Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 II 24



100 II 24

6. Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. Februar 1974 i.S. Holzer gegen
Fux. Regeste

    Teilweise Entwehrung.

    1.  Art. 192 Abs. 1 OR. Gewährleistungspflicht des Verkäufers, der
sich als Alleineigentümer einer Parzelle ausgibt.

    2.  Art. 193 Abs. 1 und 2 OR. Ein gerichtlicher Vergleich, den der
Käufer mit dem Dritten abschliesst, ist kein Prozessergebnis im Sinne
dieser Bestimmungen.

    3.  Art. 194 Abs. 1 OR. Pflichten des Käufers, der das Recht des
Dritten während eines hängigen Prozesses anerkennt.

Sachverhalt

    A.- Holzer verkaufte am 22. März 1965 die Grundstücke Fol. 17 Nr. 74
und 75 in Zenhäusern an Margaretha Fux. Das erste Grundstück bestand
aus einem Anteil Haus, das zweite aus insgesamt 211 m2 Platz und Garten,
für deren Mass der Verkäufer die Gewährleistung übernahm.

    Moritz Clausen war Miteigentümer des Hauses Nr. 74. Er beanspruchte
einen Teil der Parzelle Nr. 75 für sich und klagte im Juni 1966 auf
Feststellung seines Anspruches und Eintragung im Grundbuch. Margaretha
Fux widersetzte sich der Klage und liess dem Holzer im September 1966
den Streit verkünden. Holzer beteiligte sich nicht am Verfahren. Dieses
endete am 20. Juni 1969 mit einem gerichtlichen Vergleich.

    "Das Gericht und die Parteien" stellten darin fest, dass die
Erben Moritz Clausen Miteigentümer der Parzelle Nr. 75 sind (Ziff. 1
des Vergleiches). Auf Vorschlag des Gerichtes legten die Parteien
die Miteigentumsanteile an dieser Parzelle im Verhältnis zu jenen am
Hause Nr. 74 fest. Danach gehörten 3/6 der Parzelle Nr. 75 den Erben
Moritz Clausen, 1/6 den Erben Josef Clausen und 2/6 der Margaretha Fux
(Ziff. 2). Das Gericht stellte ferner fest, dass Margaretha Fux gestützt
auf den Kaufvertrag vom 22. März 1965 für ein Mindermass von 4/6 der
gekauften Parzelle Nr. 75 auf Holzer zurückgreifen kann (Ziff. 3). Gemäss
Ziff. 4 des Vergleiches sodann verkaufte Margaretha Fux ihre Anteile an
den Grundstücken Nr. 74 und 75 für Fr. 28 000.-- an einen Erben des Moritz
Clausen; spätestens am 3. November 1969 sollte der Kaufpreis bezahlt und
der Eigentumsübergang im Grundbuch eingetragen werden. Der Entscheid über
die Prozesskosten wurde dem Gericht überlassen, das den Prozess als durch
Vergleich erledigt abschrieb (Ziff. 5 und 6).

    B.- Am 1. September 1970 klagte Margaretha Fux gegen Holzer auf
Zahlung von 10 160.30 nebst Zins. Sie berief sich auf den angeführten
Vergleich und die Gewährleistungspflicht des Verkäufers.

    Der Beklagte liess weder das eine noch das andere gegen sich gelten.

    Durch Urteil vom 23. März 1973 verpflichtete das Kantonsgericht Wallis
den Beklagten, der Klägerin wegen Entwehrung von 141 m2 Fr. 7050.-- sowie
für Kosten aus dem ersten Prozess Fr. 2568.90 zu bezahlen, beides nebst 5%
Zins seit verschiedenen Verfalldaten.

    Das Kantonsgericht nahm an, der Beklagte habe die 211 m2 umfassende
Parzelle Nr. 75 als Alleineigentum verkauft, folglich für die teilweise
Entwehrung nach Art. 192 ff. OR Gewähr zu leisten.

