Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 II 237



100 II 237

34. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. Juni 1974
i.S. Hoffmann-La Roche & Co AG gegen Dolder AG. Regeste

    Art. 8 Abs. 1 und 2, Art. 66 lit. a PatG. Schutzbereich des Gesetzes:
Voraussetzungen, unter denen Verletzungen eines schweizerischen Patentes
durch Handlungen im Ausland vom Gesetz erfasst werden (Bestätigung der
Rechtsprechung).

Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach dem angefochtenen Urteil warf die Klägerin der Beklagten im
kantonalen Verfahren bloss vor, Medazepam verkauft und von Italien nach
einem lateinamerikanischen Land geliefert zu haben, was die Beklagte
zugab. Dass die Ware dabei nie auf schweizerisches Gebiet gelangte,
blieb unbestritten. Nach der Annahme der Vorinstanz beschränkt der Streit
sich deshalb auf die Frage, ob durch den Abschluss eines Kaufvertrages in
der Schweiz über ein Erzeugnis, das im Ausland hergestellt und an einen
Käufer im Ausland geliefert wird, ein schweizerisches Patent verletzt
werden könne.

    Die Klägerin kritisiert diese Annahme als unvollständig oder
offensichtlich auf Versehen beruhend. Sie macht geltend, das beanstandete
Geschäft der Beklagten habe seiner Natur entsprechend notwendigerweise aus
"einem Paar von Kaufverträgen", nämlich dem Vertrag über den Ankauf in
Italien und dem Vertrag über den Verkauf an einen lateinamerikanischen
Kunden bestanden. In der Klage werde der Beklagten denn auch Kauf und
Verkauf von Medazepam bzw. Handel damit vorgeworfen, und die Beklagte
habe in der Antwort den Kauf neben dem Verkauf zugegeben.

    Diese Hinweise auf die Abwicklung des Geschäftes sind richtig, ändern
jedoch nichts daran, dass die Ware, die Gegenstand der Kaufverträge war,
nie auf schweizerisches Gebiet gelangt ist.

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz führt sodann aus, der Wortlaut des Art. 8 Abs. 2
PatG, der unter den dem Patentinhaber vorbehaltenen Benutzungshandlungen
den Verkauf des geschützten Produktes nenne, lasse im vorliegenden
Fall auf eine Patentverletzung schliessen. Dem stehe jedoch das im
Immaterialgüterrecht geltend Territorialprinzip entgegen, das eine
räumliche Beziehung der Handlung zum Schutzland erfordere.

    Die Klägerin erblickt darin eine Verletzung von Art. 8 PatG, den
die Vorinstanz sowohl nach seinem Wortlaut wie nach seinem Sinn, der
ihm im Gesetzeszusammenhang zukomme, verkenne. Indem die Beklagte mit
unmittelbaren Erzeugnissen des patentierten Verfahrens handelte, habe sie
die Erfindung der Klägerin im Sinne dieser Bestimmung benutzt. Unter den
als Beispiele aufgezählten Benutzungshandlungen nenne das Gesetz denn
auch den Verkauf neben dem Inverkehrbringen und unabhängig davon. Das
kantonale Gericht irre, wenn es annehme, seine vom Wortlaut des Gesetzes
abweichende Auffassung werde auch vom Bundesgericht und der Lehre
vertreten. Gewiss gelte das Territorialprinzip; die in Basel und von
Basel aus betriebene Handelstätigkeit der Beklagten sei jedoch, was die
Vorinstanz übersehe, mit der Schweiz "entstehungs- und wirkungsmässig"
verbunden. Das kantonale Gericht missverstehe auch die Rechtsprechung;
sein Urteil setze das Patentgesetz teilweise ausser Kraft und sei wegen
dessen Auswirkungen unhaltbar.

