Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 II 195



100 II 195

30. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 11. Juli 1974
i.S. Bruhin gegen Ziegler. Regeste

    Quellenrecht; schonende Ausübung der Dienstbarkeit (Art. 737 ZGB).

    Der Dienstbarkeitsbelastete kann Massnahmen zur Behebung schädigender
Wirkungen der Rechtsausübung verlangen, sofern das Dienstbarkeitsrecht
dadurch nicht geschmälert wird.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    Philomena Bruhin-Krieg ist Eigentümerin der landwirtschaftlich
genutzten Liegenschaft GB Nr. 159 in Schübelbach, während die
Nachbarliegenschaft GB Nr. 162 im Eigentum von Richard Ziegler steht. Dem
jeweiligen Eigentümer dieser Liegenschaft steht ein unbeschränktes
Wasserbezugsrecht an der auf dem Grundstück GB Nr. 159 entspringenden
und in einer Brunnenstube gefassten Quelle zu. Im Jahre 1950 nahm
Richard Ziegler Veränderungen an der Brunnenstube vor. Philomena Bruhin
macht geltend, als Folge dieser Arbeiten sei das Wasser im Brunnen höher
gestaut worden, was zu einer Versumpfung des um die Brunnenstube gelegenen
Wieslandes geführt habe. Sie reichte beim Bezirksgericht der March gegen
Richard Ziegler eine Klage ein, mit der sie unter anderem beantragte,
dieser sei zur Vornahme gewisser Sanierungsarbeiten zu verpflichten. Sowohl
das Bezirksgericht als auch das Kantonsgericht des Kantons Schwyz wiesen
die Klage in diesem Punkte ab.

    Das Bundesgericht hebt das kantonsgerichtliche Urteil auf und weist
die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Dem Beklagten steht nach zutreffender Auffassung der Parteien
und der kantonalen Gerichte ein unbeschränktes Wasserbezugsrecht an der
Quelle der Klägerin zu. Dieses Recht ist als ungemessene Grunddienstbarkeit
gemäss Art. 730 ff. ZGB zu qualifizieren. Die Klägerin behauptet, seit
1950 werde ein Teil des um die Quelle liegenden Landes durch die Anlage
der Brunnenstube bzw. durch die Art des Wasserbezugs versumpft und dadurch
entwertet. Sie verlangt, dass diese Schädigungen durch geeignete Vorkehren
behoben werden und fordert Ersatz des bisher erwachsenen Schadens.

    Das Kantonsgericht stellt für das Bundesgericht verbindlich fest,
dass die Versumpfung teilweise auf den Wasserstau in der Brunnenstube
zurückzuführen ist, der sich nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren
auf das Umgelände auswirkt, teils auf Wasserzufluss aus höher gelegenem
Gebiet. Die Spuren in der Brunnenstube zeigten, dass der Wasseraufstoss
je nach Witterung verschieden hoch sei. Auch das Ausmass der Versumpfung
ändere sich und habe am Augenschein vom 17. Juni 1972 nur noch in einem
Umkreis von ca. 1,5 m um die Brunnenstube bestanden.

    In rechtlicher Beziehung geht die Vorinstanz davon aus, dass der
Beklagte sein servitutarisches Recht in schonender Weise auszuüben habe,
jedoch nur soweit dadurch die zweckmässige Ausübung des Rechtes auch nicht
in geringem Teil beeinträchtigt werde. Die Belastete habe einen ihr daraus
erwachsenden Schaden hinzunehmen. Da der Beklagte ein ungemessenes und
unbeschränktes Wasserbezugsrecht habe, könnte die Klägerin selbst dann
keine Einschränkung verlangen, wenn der Höherstau für die Versumpfung
allein verantwortlich wäre. Vorbehalten bliebe lediglich eine für das
belastete Grundstück geradezu ruinöse Versumpfung, da eine solche bei
Begründung der Dienstbarkeit nicht vorausgesehen worden sei und nicht
in Kauf genommen worden wäre. Von einer ruinösen Schädigung sei jedoch
keine Rede; jedenfalls sei das Interesse des Beklagten am unveränderten
und ungeschmälerten Wasserbezug grösser als das Interesse der Klägerin
an der Beseitigung der Versumpfung.

Erwägung 4

    4.- a) Nach Art. 737 ZGB ist der Berechtigte befugt, alles zu tun,
was zur Erhaltung und Ausübung der Dienstbarkeit nötig ist. Er ist
jedoch verpflichtet, sein Recht schonend auszuüben. Wurde wie hier ein
unbeschränktes Wasserbezugsrecht erworben, so hat der Belastete die aus
der Ausübung des Rechts erwachsenden Schäden zu dulden, auch wenn diese
Schäden erst die Folge eines im Laufe der Zeit erhöhten Wasserbezugs sind
(LIVER, N. 21 ff., 43 ff. zu Art. 737 ZGB; LEEMANN, N. 11 zu Art. 737
ZGB).