    C.- Der Beklagte hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Er
beantragt, es aufzuheben und die Klage abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene
Urteil zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 192 Abs. 1 OR hat der Verkäufer dafür Gewähr zu
leisten, dass nicht ein Dritter aus Rechtsgründen, die schon zur Zeit
des Vertragsabschlusses bestanden haben, den Kaufgegenstand dem Käufer
ganz oder teilweise entziehe. Wenn ein Dritter einen solchen Grund
geltend macht, ist der Verkäufer gemäss Art. 193 OR verpflichtet, auf
Streitverkündigung hin je nach den Umständen und den Vorschriften der
Prozessordnung dem Käufer im Prozess beizustehen oder ihn zu vertreten
(Abs. 1). Bei rechtzeitiger Streitverkündung wirkt ein ungünstiges
Prozessergebnis auch gegen den Verkäufer, sofern er nicht beweist, dass
es durch böse Absicht oder grobe Fahrlässigkeit des Käufers verschuldet
worden ist (Abs. 2).

    Das Kantonsgericht findet, Prozessergebnis im Sinne dieser Bestimmung
sei nicht nur das richterliche Urteil, sondern auch ein gerichtlicher
Vergleich, wie ihn die Klägerin am 20. Juni 1969 mit den Erben Moritz
Clausen abgeschlossen habe; der Beklagte müsse ihn folglich gegen
sich gelten lassen. Der Beklagte ist demgegenüber der Meinung, die
Voraussetzungen der Gewährleistung seien überhaupt nicht erfüllt. Der
Umstand, dass er sich als Alleineigentümer der Parzelle Nr. 75 wähnte, sage
über den tatsächlichen Sachverhalt nichts aus. Er habe einzig den Bestand
der Parzelle garantiert, aber keine Gewährleistung für Alleineigentum
übernommen. Im Kaufvertrag vom 22. März 1965 sei denn auch festgehalten
worden, alles werde "verkauft mit allen Rechten und Pflichten wie bisher
bestanden als frei und ledig von Hypotheken".

    a) Über die Rechtsverhältnisse zur Zeit des Verkaufes, um die
es hier geht, ist der angeführten Vertragsbestimmung indes nichts zu
entnehmen. Entscheidend ist vielmehr, dass der Beklagte damals nach seinen
eigenen Zusagen Alleineigentümer der Parzelle Nr. 75 zu sein glaubte und
beim Verkauf als solcher auftrat. Das Kantonsgericht hält ihm denn auch
entgegen, Margaretha Fux habe im ersten Prozess Ansprüche Dritter mit allem
Nachdruck bestritten, weil der Beklagte ihr Alleineigentum zugesichert
habe. Die Vorinstanz stellt ferner gestützt auf seine Zeugenaussage im
ersten Verfahren fest, er habe die Parzelle als Alleineigentum betrachtet.

    Diese Feststellungen über den Willen der Vertragsschliessenden sind
für das Bundesgericht verbindlich, denn sie beruhen nicht auf Auslegung
des Vertrages, sondern namentlich auf der Würdigung der Beweisergebnisse
der beiden Verfahren. Was der Beklagte dagegen in der Berufung vorbringt,
ist unzulässige Kritik an der Beweiswürdigung und daher nicht zu hören
(vgl. BGE 95 II 146 und 96 II 148/9 mit Verweisungen).

    b) Mit Recht kritisiert der Beklagte dagegen die Auffassung der
Vorinstanz, er müsse den zwischen den Parteien des ersten Prozesses
vereinbarten Vergleich gemäss Art. 193 Abs. 2 OR gegen sich gelten
lassen. Das Kantonsgericht übersieht, dass Art. 194 Abs. 1 OR gerade
für Fälle, in denen der Käufer es nicht zu einer gerichtlichen
Entscheidung kommen lässt, eine besondere Regel aufstellt. Diese ist
auch anwendbar, wenn ein Prozess schon teilweise durchgeführt worden ist
(OSER/SCHÖNENBERGER, N. 4 zu Art. 194 OR), die Parteien dann aber, sei es
von sich aus, sei es auf Anregung oder unter Mitwirkung des Gerichtes,
einen Vergleich abschliessen. Auch durch einen gerichtlichen Vergleich
wollen die Parteien den Prozess beenden, verzichten also aufeine
richterliche Entscheidung (BGE 60 II 58; GULDENER, Schweizerisches
Zivilprozessrecht, 2. Aufl. S. 287 ff; LEUCH, ZPO Bern Anm. 5 zu §
397; STRÄULI/HAUSER, ZPO Zürich Anm. 1/III/a zu § 238; ROSENBERG,
Zivilprozessrecht 10. Aufl. S. 668 lit. e; STEIN-JONAS, Kommentar zur ZPO,
19. Aufl. Anm. II zu § 794).

