
der Kürzungsbestimmungen verzichtet in der Meinung, eine Nichtanrechnung
der von der Ehefrau beanspruchten halben Ehepaarrente würde zu stossenden
Überversicherungen führen und sei auch deshalb nicht gerechtfertigt,
weil der Ehemann im Umfange der an die Ehefrau ausbezahlten Rente von
seiner Unterhaltspflicht befreit werde. Damit erweist sich der vom
Beschwerdeführer erhobene Einwand, die Anpassung der Bestimmung von
Art. 39bis IVV sei versehentlich unterlassen worden, als unbegründet. Der
Beschwerdeführer kann sich umso weniger auf die Ausführungen in der
Botschaft vom 11. Oktober 1971 berufen, als die streitige Rechtsfrage
dort lediglich erwähnt, nicht aber konkret beantwortet wird. Im übrigen
ist darauf hinzuweisen, dass sich das Problem bereits unter der Herrschaft
der altrechtlichen Bestimmung von Art. 33 Abs. 3 IVG stellte und durch die
Gesetzesänderung lediglich im Geltungsbereich erweitert worden ist. Den
Ausführungen in der bundesrätlichen Botschaft kommt daher auch aus diesem
Grunde nur beschränkte Bedeutung zu.

Erwägung 3

    3.- Das Rentensystem der AHV und IV folgt weitgehend der
familienrechtlichen Konzeption des Zivilgesetzbuches und ist, was die
versicherungsrechtliche Stellung Verheirateter anbetrifft, in besonderem
Masse von der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht des Ehemannes geprägt
(Art. 160 Abs. 2 ZGB). Mit der Einführung des voraussetzungslosen
Teilungsanspruches der Ehefrau bei Ehepaarrenten erfolgte zwar eine
Änderung in Richtung einer Gleichstellung der Geschlechter. Danach
kann die Ehefrau die Ehepaarrente, welche bisher grundsätzlich dem
Ehemann zugestanden hat, zur Hälfte in eigenem Namen beanspruchen. Der
Verfügungsanspruch eines jeden Rentenbezügers findet indessen eine Schranke
in der allgemeinen Zweckbestimmung der Rentenleistungen, welche darin
besteht, dem Versicherten bzw. dessen Hinterlassenen den Lebensunterhalt
zu gewährleisten bei Wegfall des Erwerbseinkommens zufolge Alters,
Todes oder Invalidität. Kraft ausdrücklicher Gesetzesvorschrift (Art.
45 AHVG und Art. 76 AHVV sowie Art. 50 IVG) kann die Verfügungsbefugnis
des Rentenberechtigten denn auch eingeschränkt werden, sofern dieser die
Rente nicht für den Unterhalt seiner selbst und der Personen verwendet,
für welche er zu sorgen hat. Zudem ist der Rentenanspruch nach Art. 20 AHVG
und Art. 50 IVG unabtretbar, unverpfändbar und der Zwangsvollstreckung
entzogen. Diese Bestimmungen gelten auch hinsichtlich des Anspruchs der
Ehefrau auf die halbe Ehepaarrente, weshalb die Rente nur unter diesen
Einschränkungen Sondergut der Ehefrau darstellt. Im übrigen ändert die
getrennte Ausrichtung der Ehepaarrente grundsätzlich nichts an deren
sozialer Zweckbestimmung, welche den allgemeineren zivilrechtlichen Regeln
vorzugehen hat.

Erwägung 4

    4.- Aus dem Gesagten ergibt sich, dass im Rentenkürzungsverfahren
gemäss Art. 45 IVG (Art. 48 AHVG) - vorbehältlich Art. 39bis Abs. 4 IVV
(Art. 66quater Abs. 4 AHVV) - stets die ganze Ehepaarrente anzurechnen
ist. Wie die Vorinstanz mit Recht ausführt, lässt sich nur auf diese Weise
eine Gleichbehandlung der Versicherten gewährleisten. Andernfalls würde
die Rentenkürzung von der sachlich und rechtlich nicht zu begründenden
Zufälligkeit abhängen, ob die Ehefrau ihren Teilungsanspruch nach
Art. 33 Abs. 3 IVG bzw. Art. 22 Abs. 2 AHVG geltend macht oder nicht. Die
streitige Verordnungsbestimmung ist daher auch unter dem Gesichtspunkt
des auf den 1. Januar 1973 erweiterten Teilungsanspruches der Ehefrau
nicht zu beanstanden.

Erwägung 5

    5.- Hieran vermag auch der Hinweis des Beschwerdeführers auf den
Wortlaut von Art. 45 IVG nichts zu ändern. Der Ehemann, dessen Frau die
Teilung der Ehepaarrente beansprucht, bleibt zwar lediglich für die halbe
Rente bezugsberechtigt. Beim Rentenanspruch der Ehefrau handelt es sich
jedoch insofern lediglich um einen abgeleiteten Anspruch, als dieser vom
Bestand des Grundanspruches abhängig bleibt. Es rechtfertigt sich daher,
unter dem gesetzlichen Ausdruck des "Rentenberechtigten" gemäss Art. 45
IVG denjenigen Versicherten zu verstehen, bei welchem der Grundanspruch
gegeben ist. Somit steht auch der Wortlaut von Art. 45 IVG einer Anrechnung
der ganzen Ehepaarrente nicht entgegen.

Entscheid:

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: Die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.