Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 V 1



100 V 1

1. Urteil vom 24. April 1974 i.S. H. gegen Schweizerische
Krankenkasse Helvetia sowie Brunner und Schiedsgericht in
Krankenversicherungsstreitigkeiten des Kantons Zürich Regeste

    Art. 128 und 129 Abs. 1 lit. b OG. Befugnis des Eidg.
Versicherungsgerichts zur Überprüfung von Schiedsgerichtsentscheiden
nach Art. 25 KUVG über die Anwendung kantonaler Rahmentarife (Art. 22bis
KUVG) im Einzelfall (Erw. 1).

    Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 lit. a KUVG. Bedeutung der Tarifposition
"Konsultation" im Rahmen des bundesrechtlichen Begriffs der "ärztlichen
Behandlung" (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Die 1903 geborene Rosa Brunner ist Mitglied der Krankenkasse
Helvetia. Am 24. Januar 1972 stellte ihr Dr. med. H. eine Rechnung im
Betrage von Fr. 395.-- für ärztliche Behandlung in der Zeit vom 21.
September 1971 bis 20. Januar 1972. Der Arzt verrechnete unter anderem
32mal Position 9 (Konsultation im Hause des Arztes bei Tag) sowie 2mal
Position 16c (erstmalige internistische Untersuchung) der ab 1. April
1969 gültigen Krankenkassen-Taxordnung des Kantons Zürich.

    Die Krankenkasse beanstandete die Rechnung bei der (gemäss
Vereinbarung zwischen dem kantonalen Verband der Krankenkassen und
der Gesellschaft der Ärzte des Kantons Zürich) als Schiedsinstanz
tätigen "Blauen Kommission". Sie machte geltend, es hätten insgesamt
nur 6 ärztliche Konsultationen stattgefunden; im übrigen seien die
Injektionen von der Arztgehilfin vorgenommen worden und könnten daher
nicht zur Konsultationstaxe verrechnet werden. Ferner könne während der
verhältnismässig kurzen Behandlungsdauer nur einmal Position 16c vergütet
werden. Die "Blaue Kommission" hielt den Einwand in diesem letzten
Punkt für berechtigt, schützte die Arztrechnung dagegen hinsichtlich
der Verrechnung der Konsultationstaxe für die von der Arztgehilfin
durchgeführten Injektionen.

    Die von der Krankenkasse hierauf angerufene "Paritätische
Vertrauenskommission" gelangte wegen Stimmengleichheit zu keinem Entscheid.

    B.- Die Krankenkasse erhob Klage beim kantonalen Schiedsgericht in
Krankenversicherungsstreitigkeiten mit dem Antrag, Dr. med. H. sei zu
verhalten, den Betrag von Fr. 192.40, entsprechend 26 Konsultationstaxen,
zurückzuerstatten.

    Mit Entscheid vom 22. Mai 1973 hiess das Schiedsgericht die Klage
gut. Unter dem Begriff "Konsultation" sei sowohl nach allgemeinem
Sprachgebrauch wie auch nach zürcherischer Krankenkassen-Taxordnung
eine vom Arzt selbst zu erbringende Leistung zu verstehen. Eine
Konsultationstaxe könne daher nicht verrechnet werden, wenn der Arzt
den Patienten überhaupt nicht gesehen habe und die Massnahme durch eine
Hilfsperson durchführen lasse. Dies werde ausdrücklich bestätigt durch die
Bestimmungen der Taxordnung betreffend die Vergütung für physikalische
Therapie. Danach könne eine Konsultationstaxe nur verrechnet werden,
wenn neben der Überwachung des Hilfspersonals vom Arzt vorgenommene
Untersuchungen und Behandlungen notwendig seien. Diese Vorschrift stelle
keine Ausnahmeregelung dar; sie bilde vielmehr Ausdruck eines allgemeinen
Grundsatzes, der auch im vorliegenden Fall zu beachten sei.