    Das Kantonsgericht wendet freilich ein, durch die Beweiserhebungen und
seine Mitwirkung bei den Vergleichsverhandlungen habe es den wesentlichen
Inhalt eines zu fällenden Urteils praktisch schon im Vergleich bestimmt,
weshalb diesem "der Charakter von Endgültigkeit und Unanfechtbarkeit"
zukomme, der Vergleich also wie ein Urteil behandelt werden müsse. Einem
Urteil ist der gerichtliche Vergleich jedoch nur in der Vollstreckbarkeit
gleichgestellt (BGE 60 II 57/8, 90 III 74; Art. 73 Abs. 4 BZP, Art. 80
Abs. 2 SchKG; GULDENER, aaO S. 292/3; LEUCH, aaO S. 396). Dass ein
Gericht zur Einigung der Parteien beiträgt und ihnen bei der Regelung
materiellrechtlicher Beziehungen in einem Prozessvergleich behilflich ist,
macht diesen nicht zu einer gerichtlichen Entscheidung. Der grundlegende
Unterschied, auf den in BGE 60 II 58 hingewiesen worden ist, bleibt
vielmehr auch in solchen Fällen bestehen. Daran ändert auch nichts,
dass hier nicht nur die Parteivertreter, sondern auch die Mitglieder des
Gerichtes den Vergleich mitunterzeichnet haben; dieser lässt sich so oder
anders nicht in ein Urteil umdeuten.

    c) Ist unter dem Prozessergebnis im Sinne des Art. 193 Abs. 1 OR
ein richterliches Urteil zu verstehen, so heisst das anderseits nicht,
der Käufer müsse den Prozess mit Rücksicht auf den Verkäufer unter
Ausschöpfung aller möglichen Rechtsmittel bis zur letztinstanzlichen
Entscheidung fortführen, wie das Kantonsgericht unter Berufung auf seine
eigene Rechtsprechung unterstellt. Die Vorinstanz weist selber mit Recht
darauf hin, dass die Anerkennung eines Drittrechtes während des Prozesses
sich für den Käufer nicht bloss als tunlich erweisen, sondern geradezu
aufdrängen kann. Es wäre deshalb sachlich nicht gerechtfertigt, ihm im
Verfahren Rechte zu verweigern, die ihm ausserhalb dessen zuständen. Die
Behelfe des Art. 194 Abs. 1 OR müssen ihm unbekümmert um Bestimmungen des
kantonalen Verfahrensrechtes, das die Geltung des materiellen Bundesrechtes
nicht einzuschränken vermag, auch bei einem hängigen Prozess zur Verfügung
stehen (vgl. LEUCH, aaO N. 1 zu Art. 50 ZPO).

