Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 II 65



100 II 65

12. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. Juni 1974
i.S. Eheleute G. Regeste

    Eheschutzmassnahmen. Gerichtsstand für Ausländer.

    Der im Ausland wohnende, zum Getrenntleben berechtigte Ehegatte eines
in der Schweiz wohnhaften Ausländers kann am Wohnsitz des Beklagten auf
Anordnung von Massnahmen zum Schutze der ehelichen Gemeinschaft klagen. Er
braucht nicht nachzuweisen, dass er in seinem ausländischen Wohnsitzstaat
kein in der Schweiz vollstreckbares Urteil erwirken kann.

Sachverhalt

                      Gekürzter Tatbestand:

    A.- Die Eheleute G. sind spanische Staatsangehörige. Der Ehemann liess
seine Frau in Spanien zurück, als er im Jahre 1962 in die Schweiz reiste,
wo er seither wohnt und arbeitet.

    Er lebt hier mit einer andern Frau zusammen.

    B.- Mit Eingabe vom 3. August 1973 stellte die in Madrid
zurückgebliebene Ehefrau beim Einzelrichter in Ehesachen des Bezirkes
Zürich das Begehren, es sei das Getrenntleben richterlich anzuordnen
und der Ehemann zu verpflichten, ihr rückwirkend ab 1. November 1972
monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. 350.-- zu bezahlen. Mit Verfügung
vom 2. Oktober 1973 bejahte der angerufene Richter seine örtliche und
sachliche Zuständigkeit, erklärte die Klägerin gestützt auf Art. 170 Abs. 1
ZGB als zum Getrenntleben berechtigt und verpflichtete den Beklagten, der
Klägerin mit Wirkung ab 1. August 1973 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag
von Fr. 300.-- zu bezahlen, zahlbar monatlich zum voraus.

    C.- Der Beklagte erhob gegen diese Verfügung Rekurs an das Obergericht
des Kantons Zürich. Dieses ging davon aus, dass die Klägerin in Spanien
Wohnsitz habe, da sie nach der Gesamtheit der Akten zum Getrenntleben
berechtigt sei. Sodann prüfte es von Amtes wegen die Frage seiner
örtlichen Zuständigkeit. Dabei gelangte es zum Schluss, dass der von
der Rechtsprechung für Eheschutzbegehren in Analogie zu Art. 144 ZGB
angenommene Gerichtsstand am Wohnsitz des Klägers ausschliesslichen
Charakter habe. Ausnahmen von dieser Regel könnten zwar in bestimmten
Fällen zugelassen werden, so insbesondere wenn der Wohnsitzstaat des
Klägers diesem keinen Gerichtsstand zur Verfügung stelle, sondern
ausschliesslich den Richter am Wohnort des Beklagten als zuständig
betrachte. Es wäre indessen Sache der Klägerin gewesen darzutun, dass ihr
in Spanien für ihre Klage kein Gerichtsstand zur Verfügung stehe. Auf Grund
dieser Überlegungen verneinte das Obergericht seine örtliche Zuständigkeit,
trat auf das Begehren der Klägerin nicht ein und hob die erstinstanzliche
Verfügung auf.

    D.- Gegen den obergerichtlichen Entscheid reichte die Ehefrau
zivilrechtliche Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht ein. Sie
stellte den Antrag, das Obergericht sei in Aufhebung des angefochtenen
Entscheides zur Beurteilung des Rekurses als örtlich zuständig zu erklären
und zur materiellen Behandlung der Sache zu verpflichten.

