Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IV 219



100 IV 219

56. Urteil des Kassationshofes vom 6. Dezember 1974 i.S.
Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen gegen Biller. Regeste

    Art. 137 Ziff. 2 und Art. 139 Ziff. 2 StGB: qualifizierter Diebstahl
bzw. Raub.

    1.  Bandenmässigkeit ist erst anzunehmen, wenn der Wille der Täter
auf die gemeinsame Verübung einer Vielheit von Diebstählen oder Raubtaten
gerichtet ist (Erw. 2).

    2.  Besondere Gefährlichkeit des Täters (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Brüder Helmut und Karl Biller sowie Beat Alder kamen, da
sie keiner geregelten Arbeit nachgingen und deshalb mittellos waren,
am 5. Dezember 1973 überein, sich ins Ausland abzusetzen und das Geld
für die Flucht durch einen Raubüberfall auf das Postbüro Beggingen zu
beschaffen. Die hiefür nach einem genau festgelegten Plan benötigten
Waffen samt Munition sollten durch einen Einbruch in ein nahegelegenes
Schützenhaus erbeutet werden. Zu diesem Zwecke entwendeten sie am Abend
desselben Tages in Schaffhausen einen Personenwagen und fuhren damit
nach Schleitheim, wo sie in einen Pistolenstand einbrachen, aber weder
Waffen noch Munition fanden. Alsdann drangen sie ein wenig später in den
Schiessstand Schaffhausen-Buchthalen ein, doch fiel ihnen auch dort das
Gesuchte nicht in die Hände. Daraufhin versuchten sie ein drittes Mal, sich
Waffen und Munition zu beschaffen, indem sie in den Schiessstand Fluringen
einbrachen. Als ihr Vorhaben auch hier erfolglos endete, brachen sie ihre
Bemühungen vorläufig ab. Da die Brüder Biller ein Flobertgewehr sowie eine
Schreckschusspistole besassen und Alder inzwischen bei einem Bekannten
eine Ordonnanzpistole gestohlen hatte, entwendeten die drei am Abend des
6. Dezember 1973 erneut einen Personenwagen, um den geplanten Überfall
durchzuführen. In Beggingen angekommen, stellten sie sich in der Nähe des
Postbüros bewaffnet und maskiert auf, um vereinbarungsgemäss die Familie
des Posthalters zu bedrohen und von ihm das Geld herauszuverlangen. Der
Überfall scheiterte jedoch am Zwischenruf eines argwöhnisch gewordenen
Nachbarn, weshalb die Täter nach Schaffhausen zurückgekehrt sind.

    B.- Mit Urteil vom 3. April 1974 sprach das Kantonsgericht Schaffhausen
Helmut Biller des wiederholten unvollendeten Diebstahlsversuchs, des
unvollendeten Raubversuchs sowie weiterer Delikte schuldig und verurteilte
ihn zu 18 Monaten Gefängnis und einer Busse von Fr. 75.-. Es rechnete dem
Verurteilten 108 Tage Untersuchungs- und Sicherheitshaft an und gewährte
ihm den bedingten Strafvollzug mit einer Probezeit von drei Jahren.

    Auf Appellation der Staatsanwaltschaft bestätigte das Obergericht
des Kantons Schaffhausen am 5. Juli 1974 den erstinstanzlichen Entscheid.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen führt
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, die Sache zur Verurteilung
wegen bandenmässigen unvollendeten Raub- und Diebstahlsversuchs an das
Obergericht zurückzuweisen.

    Biller beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 137 Ziff. 2 Abs. 2 und 139 Ziff. 2 Abs. 3 StGB macht
sich des bandenmässigen Diebstahls bzw. Raubes schuldig, wer die Tat als
Mitglied einer Bande ausführt, die sich zur fortgesetzten Verübung von
Diebstahl oder Raub zusammengefunden hat.

    Bandenmässigkeit im Sinne des Gesetzes ist nur dann anzunehmen,
wenn zwei oder mehrere Täter sich mit dem ausdrücklich oder konkludent
geäusserten Willen zusammenfinden, inskünftig zur Verübung mehrerer
selbständiger, im einzelnen möglicherweise noch unbestimmter Diebstähle
oder Raubtaten zusammenzuwirken (BGE 83 IV 147; PRAGER, Der qualifizierte
Diebstahl, S. 33; GERMANN, Das Verbrechen, S. 261; STRATENWERTH,
Schweizerisches Strafrecht, BT I, S. 188; THORMANN/VON OVERBECK,
N. 30 zu Art. 137). Dagegen ist abweichend von BGE 78 IV 236 unter dem
Begriff der fortgesetzten Verübung hier nicht eine Begehung im Sinne eines
Fortsetzungszusammenhanges zu verstehen. Ein fortgesetztes Delikt verbindet
die Einzelakte zu einer Tat, während nach der erwähnten Rechtsprechung
(BGE 83 IV 147) und dem Schrifttum eine Mehrheit von selbständigen
Delikten verlangt wird. Ausreichend ist aber die Vereinbarung mehrerer
in sich abgeschlossener fortgesetzter Handlungen (Leipziger Kommentar,
9. Aufl., N. 15 zu § 244 und SCHÖNKE/SCHRÖDER, 16. Aufl., N. 12 zu § 244).

