Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IV 9



100 IV 9

3. Urteil des Kassationshofes vom 7. Juni 1974 i.S. Staatsanwaltschaft des
Kantons Schwyz gegen Ochsner. Regeste

    Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB. Bedingter Strafvollzug bei Fahren in
angetrunkenem Zustand. Bestätigung der Rechtsprechung.

Sachverhalt

    A.- Am Nachmittag des 1. August 1972 besuchte Alois Ochsner mehrere
Wirtschaften, in denen er wiederholt Alkohol genoss. Er wusste, dass er
nachher mit dem Wagen nach Hause fahren würde. Gegen 19 Uhr setzte er
sich in einem schweren Rausch (2,6é) ans Steuer, obwohl der Wirt Kälin
ihn auf seinen Zustand hingewiesen und aufgefordert hatte, sein Fahrzeug
nicht mehr zu lenken.

    B.- Am 29. Mai 1973 verurteilte das Bezirksgericht Einsiedeln
Ochsner wegen Führens in angetrunkenem Zustand zu 50 Tagen Gefängnis und
Fr. 500.--- Busse. Es gewährte ihm den bedingten Strafvollzug.

    Am 28. Januar 1974 änderte das Kantonsgericht Schwyz den
erstinstanzlichen Entscheid dahin ab, dass es die Gefängnisstrafe auf 30
Tage herabsetzte. Im übrigen bestätigte es das Urteil.

    C.- Die StaatsanWaltschaft Schwyz führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem
Antrag, das Urteil des Kantonsgerichts aufzuheben, soweit es den Vollzug
der Freiheitsstrafe aufschiebt und die bedingte Löschung der Busse gewährt,
und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Ochsner beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach ständiger Rechtsprechung darf angetrunkenen
Motorfahrzeugführern der bedingte Strafvollzug nur mit grosser
Zurückhaltung gewährt werden. Es ist eine allgemein bekannte Tatsache,
dass die Fahrtüchtigkeit schon durch geringe Mengen Alkohol beeinträchtigt
wird. Wer sich darüber hinwegsetzt und trotz der vielfältigen öffentlichen
Warnungen sich antrinkt, obwohl er weiss, dass er sich nachher ans Steuer
setzen wird, bekundet in der Regel eine Gesinnung, die als hemmungs-
und rücksichtslos bezeichnet werden muss und auf einen Charakterfehler
schliessen lässt. Deshalb sind an die Gewähr, die ein nach Art. 91
Abs. 1 SVG Verurteilter für künftiges Wohlverhalten bieten muss, auch
dann hohe Anforderungen zu stellen, wenn sich der Täter zum ersten Mal
wegen Angetrunkenheit zu verantworten hat und sein allgemeiner Leumund und
seine bisherige Führung als Motorfahrzeuglenker nicht zu beanstanden sind.
Hiebei ist auf Grund einer Gesamtwürdigung aller erheblichen Tatsachen zu
entscheiden, ob der Verurteilte für dauerndes Wohlverhalten Gewähr biete
oder nicht (BGE 98 IV 160 mit Verweisungen). Zu den in Betracht fallenden
Tatumständen gehört der Grad der Angetrunkenheit. Zwar kommt einem
bestimmten Blutalkoholgehalt nicht die Bedeutung eines Grenzwertes in dem
Sinne zu, dass die Gewährung oder Verweigerung des bedingten Strafvollzuges
ausschliesslich von ihm abhinge. Es wird jedoch im allgemeinen der Vorwurf
der rücksichtslosen Gesinnung umso begründeter erscheinen, je grösser
der Grad der Alkoholisierung des Täters ist. Deshalb müssen besondere
individuelle Verhältnisse und Umstände den Schluss rechtfertigen, dass die
Tat eine einmalige Entgleisung sei, um auch bei schwerer Angetrunkenheit
noch eine günstige Prognose möglich zu machen (BGE 98 IV 162).