    C.- Dr. H. lässt rechtzeitig Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben. In
der Begründung führt er im wesentlichen aus, nach der Taxordnung umfasse
der Begriff "Konsultation" nicht notwendigerweise ein persönliches
Tätigwerden des Arztes. Aus § 3 der Taxordnung ergebe sich vielmehr
"eine zwingende Kombination von Entschädigungen für Einzelleistungen und
für die Grundleistung". Dafür spreche der niedrige Vergütungsansatz für
Injektionen, welcher nur in Verbindung mit der Konsultationstaxe zu einer
angemessenen Entschädigung führe. Eine andere Lösung rechtfertige sich auch
deshalb nicht, weil der Arzt nach Art. 101 OR die gleiche Verantwortung
trage, wenn er die Behandlung durch Hilfspersonen durchführen lasse.

    Krankenkasse und Bundesamt für Sozialversicherung beantragen Abweisung
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Die Begründung ergibt sich, soweit
erforderlich, aus den nachstehenden Erwägungen.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Nach Art. 128 und Art. 97 Abs. 1 OG beurteilt das
Eidg. Versicherungsgericht letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden
gegen Verfügungen im Sinne von Art. 5 VwG. Als solche gelten Anordnungen
der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes
stützen und bestimmte Voraussetzungen hinsichtlich ihres Gegenstandes
erfüllen.

    Die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde richtet sich gegen
einen Entscheid des kantonalen Schiedsgerichts im Sinne von Art. 25
KUVG, somit gegen eine Verfügung nach Art. 5 VwG. Die Verfügung hat eine
Auslegungsfrage im Zusammenhang mit der vom Regierungsrat des Kantons
Zürich erlassenen Krankenkassen-Taxordnung zum Gegenstand. Diese
stellt einen kantonalrechtlichen Erlass dar, welcher sich auf eine
Delegationsnorm des Bundesrechts stützt (Art. 22bis KUVG). Das
Eidg. Versicherungsgericht ist daher befugt, Verfügungen, welche die
Anwendung des Tarifes betreffen, auf Übereinstimmung mit dem Bundesrecht zu
überprüfen. Dem steht die Bestimmung von Art. 129 Abs. 1 lit. b OG nicht
entgegen, da hievon lediglich "Verfügungen über Tarife" (insbesondere
deren Genehmigung) betroffen sind. Dafür spricht auch die Unzulässigkeit
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach lit. e gegen Verfügungen über
"die Zuteilung von Betrieben in die Tarifklassen der obligatorischen
Unfallversicherung" (Art. 102 ff. KUVG); eine besondere Bestimmung
über den Ausschluss dieser Verfügungen von der verwaltungsgerichtlichen
Überprüfbarkeit hätte sich erübrigt, wenn der Ausschlussgrund des Art. 129
Abs. 1 lit. b OG gleichzeitig die Anwendung von Tarifen im Einzelfall
umfassen würde.

    b) Im vorliegenden Verfahren geht es primär um die tarifliche Bewertung
einer ärztlichen Leistung und nicht um eine Versicherungsleistung. Das
Eidg. Versicherungsgericht kann daher die Angemessenheit des Entscheides
nicht überprüfen und ist an die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung
gebunden, soweit diese nicht offensichtlich mangelhaft ist (Art. 104 und
105 OG in Verbindung mit Art. 132 OG). Die Sachverhaltsfeststellung wird
mit Recht von keiner Seite bestritten. Deshalb ist der vorinstanzliche
Entscheid lediglich auf Verletzung von Bundesrecht einschliesslich
Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens zu überprüfen.

Erwägung 2

    2.- a) Streitig ist, ob der Beschwerdeführer berechtigt war, für
die von der Arztgehilfin selbständig vorgenommenen Injektionen ausser
der hiefür geltenden Taxe (Position 19 bzw. 26 b und d der Taxordnung)
auch jene für Konsultationen (Position 9) zu verrechnen.