    Das Bundesgericht heisst die Nichtigkeitsbeschwerde gut und hebt den
angefochtenen Entscheid auf. Es stellt fest, dass das Obergericht des
Kantons Zürich zur Beurteilung der Sache örtlich zuständig ist, und es
weist die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Die persönlichen Wirkungen der Ehe, zu denen die Vorschriften
über den Schutz der ehelichen Gemeinschaft (Art. 169 ff. ZGB) gehören,
beurteilen sich in bezug auf Ausländer mit Wohnsitz in der Schweiz nach
schweizerischem Recht und unterliegen der schweizerischen Gerichtsbarkeit
(BGE 68 II 13 Erw. 2 und 185; LEMP, Kommentar, N. 58 der Vorbemerkungen zu
den Art. 159 ff. ZGB, und STAUFFER, Praxis zum NAG, Ziff. 4 zu Art. 2 sowie
Ziff. 3 der Vorbemerkungen zu den Art. 19/20 NAG, je mit Zitaten). Das
ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 NAG, in Verbindung mit Art. 32 des gleichen
Gesetzes. Art. 2 Abs. 1 NAG spricht zwar nur vom Gerichtsstand, bestimmt
jedoch nach konstanter Praxis auch das anwendbare Recht (STAUFFER,
Ziff. 1 zu Art. 2 NAG mit Hinweisen).

    Dem NAG kann nicht entnommen werden, ob für den Erlass von
Eheschutzmassnahmen der Richter am Wohnsitz der klagenden oder der
beklagten Partei zuständig sein soll, wenn die ausländische Ehefrau
einen selbständigen Wohnsitz im Ausland hat. Im Unterschied dazu bestimmt
Art. 7 h Abs. 1 NAG, dass Ehescheidungsklagen von Ausländern am Wohnsitz
des Klägers anzubringen sind. Der gleiche Unterschied zeigt sich auch
im internen Recht der Schweiz: Das ZGB enthält keine Regel über den
Gerichtsstand für Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft, wogegen
nach Art. 144 ZGB für die Beurteilung von Scheidungsklagen der Richter
am Wohnsitz des klagenden Ehegatten zuständig ist. Das Bundesgericht
hat das ZGB diesbezüglich als lückenhaft bezeichnet und in Anwendung von
Art. 1 ZGB die Regel des Art. 144 ZGB auch für Eheschutzmassnahmen als
anwendbar erklärt (BGE 86 II 305; 93 II 3 mit Zitaten). Es liegt nahe,
auf dem Gebiet des NAG ebenfalls eine Lücke anzunehmen, die von der
Rechtsprechung durch eine Gerichtsstandsregel für Eheschutzmassnahmen im
internationalen Verhältnis auszufüllen ist. Noch weniger als im internen
Recht kann angenommen werden, der Bundesgesetzgeber habe die Bestimmung
dieses Gerichtsstandes dem kantonalen Recht überlassen wollen.

    Das Bundesgericht hat denn auch schon Urteile über den Gerichtsstand
für Eheschutzmassnahmen zwischen Ausländern gefällt und damit die
Zulässigkeit einer solchen Lückenfüllung bejaht (BGE 54 I 245 ff.,
insbesondere 249 ff.; 64 II 73 f.; 68 II 184/185 Erw. 3). Es hat sodann
ausdrücklich entschieden, dass die Bewilligung des Getrenntlebens von
Ausländern im Sinne von Art. 170 Abs. 1 ZGB und die damit zusammenhängende
Festsetzung von Unterhaltsbeiträgen durch den schweizerischen Richter
nicht etwa von den gleichen Voraussetzungen abhängt, wie sie Art. 7 h NAG
für die Scheidung von Ausländern aufstellt, wonach die Anerkennung des
schweizerischen Gerichtsstandes und des geltend gemachten Scheidungsgrundes
durch den Heimatstaat nachzuweisen sei (BGE 68 II 185).