    Art. 194 Abs. 1 OR macht die Pflicht des Verkäufers zur Gewährleistung
davon abhängig, dass ihm die Anerkennung des Drittrechtes rechtzeitig
angedroht und die Führung des Prozesses erfolglos angeboten worden ist. Bei
einem hängigen Prozess kommen diese Erfordernisse einer besonderen
Streitverkündung gleich. Wird der Prozess fortgesetzt, so braucht der
Verkäufer ihn nicht notwendig anstelle des Käufers zu führen; er kann
diesem auf Anzeige des Streites hin auch als Intervenient beitreten.
Das Bundesgesetz über den Bundeszivilprozess regelt die Streitanzeige
in Art. 16. Der Bundesrat führte dazu in seiner Botschaft vom 14. März
1947 zum Gesetzesentwurf insbesondere aus, dass die Wirkungen der
Streitverkündung im Verhältnis zwischen dem Verkünder und dem Empfänger
dem materiellen Recht angehören, und zwar nicht nur in den Fällen, wo das
materielle Gesetz sie ausdrücklich vorsieht (z.B. Art. 193 und 258 OR),
sondern in allen Fällen der Gewährleistung oder Schadloshaltung, da sie
ein Ausfluss des Handelns nach Treu und Glauben im Vertragsverhältnis
seien. Das Prozessrecht habe einzig die verfahrensrechtlichen Folgen
der Streitanzeige und die Form der prozessualen Anzeige zu ordnen; das
materielle Recht nämlich begnüge sich mit einer beliebigen Anzeige. Die
vom Entwurf vorgesehene Intervention reiche auch für die Stellvertretung
gemäss Art. 193 Abs. 1 und für die Streitübernahme nach Art. 258 OR (die
nicht auf eigenen Namen, sondern nur für eigene Rechnung zu geschehen
brauche); denn durch eigene Untätigkeit könne die unterstützte Partei dem
Intervenienten die Führung des Prozesses tatsächlich vollständig überlassen
(BBl 1947 I 1005).

    Das muss sinngemäss auch für eine Prozessübernahme gemäss Art. 194
Abs. 1 OR gelten.

    Den Anforderungen dieser Bestimmung aber hat die Klägerin im ersten
Prozess nicht genügt. Gewiss hat sie dem heutigen Beklagten nach Art. 18
der Walliser ZPO den Streit verkündet. Diese Bestimmung geht sogar weiter
als Art. 194 Abs. 1 OR, da der Verkünder die Führung des Prozesses nicht
bloss anbieten, sondern den Empfänger unter Angabe des Grundes auffordern
muss, an seiner Stelle in den Prozess einzutreten. Diese Aufforderung
lag hier jedoch über zwei Jahre zurück, als die Klägerin mit den Erben
Clausen über einen Vergleich zu verhandeln begann. Ein solcher wurde in
der Streitverkündung auch nicht vorbehalten, und eine spätere Androhung
eines Vergleiches mit den Erben Clausen unterblieb. Art. 52 ZPO, wonach
der Streitverkünder den Prozess auf Gefahr des Gewährsmannes weiterführen
darf, wenn dieser die Übernahme ablehnt (Abs. 1), hilft der Klägerin
nicht; denn nach Abs. 2 der Bestimmung kann der Dritte in den Prozess
eintreten, ohne dass dadurch sein Recht, die Gewährleistungspflicht zu
bestreiten, beeinträchtigt wird. Unter diesen Umständen lässt sich das
Verhalten des Beklagten, der am ersten Prozess nicht teilgenommen und
im zweiten die Gewährleistung abgelehnt hat, nicht als Verstoss gegen
das Gebot des Art. 2 ZGB werten. Um den Auflagen des Art. 194 Abs. 1 OR
gerecht zu werden, hätte die Klägerin zur Zeit, als sie sich wegen der
neuen Prozesslage zu Verhandlungen bewegen liess, dem Beklagten von
ihrer Vergleichsbereitschaft Kenntnis geben und ihm die Gelegenheit
zur Übernahme des Prozesses (nochmals) einräumen müssen. Das hat sie
nicht getan, weshalb sie auch aus dieser Bestimmung keine Wirkung des
Vergleiches gegen den Beklagten ableiten kann.

Erwägung 2

    2.- Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben. Das heisst indes
nicht, die Klage sei ohne weiteres abzuweisen. Der Klägerin bleibt gemäss
Art. 194 Abs. 2 OR der Nachweis offen, dass sie zur vergleichsweisen
Anerkennung des Drittrechtes verpflichtet war (vgl. BECKER, N. 2 zu
Art. 194 OR mit Verweisungen; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 1, 3 und 4 zu
Art. 194 sowie N. 1 zu Art. 193 OR; GUHL/MERZ/KUMMER, OR S. 330). Das
Kantonsgericht hat hierüber, wenn und soweit dafür die prozessualen
Voraussetzungen gegeben sind, materiell zu befinden.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des
Kantonsgerichtes Wallis vom 13. März 1973 aufgehoben und die Sache zu neuer
Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.