Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 II 76



100 II 76

14. Urteil der II. Zivilabteilung vom 6. Juni 1974 i.S. L. gegen H.
Regeste

    Art. 157 ZGB: Einem Begehren um Abänderung der im Scheidungsurteil
getroffenen Gestaltung der Elternrechte darf nur stattgegeben werden,
falls sich die Verhältnisse seit der Scheidung derart geändert haben,
dass sich eine andere Entscheidung zwingend aufdrängt. Diese Voraussetzung
kann erfüllt sein, wenn sich zeigt, dass die Verhältnisse, die bei der
Gestaltung der Elternrechte massgebend waren, sich wesentlich anders
entwickeln als vom Scheidungsrichter erwartet (Erw. 1-3).

    Art. 156 ZGB: Die Anordnung, wonach die Kinder ab dem 14.  Altersjahr
nach ihrem Willen entscheiden können, ob sie den Elternteil, dem die
elterliche Gewalt bei der Scheidung entzogen wurde, besuchen wollen,
lässt sich mit Art. 156 ZGB nicht vereinbaren (Erw. 4b).

Sachverhalt

    Das Zivilamtsgericht von Bern schied am 21. Juni 1968 die Ehe
H.-W. Die elterliche Gewalt über die fünf ehelichen Kinder übertrug es
auf den Vater. Der Mutter wurde das Recht eingeräumt, die Kinder jeweils
am zweiten Wochenende eines jeden Monats von 12.00 Uhr samstags bis 18.00
Uhr sonntags zu besuchen und 14 Tage der Sommerschulferien mit ihnen zu
verbringen. Sodann verpflichtete es die Mutter, dem Vater an den Unterhalt
eines jeden Kindes monatlich Fr. 30.- zu bezahlen.

    Am 29.. März 1969 beantragte der Vater beim Zivilgericht Basel-Stadt,
das erwähnte Besuchs- und Ferienrecht der Mutter gänzlich aufzuheben,
eventuell für eine bestimmte Frist zu sistieren, subeventuell zu
modifizieren. Die Mutter antwortete mit einer Widerklage. Sie stellte die
Anträge, die Klage abzuweisen, die Kinder ihr zuzuteilen, den Vater zu
Unterhaltsbeiträgen an die Kinder zu verpflichten und ihm ein Besuchsrecht
einzuräumen.

    Das Zivilgericht Basel-Stadt änderte das Scheidungsurteil teilweise
ab. Es räumte der Mutter bloss noch einen Besuchstag alle zwei Monate
und am 26. Dezember ein, wobei es jedoch den Kindern freistellte,
nach Vollendung des 14. Altersjahres die Mutter noch zu besuchen. Dieses
Urteil wurde vom Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt bestätigt,
welches sich die Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts sowohl in
tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht vollständig zu eigen machte.

    Gegen das zweitinstanzliche Urteil hat die Beklagte, die inzwischen
Herrn L. geheiratet hat, beim Bundesgericht Berufung eingereicht. Sie
stellt den Antrag, ihre Widerklage gutzuheissen, eventuell die Klage
abzuweisen und die bisherige Regelung zu bestätigen, wobei sie jedoch von
der Pflicht, Unterhaltsbeiträge zu entrichten, befreit werden möchte. Der
Kläger beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil
zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 157 ZGB kann die im Scheidungsurteil getroffene
Gestaltung der Elternrechte abgeändert werden, falls infolge von Heirat,
Wegzug oder Tod eines der Eltern oder aus andern Gründen eine Veränderung
der Verhältnisse eingetreten ist. Aus den in dieser Bestimmung angeführten
Beispielen ergibt sich indessen, dass eine Abänderung nicht schon dann
zulässig ist, wenn sich die Umstände irgendwie verändert haben, sondern nur
dann, wenn die eingetretene Änderung eine andere Entscheidung zwingend
erfordert. Eine Abänderung der Elternrechte bei nur unwesentlichen
Änderungen der Verhältnisse würde dem Interesse der Kinder, das eine
möglichst ruhige und konstante Erziehung verlangt, zuwiderlaufen. Ob eine
Veränderung der Verhältnisse eingetreten ist, die auch die Abänderung
der Elternrechte erfordert, ist nach der Gesamtheit der Umstände, vor
allem unter Berücksichtigung der Interessen der Kinder, zu entscheiden
(BGE 43 II 476).