    Das Bundesgericht hatte bereits im Entscheid 35 II 643 ff. einen
Sachverhalt wie den vorliegenden zu beurteilen. In jenem Falle hatte die
beklagte Gesellschaft eine für Motorfahrzeuge bestimmte Kühlvorrichtung,
die Gegenstand einer in der Schweiz patentierten Erfindung war, zum Teil
in Bellegarde (Frankreich) nachahmen und von dort aus absetzen lassen. Das
Bundesgericht führte zum Schadenersatzbegehren der Klägerin insbesondere
aus (S. 660/61), das Patentgesetz sei "d'application strictement
territoriale", seine Anwendung also auf schweizerisches Gebiet zu
beschränken; der mit ihm angestrebte Schutz gelte bloss innerhalb der
Landesgrenzen. Patentverletzungen würden von ihm folglich nur erfasst,
wenn sie sich in der Schweiz auswirkten, wenn die in Nachahmung der
Erfindung hergestellten oder widerrechtlich benutzten Gegenstände auf
schweizerisches Gebiet gelangten. Dass die in Bellegarde fabrizierten
Apparate in die Schweiz eingeführt worden seien, stehe jedoch nicht fest;
erwiesen sei bloss, dass die Beklagte darüber an ihrem Sitz in Genf Buch
geführt und die Verkäufe von dort aus abgeschlossen habe. Das genüge aber
nicht. Der Ort des Vertragsabschlusses könne nicht unbekümmert darum,
dass die Apparate nicht für die Schweiz, sondern ausschliesslich für
Frankreich und Drittländer bestimmt gewesen seien, berücksichtigt werden,
da diesfalls der Schutzbereich des Gesetzes aufs Ausland ausgedehnt würde.

    Die gleiche Auffassung liegt den neuern Entscheiden 92 II 293 und
97 II 169 zugrunde, wo das Bundesgericht die Anwendung des Gesetzes auf
Erzeugnisse, welche ein Dritter im Ausland (in Verletzung eines in der
Schweiz geschützten Patentes) herstellte, ebenfalls nur für den Fall
bejaht hat, dass die Produkte in die Schweiz eingeführt wurden, sei es
um sie hier zu vertreiben oder bloss zu lagern und dann wieder auszuführen.

    Im vorliegenden Fall fehlt es an einer solchen räumlichen
Verbindung mit der Schweiz, weshalb alle Einwände der Klägerin ins Leere
stossen. Nach Art. 8 PatG verschafft das Patent seinem Inhaber das
ausschliessliche Recht, die Erfindung gewerbsmässig zu benützen. Ohne
Erlaubnis des Patentinhabers darf daher niemand den Gegenstand der
Erfindung herstellen, nachahmen, gebrauchen, verkaufen, in Verkehr
bringen oder sich sonstwie zunutze machen (vgl. Art. 8 Abs. 2 und 66 lit. a
PatG). Die Benutzungshandlung kann am Gegenstand der patentierten Erfindung
oder am Gegenstand, der das Patent verletzt, vorgenommen werden. Im
einen wie im andern Fall kann aber von einer widerrechtlichen Handlung
nach schweizerischem Recht nur unter der Voraussetzung die Rede sein,
dass der Gegenstand sich wenigstens vorübergehend auf schweizerischem
Gebiet befindet. So wenig ausserhalb der Schweiz begangene Handlungen
die Verletzung eines schweizerischen Patentes ausschliessen, wenn sie
einen Erfolg in der Schweiz bewirken (BGE 92 II 296, 97 II 173), so wenig
lassen sich in der Schweiz begangene Handlungen als dem schweizerischen
Recht unterstellte Patentverletzungen werten, wenn der Erfolg ausserhalb
der Schweiz eintritt (BGE 35 II 660/61). Dies gilt insbesondere von
Kaufverträgen, die zwar in der Schweiz geschlossen werden, aber ausserhalb
der Schweiz hergestellte und vertriebene Waren betreffen oder, wie in BGE
92 II 298 ausgeführt worden ist, einzig durch den Abschlussort zur Schweiz
in Beziehung stehen. Anders entscheiden, hiesse vom Territorialprinzip
und damit auch von jahrzehntelanger Rechtsprechung abrücken. Dazu besteht
indes kein Anlass, zumal diese Rechtsprechung mit der herrschenden Lehre
übereinstimmt (TROLLER, Immaterialgüterrecht 2. Aufl. I S. 151, II S. 724;
BLUM/PEDRAZZINI, Das Schweizerische Patentrecht I Anm. 54 zu Art. 1 PatG).