Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 II 435



100 II 435

65. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 19. September 1974
i.S. Rudolf Brunner gegen Ernst Brunner und Mitbeteiligte. Regeste

    Lidlohn (Art. 633 ZGB).

    Als Lidlohn darf im Maximum jener Betrag zugesprochen werden, den
der Berechtigte mit der gleichen Arbeit in fremdem Dienst hätte ersparen
können. Die vom Schweizerischen Bauernsekretariat in Brugg ermittelten
Lidlohnansätze werden vom Bundesgericht grundsätzlich als angemessen
erachtet. Sie dürfen im Hinblick auf konkrete Umstände des einzelnen
Falles herabgesetzt werden; eine Erhöhung ist nur dann zulässig, wenn
ein dahingehender Wille des Erblassers festgestellt oder zu vermuten
ist. Wird die Nachlassliegenschaft zu einem hohen Preis veräussert,
so kann dies jedenfalls nicht dazu Anlass geben, einem Erben unter dem
Titel Lidlohn mehr zuzusprechen, als er bei gleicher Arbeit bei einem
fremden Arbeitgeber hätte ersparen können.

Sachverhalt

                     Gekürzter Sachverhalt:

    Die Eheleute Heinrich und Bertha Brunner-Baumann besassen in
Laupen-Wald ZH einen kleinen Landwirtschaftsbetrieb mit einem Wohnhaus,
in welchem sie das Restaurant "Brunner" führten. Nachdem sie gestorben
waren, beanspruchte von den gesetzlichen Erben der Sohn Rudolf den
Landwirtschaftsbetrieb zum Ertragswert. In einem Vergleich vereinbarten die
Erben dann jedoch, dass das Land zum höchst erhältlichen Preis verkauft
und Rudolf Brunner zuerst für seine Aufwendungen entschädigt werde. In
der Folge wurde ein Teil der Liegenschaft zum Preis von Fr. 501 875.--
verkauft. Eine Erbteilung kam indessen nicht zustande, da Rudolf Brunner
von diesem Kaufserlös vorweg einen Drittel für sich beanspruchte und sich
auch in andern Punkten mit den übrigen Erben nicht einigen konnte. Hierauf
klagten die Miterben gegen Rudolf Brunner auf Teilung der Erbschaft. In
diesem Verfahren verlangte der Beklagte unter anderem, dass unter die
Passiven des Nachlasses aufgenommen werde:

    "Aufwendungen des Beklagten für

    - Lidlohn

    - Verzicht auf das bäuerliche Erbrecht,

    - Erhaltung des Heimwesens

    total Fr. 139 750.--".

    Das Obergericht des Kantons Zürich wies dieses Begehren ab. Der
Beklagte hat gegen das Urteil des Obergerichtes beim Bundesgericht Berufung
eingereicht. Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    1-2.- Der Beklagte macht vor Bundesgericht wiederum einen
Lidlohnanspruch von Fr. 33000.-- für die Jahre 19251936 (in der
Berufungsschrift ist wohl irrtümlich die Rede von 1926-1935)
geltend. Das Obergericht prüfte eingehend, ob dem Beklagten ein
Anspruch auf Lidlohn zustehe. Dabei gelangte es zum Ergebnis, nach den
Richtlinien des Schweizerischen Bauernsekretariates könne der Beklagte
für die Jahre 1925-1936 einen Lidlohn von insgesamt höchstens Fr. 5280.--
beanspruchen. Der Beklagte wendet dagegen ein, sein Lidlohnanspruch müsse
bedeutend grosszügiger bemessen werden, weil das landwirtschaftliche
Heimwesen schliesslich für rund eine halbe Million Franken habe verkauft
werden können. Ein Lidlohn von Fr. 3000.-- pro Jahr sei demnach keineswegs
übersetzt.

    Bei der Bemessung des Lidlohnanspruches handelt es sich weitgehend um
eine Ermessensfrage, bei deren Überprüfung das Bundesgericht Zurückhaltung
übt (BGE 83 II 361). Die vom Schweizerischen Bauernsekretariat
ermittelten Lidlohnansätze werden in der Literatur durchwegs als
angemessen bezeichnet und zugleich als das Maximum dessen verstanden,
was als Lidlohn zugesprochen werden kann; die Umstände des Einzelfalles
dürfen lediglich zu einer Reduktion, niemals aber zu einer Erhöhung dieser
Ansätze Anlass geben (TUOR/PICENONI, N. 35-40 und ESCHER, N. 29-33 zu
Art. 633 ZGB; BOREL/NEUKOMM, Das bäuerliche Erbrecht des schweizerischen
Zivilgesetzbuches, 4. Aufl. 1954, S. 150 ff; ABT, Die Ansprüche mündiger
Hauskinder aus Zuwendungen an ihre Eltern, Diss. Zürich, 1926, S. 95/96;
GRAF, Die Stellung mündiger Kinder im elterlichen Haushalt, Diss. Zürich,
1950, S. 42 ff; VUILLEUMIER, La rémunération de l'enfant majeur qui
travaille pour ses parents ou les aide de ses revenus, Diss. Lausanne,
1944, S. 92 ff). Das Bundesgericht seinerseits hat wiederholt entschieden,
als Lidlohn könne im Maximum jener Betrag zugesprochen werden, den der
Berechtigte mit der gleichen Arbeit in fremdem Dienst hätte ersparen können
(BGE 70 II 29, 52 II 111); davon seien im Hinblick auf konkrete Umstände
des einzelnen Falles gegebenenfalls Abzüge vorzunehmen. Lediglich in BGE
71 II 78 ging das Bundesgericht über die Ansätze des Bauernsekretariates
hinaus, weil der Erblasser in einem Vertrag unter Lebenden andern Kindern
grössere Entschädigungen für die Mitarbeit im elterlichen Betrieb zuerkannt
hatte. Somit hat auch das Bundesgericht die Ansätze des Bauernsekretariates
grundsätzlich als angemessen erachtet und gleichzeitig festgehalten,
dass diese nur dann überschritten werden dürfen, wenn ein dahingehender
Wille des Erblassers festgestellt oder zu vermuten ist.