Erwägung 5

    5.- Rechtsprechung und Doktrin bejahen, dass ein in der Schweiz
wohnhafter Ausländer, dessen Ehegatte im Ausland Wohnsitz hat, beim
Richter an seinem schweizerischen Wohnsitz Klage auf Anordnung von
Massnahmen zum Schutz der ehelichen Gemeinschaft erheben kann (LEMP,
N. 71 der Vorbemerkungen zu den Art. 159 ff. ZGB; STAUFFER, Ziff. 4
zu Art. 2 NAG mit Zitaten; HUBER/MUTZNER, System und Geschichte des
schweizerischen Privatrechts, S. 465; BECK, N. 101 zu Art. 7 h NAG;
VISCHER, Internationales Privatrecht, in Schweizerisches Privatrecht I
S. 607; BGE 54 I 250 ff. Erw. 3). Im vorliegenden Fall stellt sich die
umgekehrte Frage, ob auch ein in der Schweiz wohnhafter Ausländer hier
als Beklagter belangt werden kann, wenn der klagende Ehegatte im Ausland
wohnt. Es. fragt sich mit andern Worten, ob der Gerichtsstand am Wohnsitz
des Klägers im internationalen Verhältnis ein ausschliesslicher sei. Diese
Frage wurde vom Bundesgericht bisher noch nie entschieden (vgl. BGE 60
II 77; in BGE 68 II 183 wurde sie sogar für den internen Bereich offen
gelassen). Sie wird von LEMP (aaO) und STAUFFER (aaO) vorbehaltlos
bejaht, während HUBER/MUTZNER die Zuständigkeit des schweizerischen
Richters davon abhängig machen wollen, dass der im Ausland wohnende
Ehegatte nicht die Möglichkeit habe, in seinem Wohnsitzstaat ein in der
Schweiz vollstreckbares Urteil zu erwirken (aaO S. 465/466), Den gleichen
Standpunkt vertritt auch die Vorinstanz im angefochtenen Urteil.

    Soll ein Zustand der Rechtlosigkeit vermieden werden, muss die
Zuständigkeit des schweizerischen Richters am Wohnsitz des ausländischen
Beklagten in Übereinstimmung mit HUBER/MUTZNER jedenfalls dann bejaht
werden, wenn dem klagenden Ehegatten in seinem ausländischen Wohnsitzstaat
entweder überhaupt kein Gerichtsstand oder mindestens keine Möglichkeit
zusteht, ein in der Schweiz vollstreckbares Urteil zu erwirken (vgl. in
diesem Sinne mit eingehender Begründung auch den Entscheid des Zürcher
Obergerichts vom 18. Oktober 1962 in ZR 1964 Nr. 140, sowie den Bericht
der eidgenössischen Justizabteilung vom 29. Juni 1931 in VEB 1931
Nr. 93). Würde die Zuständigkeit des schweizerischen Richters am Wohnsitz
des Beklagten nur in einem solchen Fall anerkannt, wäre die vorliegende
Nichtigkeitsbeschwerde abzuweisen. Die Beschwerdeführerin hat, wie die
Vorinstanz feststellt, im kantonalen Verfahren den Beweis dafür nicht
angetreten, dass in ihrem Wohnsitzstaat Spanien kein Gerichtsstand für die
von ihr in der Schweiz angehobene Klage besteht oder dass eine in Spanien
erwirkbare Entscheidung in der Schweiz nicht vollstreckbar wäre. Diesen
Nachweis kann sie im bundesgerichtlichen Verfahren nicht mehr nachholen.

    Es fragt sich jedoch, ob es richtig sei, die Zuständigkeit des
schweizerischen Richters von einem solchen Nachweis abhängig zu machen. Die
Erwirkung von Eheschutzmassnahmen würde dadurch ausserordentlich erschwert.
Es wäre für den klagenden Ehegatten oft nicht leicht nachzuweisen,
dass in seinem Wohnsitzstaat für Massnahmen zum Schutz der ehelichen
Gemeinschaft kein Gerichtsstand bestehe. Selbst wenn er aber dort klagen
könnte und der ausländische Entscheid in der Schweiz vollstreckbar wäre -
was in Ermangelung von Staatsverträgen vom kantonalen Recht abhinge -,
müsste der ebenfalls nicht einfache Nachweis geleistet werden, dass die
Voraussetzungen für die Vollstreckung in der Schweiz erfüllt seien.