    Dies ist zunächst eine Frage der Auslegung der kantonalen Taxordnung,
insbesondere des darin enthaltenen Begriffs der "Konsultation". Berührt
werden damit aber auch die bundesrechtlichen Begriffe der "ärztlichen
Behandlung" (Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 lit. a KUVG) bzw. der "ärztlichen
Leistung" (Art. 22 Abs. 1 KUVG). Diese Rechtsbegriffe werden im Gesetz
nicht näher umschrieben; aus der Bestimmung von Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1
KUVG geht aber hervor, dass als "ärztliche Behandlung" nur Massnahmen
gelten, die vom Arzt selbst, nicht dagegen solche, die von medizinischen
Hilfspersonen selbständig durchgeführt werden. Gemäss Praxis fallen unter
den Begriff der "ärztlichen Behandlung" allerdings auch Massnahmen, die
unter direkter Kontrolle des Arztes durch dessen eigenes Hilfspersonal
vorgenommen werden (vgl. BONER/HOLZHERR, Die Krankenversicherung,
Bern 1969, S. 43). Damit von einer ärztlichen Behandlung im Sinne des
Gesetzes gesprochen werden kann, wird jedoch vorausgesetzt, dass der Arzt
anlässlich der Durchführung der Massnahme in persönlichen Kontakt zum
Patienten tritt. Das Bundesamt für Sozialversicherung weist in diesem
Zusammenhang mit Recht darauf hin, dass nur unter dieser Voraussetzung
Gewähr dafür besteht, dass der Arzt unverzüglich eingreifen oder auf eine
angeordnete Massnahme zurückkommen kann, wenn sich dies aus besonderen
Gründen als notwendig erweisen sollte.

    Der kantonale Entscheid, wonach die ohne Mitwirkung des Arztes
durchgeführten Injektionen nicht als Konsultationen verrechnet werden
dürfen, verletzt somit in keiner Weise Bundesrecht. Ebensowenig kann gesagt
werden, die Vorinstanz habe das ihr zustehende Ermessen überschritten
oder missbraucht.

    b) Was der Beschwerdeführer hiegegen vorbringt, vermag nicht zu einem
anderen Ergebnis zu führen. Unbehelflich ist namentlich der Hinweis
auf die Bestimmung des Obligationenrechts betreffend die Haftung für
Hilfspersonen (Art. 101 OR). Dem Arzt steht es frei, seiner Verantwortung
dadurch Rechnung zu tragen, dass er die Durchführung der Massnahme
persönlich überwacht bzw. mit einer Konsultation verbindet. Tut er dies,
so kann er den zusätzlichen Aufwand - unter Vorbehalt des Gebots einer
wirtschaftlichen Behandlungsweise (Art. 23 KUVG) - verrechnen. Dagegen
vermag die Haftbarkeit des Arztes als solche eine tarifliche Gleichstellung
der vom Hilfspersonal allein vorgenommenen mit den vom Arzt selbst oder
unter seiner persönlichen Kontrolle durchgeführten Massnahmen nicht zu
rechtfertigen.

    c) Der Beschwerdeführer macht des weitern geltend, bei der Vornahme
von Injektionen gelange der Arzt auf Grund der Taxordnung nur zu einer
angemessenen Entschädigung, wenn er gleichzeitig eine Konsultation
verrechnen könne. Es mag zwar zutreffen, dass die tariflichen
Ansätze für Injektionen im Vergleich zu anderen Tarifpositionen als
verhältnismässig niedrig erscheinen. Hierin liegt jedoch keine Verletzung
von Bundesrecht. Es handelt sich vielmehr ausschliesslich um eine Frage
der Angemessenheit, welche das Eidg. Versicherungsgericht, wie in Erwägung
1 b ausgeführt, im vorliegenden Verfahren nicht zu überprüfen hat.

Entscheid:

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: Die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.