    Die nötigen Verfügungen über die Gestaltung der Elternrechte
und der persönlichen Beziehungen der Eltern zu den Kmdern trifft der
Richter bei der Scheidung in der Regel aufgrund einer Prognose über die
künftige Entwicklung der Kinder und des Verhältnisses zwischen Eltern
und Kindern. Stellt sich nun nachträglich heraus, dass die Prognose
falsch war, und erweist sich, dass die Anordnungen sich deshalb auf das
Wohl der Kinder offensichtlich nachteilig auswirken, so darf die sich
aufdrängende Abänderung des Scheidungsurteils nicht an einer allzu
strengen Auslegung des Art. 157 ZGB scheitern. Das Kindesinteresse
gebietet vielmehr eine geschmeidige Auslegung dieser Bestimmung. In
solchen Fällen muss folglich das Vorliegen veränderter Verhältnisse, wie
sie Art. 157 ZGB für die Abänderung des Scheidungsurteils voraussieht,
bejaht werden. Indessen darf aber auch eine geschmeidige Auslegung
nicht dazu dienen, vom Scheidungsrichter getroffene Entscheidungen
in Wiedererwägung zu ziehen oder unglücklich ausgefallene Urteile zu
korrigieren. Art. 157 ZGB kann nicht zu einer revisio in iure Anlass geben.
Nicht bloss die Rechtssicherheit, sondern auch die Entwicklung der Kinder,
die durch derartige Prozesse notgedrungen gestört wird, verlangen, dass
einer Abänderungsklage nur stattgegeben wird, falls sich die Sachlage
wesentlich anders darbietet als im Zeitpunkt des Scheidungsurteils.

Erwägung 2

    2.- Das Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt wies das Begehren der
Beklagten ab, wonach die Kinder in Abänderung des Scheidungsurteils
dem Kläger entzogen und ihr zugeteilt werden sollten. Dem Urteil, das
sich auf die psychiatrischen Gutachten stützt, die vom Zivilgericht
in diesem Verfahren eingeholt wurden, ist in tatsächlicher Hinsicht zu
entnehmen, der Kampf zwischen den Eltern um die Kinder habe letztere in
schwerste Loyalitätskonflikte gestürzt. Die Kinder litten deshalb unter
erheblichen psychischen Störungen. Eine Beruhigung sei erst in letzter
Zeit eingetreten, seit die Beklagte das Besuchsrecht nur noch selten
ausüben könne. Die Kinder ständen mit der Beklagten heute nicht mehr in
engem Kontakt. Würden sie der Beklagten zugewiesen, so entstünden neue
Schwierigkeiten und die Kinder würden wieder beunruhigt.

    Das Bundesgericht ist an diese tatsächlichen Feststellungen der
ersten Instanz, die sich das Appellationsgericht zu eigen machte,
im Berufungsverfahren gemäss Art. 63 Abs. 2 OG gebunden, es sei denn,
sie wären unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande
gekommen oder beruhten offensichtlich auf Versehen. Einen solchen Mangel
weisen aber die Feststellungen der Vorinstanzen nicht auf. Die Beklagte
macht das auch nicht geltend. Das Bundesgericht hat infolgedessen seinem
Urteil diese tatsächlichen Feststellungen zugrunde zu legen.

    a) Wie bereits dargelegt, ist einem Begehren um Abänderung des
Scheidungsurteils nur stattzugeben, falls die Verhältnisse sich derart
geändert haben, dass sich eine andere Entscheidung zwingend aufdrängt. Dem
angefochtenen Urteil und den psychiatrischen Gutachten, auf welche das
Urteil verweist, ist zu entnehmen, dass sich die Kinder in letzter Zeit
beruhigt haben. Sollten die Kinder der gewohnten Umgebung entrissen
werden, so würden sie gemäss den Feststellungen im angefochtenen Urteil
psychisch Schaden nehmen. Das Interesse der Kinder verlangt demnach
geradezu, dass sie beim Vater belassen werden. Die Vorinstanzen haben
das Begehren der Beklagten um Zuteilung der Kinder demnach zu Recht
abgewiesen. Inwiefern sie dadurch Bundesrecht, insbesondere Art. 157
ZGB, verletzt haben sollen, ist nicht ersichtlich und ergibt sich auch
nicht aus den Ausführungen der Beklagten. Diese richten sich vorwiegend
gegen die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils,
was unzulässig ist (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG); im übrigen versucht die
Beklagte mit ihren Vorbringen, das Scheidungsurteil in Wiedererwägung zu
ziehen. Dass sich die Verhältnisse seit der Scheidung derart veränderten,
dass sich eine Umteilung der Kinder in deren Interesse aufdrängen würde,
kann den Ausführungen der Beklagten jedenfalls nicht entnommen werden. Die
Berufung ist in diesem Punkte infolgedessen unbegründet.