Erwägung 2

    2.- Nach der verbindlichen Feststellung des Kantonsgerichtes ist der
Beschwerdegegner mit dem Auto nach Einsiedeln gefahren im Bewusstsein,
dass er im Verlaufe des Nachmittags oder des Abends noch nach Hause
fahren würde. Er wäre deshalb verpflichtet gewesen, dem Rechnung zu
tragen und sich im Genuss alkoholischer Getränke zurückzuhalten. Wie die
Vorinstanz indessen anerkennt, hat er sich über dieses Gebot "leichthin
hinweggesetzt", und sie hat denn auch festgehalten, dass die Tatumstände,
namentlich der Grad der Alkoholisierung und die Verkehrsgefährdung sowie
die Tatsache, dass er sich mit dem Auto auf die "Wirtschaftstour" begeben
habe, objektiv und subjektiv schwer ins Gewicht fielen. Das trifft in
der Tat zu, wenn man berücksichtigt, dass sich Ochsner ohne besonderen
Anlass zu diesem Verhalten hinreissen liess und obschon er bereits einmal
wegen Führens in angetrunkenem Zustand hatte bestraft werden müssen.
Wenn diese Verurteilung auch ins Jahr 1963 zurückreicht, so ist sie
doch nicht belanglos (BGE 76 IV 73, 171; 79 IV 161; 93 IV 3 Nr. 1;
98 IV 82). Das Kantonsgericht meint, den bedingten Strafvollzug dennoch
gewähren zu können, weil er bei einem Ersttäter, dem der Beschwerdegegner
gleichgestellt werden könne, nur bei "besonderer Schwere" der neuen
Tat verweigert werden dürfe. Diese Auffassung findet im Gesetz keinen
Anhalt. Nach Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB "kann" der Richter unter
den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen den Vollzug einer
Freiheitsstrafe von nicht mehr als 18 Monaten aufschieben, mit anderen
Worten, es ist auch für Freiheitsstrafen von geringer Dauer der bedingte
Strafvollzug zu verweigern, wenn eine der gesetzlichen Voraussetzungen
fehlt. Diese Folge kann also schon bei einer Strafe eintreten, die nach
ihrer Art und Dauer als Sanktion für eine Tat ausgefällt wurde, die an
sich nicht von besonderer Schwere war. Das hängt mit der Tatsache zusammen,
dass die Prognose durch die Person des Täters, seinen Charakter und seine
Anlagen bedingt ist. Wo dieser wegen seiner persönlichen Verhältnisse
keine zureichende Gewähr für eine dauernde Besserung bietet, geht er des
bedingten Strafvollzuges verlustig, unbekümmert darum, ob im konkreten Fall
die Tat selber besonders schwer wiegt. Daraus erhellt, dass die Vorinstanz
von einer unzutreffenden rechtlichen Überlegung ausgegangen ist, was zur
Aufhebung des Urteils führen muss.

Erwägung 3

    3.- Nach dem Gesagten steht fest, dass die Tatumstände schwer
wiegen, namentlich der hohe Grad der Alkoholisierung erheblich ins
Gewicht fällt und nach der angeführten Rechtsprechung den Schluss auf
eine Charakterschwäche nahelegt. Diese Folgerung könnte nur vermieden
werden, wenn wie dargetan, besondere individuelle Verhältnisse und
Umstände sie zu entkräften vermöchten. Solche besonderen Gründe, die
derart erheblich wären, dass sie die Schwere der Belastungsmomente im
Rahmen einer Gesamtwürdigung aufzuwiegen vermöchten, liegen nicht vor.

    Der von der Vorinstanz angeführte Umstand, dass der Beschwerdeführer
nur über eine kurze Strecke gefahren ist, um zu seinem Wohnsitz zu
gelangen, hilft nicht. Einmal stellt das Kantonsgericht selber fest, es
handle sich dabei um eine regelmässig intensiv befahrene Strecke, und zum
andern wäre es gerade bei der Kürze des Heimwegs dem Beschwerdeführer
besonders zumutbar gewesen, auf den Gebrauch des Motorfahrzeugs zu
verzichten. Gründe der Bequemlichkeit haben in jedem Fall vor der
Sicherheit des Verkehrs zurückzutreten.

    Die Tatsache, dass Ochsner sich im Zeitpunkt, da er vom Wirt
aufgefordert wurde, wegen seines Zustandes nicht mehr mit dem Auto zu
fahren, bereits in einem schweren Rausch befand und nicht mehr in der Lage
war, den Ernst und die Berechtigung der Warnung zu erkennen, kann nicht
als ein besonderer Umstand im Sinne der Rechtsprechung zu seinen Gunsten
wirken. Dass Vorleben und Leumund des Beschwerdeführers nur unwesentlich
getrübt sind (drei Strafregistereinträge aus den Jahren 1962/63),
genügt nicht, um den durch die schwerwiegenden Tatumstände geschaffenen
negativen Eindruck aufzuwiegen. Je schwerer ein Belastungsmoment ist,
desto erheblicher muss auch der für den Täter sprechende Grund sein,
um bei gesamthafter Würdigung eine günstige Voraussage für die Zukunft
zu rechtfertigen.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene
Entscheid aufgehoben und die Sache zur Verweigerung des bedingten
Strafvollzugs und der bedingt vorzeitigen Löschbarkeit der Busse an die
Vorinstanz zurückgewiesen.