Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IV 193



100 IV 193

48. Urteil des Kassationshofes vom 26. August 1974 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Baselland gegen Bärtschi. Regeste

    Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB. Bedingter Strafvollzug bei Fahren in
angetrunkenem Zustand.

    1.  Voraussage über das künftige Verhalten im allgemeinen (Erw. 1).

    2.  Besondere Umstände, welche trotz kurzfristiger Rückfälligkeit
die erneute Gewährung des bedingten Strafvollzuges rechtfertigen (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Bärtschi, geb. 1954, wurde am 11. Dezember 1972 von der
Überweisungsbehörde Baselland mit Strafbefehl des Führens eines
Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustande (1,65é Alkohol im Blut) sowie
der groben Verletzung von Verkehrsregeln schuldig erklärt und mit 4 Wochen
Haft und einer Geldbusse von Fr. 200.-- bestraft, unter Zubilligung des
bedingten Strafvollzuges mit einer Probezeit von 2 Jahren.

    Schon in der Nacht vom 12./13. März 1973 führte er in angetrunkenem
Zustande (2,25é Alkohol im Blut) wiederum in Gelterkinden einen
Personenwagen. Nach ausgiebigem Alkoholgenuss in zwei Gaststätten bestieg
er sein Fahrzeug und fuhr auf dem Vorplatz des einen Lokals beinahe zwei
Soldaten an. Anschliessend gelangte er auf das linksseitige Trottoir, wo
er einen Fussgänger umwarf, währenddem sich die übrigen noch rechtzeitig
retten konnten. Der Angefahrene erlitt eine offene Unterschenkelfraktur.

    B.- Wegen dieses neuen Vorfalles sprach das Strafgericht Baselland
mit Urteil vom 22. Oktober 1973 Bärtschi der schweren Körperverletzung,
des Autofahrens in angetrunkenem Zustande sowie der groben Verletzung von
Verkehrsregeln schuldig und verurteilte ihn zu 6 Monaten Gefängnis. Der
bedingte Strafvollzug wurde ihm wegen der kurzfristigen Rückfälligkeit noch
innerhalb der früheren Probezeit verweigert. Gleichzeitig erklärte das
Strafgericht gemäss Art. 41 Ziff. 3 StGB die von der Überweisungsbehörde
Baselland am 11. Dezember 1972 ausgesprochene bedingte Haftstrafe von 4
Wochen vollstreckbar.

    Auf Appellation der Parteien änderte das Obergericht des Kantons
Baselland am 11. Juni 1974 das erstinstanzliche Urteil dahin ab, dass
der Angeklagte zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 6
Monaten und zu einer bedingt löschbaren Busse von Fr. 600.-- mit einer
Probezeit von 4 Jahren verurteilt wurde. Im übrigen wurde das Urteil des
Strafgerichtes bestätigt.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Baselland führt
Nichtigkeitsbeschwerde. Sie beantragt, das Urteil des Obergerichtes
insofern aufzuheben, als es dem Verurteilten den bedingten Strafvollzug
gewährt, und den Fall zur Aussprechung einer unbedingten Strafe
zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der bedingte Strafvollzug setzt unter anderem voraus, dass
Vorleben und Charakter des Verurteilten erwarten lassen, er werde durch
diese Massnahme von weiteren Verbrechen oder Vergehen abgehalten werden
(Art. 41 Ziff. 1 StGB). Ob sich diese Erwartung rechtfertigt, ist im
einzelnen Fall eine Frage des Ermessens, in das der Kassationshof auf
Nichtigkeitsbeschwerde nur eingreift, wenn der kantonale Richter es
überschritten, d.h. seine Voraussage auf offensichtlich unhaltbare
Überlegungen gestützt hat (BGE 77 IV 142).

    Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts überschreitet der
kantonale Richter das ihm zustehende Ermessen nicht, wenn er einem
Verurteilten den bedingten Strafvollzug verweigert, weil ihm dieser
früher bereits einmal zugebilligt worden war, ohne dass ihn dies von
erneuter Straffälligkeit dauernd abgehalten hätte (KH vom 17. Dezember
1963 i.S. Trachsel S. 2 und vom 18. November 1966 i.S. Engelberger
S. 4). Diese Erwägung gilt besonders, wenn die neue Tat gleicher oder
ähnlicher Art ist wie die frühere. In solchen Fällen ist eine günstige
Prognose ausgeschlossen.