    Gegen eine solche Erschwerung der Rechtsverfolgung für den im Ausland
wohnenden, zum Getrenntleben berechtigten Ehegatten eines in der Schweiz
wohnhaften Ausländers sprechen verschiedene Gründe. Vorab stellt der
durch die bundesgerichtliche Rechtsprechung begründete Gerichtsstand
für Eheschutzmassnahmen am Wohnsitz des Klägers eine schweizerische
Besonderheit dar. Um Konflikte mit den Rechtsordnungen anderer Staaten
zu vermeiden, müsste daher der Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten
recht häufig zugelassen werden (VEB 1931 Nr. 93 S. 124). Die wahlweise
Zulassung dieses Gerichtsstandes unabhängig von den von der Vorinstanz
verlangten Voraussetzungen würde somit weniger zu einer erheblichen
Erweiterung der schweizerischen Zuständigkeit führen als vielmehr zu einer
fühlbaren Erleichterung der Rechtsverfolgung für den klagenden Ehegatten,
der im Ausland wohnt.

    Eine solche Erleichterung der Stellung des klagenden Ehegatten
erscheint mit Rücksicht auf die Natur des Eheschutzverfahrens als
gerechtfertigt. Dieses hat einen vorläufigen Charakter (BGE 68 II 246) und
sollte, um möglichst wirksam zu sein, rasch durchgeführt werden können. Das
ist nur möglich, wenn der Richter am Wohnsitz des Beklagten ohne Prüfung
von komplizierten Zuständigkeitsfragen in der Lage ist, das Verfahren
unverzüglich an die Hand zu nehmen. Eine Massnahme wie die Anweisung
an den Schuldner des Ehemannes im Sinne von Art. 171 ZGB kann zudem nur
vom schweizerischen Richter angeordnet werden. Es ist nicht einzusehen,
weshalb gegenüber einem Ausländer, der in der Schweiz Wohnsitz hat und
hier arbeitet, eine solche Massnahme nicht sollte erwirkt werden können,
auch wenn der im Ausland wohnhaften Ehefrau in ihrem Wohnsitzstaat an
sich ein Gerichtsstand zur Verfügung steht.

    Mit der Schaffung eines Gerichtsstandes am Wohnsitz des Klägers wollte
der Gesetzgeber vor allem die Ehefrau davor schützen, dass der Ehemann ihre
Stellung durch Verlegung seines Wohnsitzes erschweren könne (GULDENER,
Schweizerisches Zivilprozessrecht, 2. Auflage, S. 90 N. 71; EGGER, N. 1,
und BÜHLER, N. 61 zu Art. 144 ZGB mit weiteren Hinweisen). Mit dieser
Absicht wäre es kaum vereinbar, einer von ihrem Ehemann im Ausland
zurückgelassenen Ehefrau die Erwirkung von Eheschutzmassnahmen am
schweizerischen Wohnort ihres Mannes zu versagen und sie an den Richter
ihres Wohnsitzstaates zu verweisen.

    Überdies ist es für den in der Schweiz wohnhaften beklagten
Ehegatten nicht unbillig, wenn der Entscheid über die Erwirkung von
Eheschutzmassnahmen vom Richter an seinem Wohnsitz getroffen werden
kann. Dieser Richter ist zur Abklärung der persönlichen Verhältnisse
des Beklagten besser in der Lage als der Richter im Wohnsitzstaat des
klagenden Gatten. Die angestrebte Erleichterung der Stellung des klagenden,
im Ausland wohnenden Ehegatten liegt daher durchaus auch im Interesse
des Beklagten.

    Diese Überlegungen führen dazu, die Ausschliesslichkeit des
Gerichtsstandes am Wohnsitz des Klägers für Eheschutzmassnahmen jedenfalls
dann zu verneinen, wenn der klagende Ehegatte im Ausland und der beklagte
in der Schweiz wohnen. Die Frage, ob ein Eheschutzbegehren nur beim Richter
am Wohnsitz des Klägers gestellt werden kann, wenn beide Ehegatten in
der Schweiz wohnen, kann hingegen noch offen bleiben.