    b) Die Beklagte verlangt im weitern, dass sie von der Verpflichtung,
an ihre Kinder Unterhaltsbeiträge zu entrichten, befreit werde. Diesen
Antrag stellte sie, soweit aus den Akten ersichtlich ist, im kantonalen
Verfahren noch nicht. Es handelt sich demnach um ein neues Begehren,
auf welches das Bundesgericht im Berufungsverfahren gemäss Art. 55
Abs. 1 lit. b OG nicht eintreten kann. Der Antrag könnte aber auch aus
materiellen Gründen nicht geschützt werden, denn die Beklagte hat auch
zu diesem Punkte nicht nachgewiesen, dass sich seit der Ausfällung des
Scheidungsurteils die Verhältnisse derart verändert haben, dass sich eine
Abänderung aufdrängen würde.

Erwägung 3

    3.- Die Beklagte beantragt, dass ihr das Besuchsrecht im bisherigen
Umfang gewahrt bleibe, falls ihr die Kinder nicht zugesprochen werden. Die
Vorinstanzen hatten ihr Besuchsrecht eingeschränkt. Sie bejahten damit
indirekt, dass seit der Ausfällung des Scheidungsurteils eine Änderung in
den Verhältnissen eingetreten ist, die eine Abänderung des Besuchsrechtes
aufdrängt.

    Der Experte Züblin, auf dessen Ausführungen die kantonalen Instanzen
im Detail verweisen und die das Bundesgericht bei seiner Entscheidung
demnach berücksichtigen darf, gelangte nach einer gründlichen Untersuchung
zum Schluss, alle Kinder seien psychisch eindeutig schwer gestört;
gegenwärtig lebten sie in einem bekömmlichen Milieu; sie seien aber auch
heute noch durch die ganze Scheidungsangelegenheit schwer belastet; die
schwere neurotische Charakterentwicklung, die sie durchgemacht hätten,
beeinträchtige ihre Beziehungsfähigkeit ganz allgemein noch auf lange
Zeit, wenn nicht für immer. Die Kinder selbst seien der Ansicht, dass
das Scheidungsurteil zu häufige Besuche der Mutter vorsehe. Durch die neu
aufgenommenen Besuche der Mutter sei erwiesen, dass der Kontakt mit der
Mutter die Scheidungssituation in gefährlicher Weise aktualisiere. Es sei
damit zu rechnen, dass jeder Besuch zu einer zusätzlichen und schädlichen
Spannung bei den Kindern führe, die gefährlich werde, wenn sie zu häufig
eintrete.

    Aus dem psychiatrischen Gutachten ergibt sich somit, dass die psychisch
bereits schwer geschädigten Kinder durch relativ häufige Besuche der Mutter
in ihrem psychischen Gleichgewicht, das noch sehr labil ist, gefährdet
werden. Diese Entwicklung wurde vom Scheidungsrichter nicht vorausgesehen.
Sie steht in wesentlichem Gegensatz zu der Prognose, die zur bisherigen
Regelung führte. Obwohl nicht von einer eigentlichen Änderung in den
Verhältnissen gesprochen werden kann, sondern lediglich ursprüngliche
Prognose und tatsächliche Entwicklung wesentlich auseinanderklaffen, liegen
heute dennoch Verhältnisse vor, die eine Abänderung des Scheidungsurteils
im Interesse der Kinder aufdrängen. Den kantonalen Instanzen kann
daher keine Verletzung von Bundesrecht vorgeworfen werden, wenn sie die
Voraussetzungen des Art. 157 ZGB zur Abänderung des Scheidungsurteils
als gegeben erachteten.