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz stellt fest, dass sich die drei Täter
zusammengeschlossen hatten, um einen Raubüberfall (Post Beggingen)
zu verüben und die dazu notwendigen Waffen samt Munition durch einen
Einbruchdiebstahl in einen Schiessstand zu beschaffen. Damit steht
für das Bundesgericht verbindlich fest, dass sich der Beschwerdegegner
und seine Komplizen nur zur Begehung von zwei Delikten zusammengefunden
haben. Denn was der Täter weiss, will oder in Kauf nimmt, ist Tatfrage,
die vom kantonalen Sachrichter endgültig beantwortet wird (BGE 81 IV 283,
83 IV 77 u.a.m.). Rechtsfrage ist jedoch, ob der auf die Verübung von
zwei Straftaten bezogene Wille zur Annahme der Bandenmässigkeit genügt,
d.h. ob zwei beabsichtigte Delikte das Erfordernis mehrerer selbständiger
Diebstähle oder Raubtaten erfüllen.

    PRAGER (aaO) fordert, dass der gemeinsame Wille der Verbundenen
auf mehr als eine selbständige Tat gerichtet sein müsse, und GERMANN
(aaO) lässt eine wiederholte Begehung genügen, wofür wohl bereits zwei
Taten ausreichen. Nach dieser Meinung wäre entgegen der Auffassung des
Obergerichtes die Bandenmässigkeit zu bejahen. Daran vermöchte auch der
Umstand nichts zu ändern, dass der geplante Diebstahl im Verhältnis zum
beabsichtigten Raub praktisch nur ein Hilfsdelikt darstellt und die beiden
Handlungen als Einheit erscheinen; eine Tat im Sinne eines fortgesetzten
Deliktes müsste trotz der Gleichartigkeit von Diebstahl und Raub deswegen
verneint werden, weil nach der Rechtsprechung ein Fortsetzungszusammenhang
nur anzunehmen ist, wenn die auf einem einheitlichen Willensentschluss
gründenden ähnlichen oder gleichartigen Deliktshandlungen gegen dasselbe
Rechtsgut gerichtet sind (BGE 72 IV 184). Art. 137 StGB schützt das
Eigentum, Art. 139 StGB ausserdem auch die Freiheit.

    Indessen legen Wortlaut und Sinn des Gesetzes eine engere Auslegung
nahe. Der Umstand, dass die Täter sich "zur fortgesetzten Verübung
von Raub oder Diebstahl" zusammengefunden haben müssen, und das für
die qualifizierte Tat vorgesehene hohe Strafminimum weisen darauf hin,
dass Bandenmässigkeit erst anzunehmen ist, wenn der Wille der Täter auf
die gemeinsame Verübung einer Vielheit von Diebstählen und Raubtaten
gerichtet ist. Die in der Bandenbildung liegende Gefährlichkeit äussert
sich nämlich vor allem darin, dass der Zusammenschluss mehrerer jedem
einzelnen die Begehung weiterer Straftaten erleichtert (THORMANN/VON
OVERBECK, aaO). Wo sich jedoch die Täter schon zum voraus auf die Begehung
von bloss zwei Diebstählen oder Raubtaten beschränken, entfällt jene in
der Bande liegende besondere Gefahr.

    Da die Vorinstanz verbindlich festgestellt hat, dass der Wille der
Täter auf die Begehung von zwei Delikten beschränkt war, ist das Merkmal
der Bandenmässigkeit nicht erfüllt, obwohl tatsächlich gemeinsam mehr
als zwei Verbrechen begangen worden sind.

Erwägung 3

    3.- Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Rückweisung der Sache
zur Bestrafung des Beschwerdegegners wegen qualifizierten unvollendeten
Diebstahls- und Raubversuchs schliesst nicht aus, dass das Bundesgericht
diesem Antrag mit einer anderen als der von der Beschwerdeführerin
gegebenen Begründung gutheisst, sofern die tatsächlichen Grundlagen hiefür
im angefochtenen Urteil enthalten sind (Art. 277 bis Abs. 2 BStP). Da die
Bandenmässigkeit nichts anderes als eine selbständige Ausdrucksform der
vom Gesetzgeber als Generalklausel verwendeten besonderen Gefährlichkeit
darstellt, bleibt es dem Bundesgericht vorbehalten, auf Grund des von der
Vorinstanz festgestellten Sachverhaltes das Vorliegen dieser Voraussetzung
zu prüfen.

    Die besondere Gefährlichkeit kann sich aus den Tatumständen, aber
auch aus den dem Delikt vorausgehenden oder nachfolgenden Umständen
ergeben. Dabei zählen zu solchen der Tat vorausgehenden Umständen
Umsicht und Beharrlichkeit sowie Hartnäckigkeit bei der Verfolgung der
räuberischen Absicht (BGE 100 IV 29; siehe ferner GERBER, ZStR 90, S. 132
ff.). Im vorliegenden Fall haben die drei Täter nach dem angefochtenen
Urteil mit Umsicht gehandelt, indem sie nicht nur den Raubüberfall bis ins
einzelne planten, sondern zu dessen Durchführung sich auch Strumpfmasken
anfertigten und mit Waffen ausrüsteten. Um Waffen und Munition zu erbeuten,
brachen sie überdies nicht weniger als dreimal in Schiessstände ein.
Unmittelbar nachdem sie in den Besitz von Waffen gelangt waren, fuhren
sie in der Nacht mit einem entwendeten Motorfahrzeug nach Beggingen und
bereiteten sich dort auf den Überfall vor. Diese Zielstrebigkeit und
Hartnäckigkeit bei der Verfolgung der räuberischen Absicht lässt den
Beschwerdegegner als besonders gefährlichen Täter erscheinen.

    Dementsprechend muss die Nichtigkeitsbeschwerde gutgeheissen und die
Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen werden. Das Obergericht wird den
Beschwerdeführer wegen qualifizierten Diebstahls- bzw. Raubversuchs zu
bestrafen haben, soweit dies nach dem kantonalen Verfahrensrecht möglich
ist (BGE 98 IV 60 Nr. 10).

Entscheid:

Demgemäss erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil
aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen
an die Vorinstanz zurückgewiesen.