    Der Beklagte ficht diese Auslegung an, ohne indessen anzugeben,
weshalb sie unrichtig sein soll. In der Tat ist denn auch nicht einzusehen,
weshalb ein hoher Verkaufserlös der Nachlassliegenschaften dazu Anlass
geben sollte, einem Erben unter dem Titel Lidlohn mehr zuzusprechen, als er
mit der gleichen Arbeit bei einem fremden Arbeitgeber erspart hätte. Das
stünde schon im Widerspruch zum Wortlaut des (inzwischen durch BG vom
6. Oktober 1972 über Änderungen des bäuerlichen Zivilrechtes aufgehobenen
und durch die neuen Art. 334, 334bis und 603 Abs. 2 ersetzten) Art. 633
ZGB, wonach der Anspruch auf eine "billige Ausgleichung" bzw. auf einen
"entsprechenden Entgelt" geht. Die ursprüngliche gesetzgeberische Absicht
bezüglich dieser Bestimmung und des mit ihr im Zusammenhang stehenden
Art. 334 ZGB (in seiner bis zum 14. Februar 1973 geltenden Fassung)
ging dahin, mündigen Kindern in jenen Fällen, da sie der häuslichen
Gemeinschaft mit ihren Eltern ohne Entgelt jahrelang ihre Arbeit oder
ihre Einkünfte zugewendet hatten, unter bestimmten Umständen - im Falle
der Pfändung, des Konkurses und des Todes der Eltern - Anspruch auf eine
billige Entschädigung zuzuerkennen (Botschaft des Bundesrates, BBl 1904
IV S. 42; StenBull 1905 NR S. 851 ff, StR S. 1229). Nach einer neuern
Auffassung, die auch der Revision der Art. 334, 334bis und 603 Abs. 2
ZGB sowie der Streichung von Art. 633 ZGB durch das BG vom 6. Oktober
1972 über Änderungen des bäuerlichen Zivilrechtes zugrunde liegt, steht
mündigen Kindern, die ihren Eltern in gemeinsamen Haushalt ihre Arbeit
zugewendet haben, in jedem Falle aufgrund von. Art. 320 Abs. 2 OR ein
Lohnanspruch zu; die Bestimmungen über den Lidlohn sollen lediglich
den Umfang der Zahlungspflicht mildern und den Zeitpunkt der Fälligkeit
hinausschieben, wenn die Entrichtung des vollen Lohnes oder die sofortige
Zahlung für den Schuldner eine unzumutbare Belastung bedeuten würde
(Botschaft des Bundesrates BBl 1971 I/2, S. 742 ff; PIOTET in ZSR 88 I
S. 165 ff; ZOLLER, Lidlohnansprüche, Diss. Zürich 1969, S. 102 ff). Beide
Betrachtungsweisen führen zwangsläufig zum Schluss, dass im Maximum
jener Betrag als Lidlohn zugesprochen werden kann, der nach üblichen
Lohnansätzen den Netto-Gegenwert der geleisteten Arbeit darstellt. Diesen
Ansatz deswegen zu erhöhen, weil das Nachlassvermögen gross ist oder weil
bestimmte Nachlassgegenstände zu einem günstigen Preis verkauft werden
konnten, besteht keinerlei vernünftiger Grund.

    Die Vorinstanz ging von den niedrigsten Ansätzen des Schweizerischen
Bauernsekretariates aus, weil es sich um einen ausgesprochenen Kleinbetrieb
gehandelt habe, der nicht die volle Arbeitskraft des Beklagten beansprucht,
sondern diesem erlaubt habe, daneben auch noch auf dem Bau zu arbeiten.
Dieses Vorgehen ist nicht zu beanstanden. Das Obergericht hat indessen dem
Beklagten auch den so errechneten Lidlohnanspruch von insgesamt Fr. 5280.--
nicht zugesprochen, weil verschiedene Geschwister des Beklagten der
Mutter ebenfalls Arbeit oder Einkünfte zugewendet hätten, vor allem aber
weil dem Beklagten die Landwirtschaft und die Wohnung nach 1936 während
30 Jahren zu einem sehr günstigen Zins überlassen worden seien. Soweit
der Beklagte dagegen einwendet, das Gewerbe sei "völlig verlottert"
gewesen, wendet er sich in unzulässiger Weise gegen tatsächliche
vorinstanzliche Feststellungen (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Weshalb die
von der Vorinstanz angestellten Überlegungen "dem ZGB fern" sein sollen,
ist nicht einzusehen. Denn bei der Festsetzung des Lidlohnanspruches darf
sehr wohl berücksichtigt werden, dass der Erbe als Entgelt für die im
elterlichen Betrieb geleistete Arbeit bereits dadurch entschädigt wurde,
dass ihm in der Folge dieser Betrieb zu einem unter den Normalansätzen
liegenden Zins verpachtet wurde. Das Obergericht ist demnach in seinem
Entscheid durchaus im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens geblieben.