Erwägung 4

    4.- Der Ehegatte, dem die Kinder entzogen werden, hat ein Recht auf
angemessenen persönlichen Verkehr mit diesen (Art. 156 Abs. 3 ZGB). Die
nähere Ausgestaltung des Besuchsrechtes soll dem Kindeswohl angepasst
sein. Um zu vermeiden, dass das Kind zwischen seinen Eltern hin-
und hergerissen und dadurch verunsichert wird, ist das Besuchsrecht mit
Zurückhaltung zu gewähren. Das Besuchsrecht, das dem nicht gewalthabenden
Elternteil um seiner Persönlichkeit willen zusteht, darf diesem indessen
nur ganz abgesprochen werden, falls sein Interesse an der Ausübung des
Besuchsrechtes in klarem Widerspruch zu den Interessen der Kinder steht und
keine die Interessen der Kinder wahrende Besuchsordnung getroffen werden
kann (vgl. hiezu BGE 89 II 4 ff., insbesondere 9). Bei der Festsetzung
des Besuchsrechtes steht dem Richter ein weiter Ermessensspielraum
zu, der ihm eine Entscheidung ermöglichen soll, die dem Einzelfall
gerecht zu werden vermag. Das Bundesgericht übt bei der Überprüfung
von Ermessensentscheidungen Zurückhaltung und schreitet nur ein, wenn
die Vorinstanz bei ihrer Entscheidung Umstände berücksichtigt hat, die
nach dem Sinne des Gesetzes keine Rolle spielen dürfen, oder wenn sie
wesentliche Gesichtspunkte ausser acht gelassen hat (vgl. BGE 83 II 361).

    a) Die Vorinstanz schränkte das Besuchsrecht der Beklagten einmal in
der Weise ein, dass diese die Kinder bloss noch alle zwei Monate an einem
Tag und zudem jeweils am 26. Dezember besuchen kann. Eine solche Regelung
erscheint gegenüber dem sonst üblicherweise zugestandenen Besuchsrecht von
einem Tag pro Monat und zwei Wochen Ferien sehr eingeschränkt. Aufgrund
der Ausführungen im Gutachten kann es mdessen keinem Zweifel unterliegen,
dass sich eine sehr zurückhaltende Regelung des Besuchsrechtes im Interesse
der Kinder aufdrängt. Unter diesen Umständen kann jedenfalls nicht gesagt
werden, die Vorinstanzen hätten durch die getroffene Einschränkung
des Besuchsrechtes das ihnen nach Art. 156 ZGB zustehende Ermessen
überschritten.

    b) Die Vorinstanzen räumten den Kindern sodann die Befugnis ein, nach
Vollendung des 14. Altersjahres die Mutter nach ihrem Willen zu besuchen.

    Gemäss Art. 156 ZGB hat der Richter die nötigen Verfügungen über die
persönlichen Beziehungen der Eltern zu den Kindern zu treffen. Der Richter
hat mfolgedessen das Besuchsrecht dem Grundsatz und auch dem Umfange
nach selbst zu ordnen (Urteil des Bundesgerichtes vom 7. Februar 1974
i.S. Haag c. Rast, BGE 100 II 4 Erw. 1). Das Bundesgericht lehnte bereits
im Entscheid BGE 61 II 215/216 eine Regelung ab, die es einem 17-jährigen
Sohn und seinem Vater, dem die elterliche Gewalt nicht zugesprochen worden
war, freistellte, das Besuchsrecht über ein fixiertes Minimum hinaus zu
erweitern, weil diese Anordnung nicht berücksichtigte, dass die Ausübung
des Besuchsrechtes immer eine Einschränkung der elterlichen Gewalt
des andern Elternteils mit sich bringt und dieser demnach berechtigt
ist, unter Berufung auf seine elterliche Gewalt einem nicht fixierten
Besuchsrecht des von der elterlichen Gewalt ausgeschlossenen Elternteils
entgegenzutreten. Zudem erklärte es in jenem Entscheid, auf die Einstellung
des Kindes, auch eines bald mündigen, zum Besuchsrecht komme nichts an,
weil das Urteil nicht über eine Verpflichtung des Kindes entscheide.