    Auch die Vorinstanz geht davon aus, dass in einer Lage wie der
vorliegenden in der Regel eine erneute Anwendung von Art. 41 Ziff. 1 und 49
Ziff. 4 StGB nicht in Frage kommt; denn sie verweist ausdrücklich auf ihre
Praxis, wonach in solchen Fällen im allgemeinen der bedingte Strafvollzug
verweigert wird. Dass der Beschwerdegegner dennoch zu einer bedingt
vollziehbaren Strafe verurteilt wurde, begründet die Vorinstanz damit,
ganz besondere Umstände vermöchten ein Abweichen von der erwähnten Regel zu
rechtfertigen. Da die Beschwerdeführerin bestreitet, dass solche Umstände
gegeben seien, hat der Kassationshof die Haltbarkeit der vorinstanzlichen
Argumentation auf Ermessensüberschreitung hin zu überprüfen.

Erwägung 2

    2.- a) Die Vorinstanz stellt zunächst fest, die beiden kurz
aufeinanderfolgenden Delikte seien zwar als Ausfluss einer im Moment der
Tatbegehung beim sehr jungen Beschwerdegegner noch bestehenden Unreife
und leichten Beeinflussbarkeit anzusehen. Doch bestehe im Zeitpunkt der
Urteilsfällung "begründete Aussicht", dass dieser seine Unreife inzwischen
überwunden und eine erheblich stärkere Widerstandskraft gegenüber dem
Alkohol entwickelt habe. Diese Erkenntnis wird vor allem damit begründet,
dass der Beschwerdegegner sich nach dem Zeugnis seiner militärischen
Vorgesetzten während der Rekrutenschule des Alkohols enthalten und
seit der neuen Verfehlung nach dem Zeugnis zweier Arbeitskollegen in
der gemeinsam verbrachten Freizeit nie Alkohol zu sich genommen hat,
was ihm den Übernamen "Thé-crème" eingetragen haben soll.

    Die Vorinstanz durfte diese Gesinnungsänderung bei der Beurteilung der
Prognose positiv in Rechnung stellen, ohne ihr Ermessen zu überschreiten.

    b) Wesentlich ist auch die Feststellung, dass die zweite Verfehlung
auf einer "ausgesprochenen Versuchungssituation" beruht habe. Es sei
damals in Gelterkinden Fasnacht gewesen, eine Zeit, in der der Genuss von
Alkohol in Restaurants beinahe gesellschaftlich obligatorisch gewesen
sei. Der Beschwerdegegner habe auch glaubwürdig erklärt, unter Hinweis
auf sein mitgeführtes Auto den gespendeten Alkohol, den man einfach vor
ihn hingestellt habe, zunächst abgelehnt zu haben. Dann sei er aber von
seinen Kollegen geradezu gedrängt worden, ebenfalls zu trinken. Diesem
Einfluss sei er schliesslich erlegen.

    Soweit es sich hier um von der Vorinstanz als glaubwürdig betrachtete
Angaben des Beschwerdegegners handelt, sind diese Feststellungen für den
Kassationshof verbindlich (Art. 277 bis Abs. 1 BStP). Wenn die Vorinstanz
die erwähnten Umstände als aussergewöhnlich bezeichnet, die eine positive
Prognose nicht ausschlössen, hat sie ihr Ermessen nicht überschritten. Auch
der Kassationshof hat von seiner strengen Rechtsprechung zur Frage des
bedingten Strafvollzuges bei angetrunkenen Motorfahrzeugführern seit
jeher den Fall ausgenommen, wo der fehlbare Automobilist von Kameraden
zu übermässigem Alkoholkonsum eigentlich gedrängt wurde (BGE 90 IV 261
und 88 IV 7 mit weiteren Präjudizien).

    c) Zu beachten ist ferner, dass die Vorinstanz gleichzeitig den dem
Beschwerdegegner am 11. Dezember 1972 für die Haftstrafe von 4 Wochen
zugebilligten bedingten Strafvollzug widerrufen hat. Diesen Umstand
durfte sie bei der Prognose für die neue Strafe berücksichtigen. Denn
wenn anlässlich eines Widerrufes des bedingten Strafvollzuges gemäss
Art. 41 Ziff. 3 StGB dem Strafrichter nicht verwehrt ist, dem Umstand
Rechnung zu tragen, dass die neue Strafe unbedingt ausgefällt wird
(BGE 99 IV 68 ff.), muss umgekehrt bei der Prognosestellung aufgrund
von Art. 41 Ziff. 1 StGB auch erlaubt sein, den Umstand zu beachten,
dass die frühere Strafe nachträglich vollstreckt wird. Die Vorinstanz
hat somit das ihr zustehende Ermessen nicht überschritten, wenn sie von
der Überzeugung ausging, der Vollzug der früheren Freiheitsstrafe von 4
Wochen Haft werde den Beschwerdegegner von weiteren Delikten abhalten.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.