    Entgegen den damaligen Auffassungen dürfte es heute wohl nicht mehr
angebracht sein, den Wünschen von Kindern, die beinahe erwachsen sind,
bei der Regelung des Besuchsrechtes überhaupt nicht Rechnung zu tragen. Die
Vorinstanzen räumten den Kindern aber sogar die uneingeschränkte Befugnis
ein, ab dem 14. Altersjahr über das Besuchsrecht selbst zu entscheiden. Die
Eltern wären demnach den Entscheidungen der Kinder machtlos ausgeliefert;
der Vater müsste jeden Besuch dulden, während die Mutter selbst keinen
Anspruch mehr hätte, die Kinder zu besuchen.

    Diese Anordnung mag aus der Sicht des Psychiaters wünschenswert
erscheinen. Denn erzwungene Besuche, gegen die sich die Kinder sträuben,
können Anlass zu weitern psychischen Schwierigkeiten bieten und dem ohnehin
labilen seelischen Gleichgewicht der Kinder abträglich sein. Doch birgt
diese Regelung allzu grosse Gefahren in sich. Es ist wohl zuzugeben, dass
sich Kinder heute allgemein grosser Freiheit erfreuen und Entscheide
zu treffen haben, die bis vor kurzem einem Kinde niemals zugemutet
wurden. Die von den Vorinstanzen angeordnete Regelung dürfte die Kinder
mdessen überfordern. Von der Ausübung des Besuchsrechtes wird nämlich das
künftige Verhältnis der Kinder zur Mutter abhängen. Für die Kinder handelt
es sich demnach um Entscheidungen von besonderer Tragweite. Die Kinder
sind nun aber kaum in der Lage, jeweils entgegen momentanen Neigungen
und Versuchungen ihre langfristigen Interessen zu wahren. Zweifellos
ist es der Entwicklung der Kinder weniger abträglich und insbesondere
wird der bereits bestehende Loyalitätskonflikt weniger vertieft, falls
sie sich einer festen Besuchsordnung zu unterziehen haben, als wenn sie
jeweils selbst entscheiden müssen, ob sie gegen den vermuteten Willen
des Vaters die Mutter besuchen wollen. Schliesslich dürfte die von den
Vorinstanzen vorgeschlagene Lösung den Kindern wohl kaum die vorgesehene
Freiheit verschaffen, sondern in Anbetracht des erbitterten Kampfes, den
sich die Eltern liefern, sie eher dem Drucke der Eltern und allenfalls
auch der andern Kinder aussetzen. Die Folge wäre, dass sie noch mehr
in den Kampf der Eltern hineingezogen würden, was notgedrungen wieder
zu einer Aktualisierung der Scheidungssituation führen müsste. Die von
den Vorinstanzen getroffene Anordnung wird daher den Kindesinteressen
eindeutig nicht gerecht.

    Die Regelung im vorinstanzlichen Urteil würde aber auch das Recht
der Mutter auf angemessenen Verkehr mit den Kindern verletzen. Sie würde
wahrscheinlich dazu führen, dass die Kinder ab dem 14. Altersjahr die
Mutter überhaupt nicht mehr besuchen würden. Eine gänzliche Unterdrückung
des Besuchsrechtes oder eine Regelung, die eine ähnliche Wirkung zeitigt,
darf aber nur zugelassen werden, falls das Kindesinteresse dies zwingend
gebietet und keine die Kindesinteressen wahrende Besuchsordnung gefunden
werden kann. Wie sich dem psychiatrischen Gutachten entnehmen lässt, liegt
es im Interesse der Kinder, dass sie in angemessenen Zeitabständen mit
der Mutter zusammentreffen. Indem die Vorinstanzen eine Regelung trafen,
welche die Gefahr in sich birgt, einerseits die Scheidungssituation wieder
zu aktivieren und anderseits das Besuchsrecht der Beklagten überhaupt zu
unterbinden, verstiessen sie nicht bloss gegen das Recht der Beklagten auf
angemessenen Verkehr mit den Kindern, sondern auch gegen die Interessen
der Kinder selbst. Die Anordnung, wonach die Kinder ab dem 14. Altersjahr
nach ihrem Willen entscheiden können, ob sie die Mutter besuchen wollen,
ist deshalb als bundesrechtswidrig aufzuheben.