    Diese Duldungspflicht ist jedoch nicht unbeschränkt. Der Belastete
kann Massnahmen zur Behebung schädigender Wirkungen der Rechtsausübung
verlangen, sofern das Dienstbarkeitsrecht dadurch überhaupt nicht
geschmälert wird (LIVER, N. 45 ff. zu Art. 737 ZGB). Der Belastete muss
nur die mit der Rechtsausübung unvermeidlich verbundenen Schädigungen
dulden. Kann das Recht in vollem Ausmass auf eine andere als die bisherige
Art vertragsgemäss ausgeübt werden und kommt es in diesem Falle nicht zu
Schädigungen, so hat der Belastete Anspruch auf eine entsprechende Änderung
der Ausübungsart (LIVER, aaO; LEEMANN, N. 5 zu Art. 737 ZGB). Nach dem
Grundsatz von Treu und Glauben muss der Berechtigte auf eine den Belasteten
schädigende Rechtsausübung verzichten, soweit diese Rechtsausübung unnütz
ist oder sein Interesse daran jedenfalls in einem krassen Missverhältnis
zum Interesse des Belasteten an der Unterlassung der Schädigung steht
(BGE 95 II 21 mit Hinweis).

    b) Die Vorinstanz hat nicht geprüft, ob die von der Klägerin
geforderten Massnahmen zu einer Beeinträchtigung des Wasserbezugsrechts
des Beklagten führen würden. Sie behandelt den ganzen Fall so, als ob der
Beklagte ein geschütztes Recht nicht nur auf ungemessenen Wasserbezug,
sondern auf einen Höherstau in der Brunnenstube besässe. In diesem
Sinne erklärt sie kurzerhand, die Absenkung des Wasserstandes könnte zwar
möglicherweise die Versumpfung sanieren, doch komme dies einer unzulässigen
Beschränkung des Wasserbezugsrechts gleich. Diese rechtliche Folgerung ist
unhaltbar. Dass die Vorinstanz die entscheidende Frage nach der Auswirkung
einer Absenkung des Wasserstandes auf das Wasserbezugsrecht gar nicht
untersucht hat, ist umso unverständlicher, als die Klägerin von Anfang an
eine Beeinträchtigung dieses Rechts durch die mit der Klage geforderten
Massnahmen bestritt und der von der Vorinstanz in diesem Zusammenhang
zitierte Gerichtsexperte Bellin in seinem schriftlichen Gutachten
die Möglichkeit einer Senkung des Wasserstandes ohne Beeinträchtigung
des Wasserbezugsrechts bejaht. Der Experte empfiehlt den Versuch einer
Absenkung des Wasserspiegels unter Beibehaltung der Saughöhe der Pumpe. Er
bezweifelt zwar, dass die Versumpfung des Geländes gänzlich verhindert
werden könne, da der Bestand der Quelle und die Saughöhe der Pumpe
berücksichtigt werden müssten. Er hält es aber für wahrscheinlich, dass die
Versumpfung auf ein erträgliches Mass gemindert würde. Bei dieser Sachlage
konnte die Vorinstanz nicht ohne Verletzung von Bundesrecht annehmen, die
geforderten und möglicherweise tauglichen Sanierungsmassnahmen würden zu
einer Schmälerung des Rechtes des Beklagten führen, ohne darüber Beweis
abzunehmen.

    Mit ihrem Eventualbegehren hatte die Klägerin die Ausführung anderer,
gerichtlich festzustellender Schutzvorkehren und Massnahmen verlangt,
durch die einer Versumpfung des Umgeländes begegnet werden könnte. Sie hat
sich dafür richtigerweise auf Expertise berufen und präzisiert, es lasse
sich eventuell eine geringere Senkung des Wasserstandes oder eine andere
geeignete Massnahme denken. Die Vorinstanz hat weder durch Expertise
noch auf andere Weise abgeklärt, ob solche Massnahmen möglich wären,
ohne dass das Wasserbezugsrecht beeinträchtigt würde. Wiederum geht sie
von der rechtlich unhaltbaren These aus, schon die blosse Senkung des
Wasserstandes beeinträchtige das Recht des Beklagten.

    Die Vorinstanz hat sodann zwar eine Interessenabwägung versucht, ist
aber auch hier von unrichtigen rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen. Sie
stellt dem Interesse der Klägerin an der Entsumpfung der Liegenschaft das
Interesse des Beklagten gegenüber, "das Wasserbezugsrecht entsprechend dem
Inhalt des Dienstbarkeitsvertrages für die Bedürfnisse seiner Liegenschaft
für Haus und Stall unbegrenzt nutzen zu können". Welches diese Bedürfnisse
sind und welchen Wert sie verkörpern, hat sie nicht geprüft. Es ist
nicht abgeklärt, ob überhaupt ein Bedürfnis im Umfang der jetzigen
Nutzung besteht, oder ob es sich nicht um eine unnütze Rechtsausübung
handelt. Letzteres wäre dann nicht ausgeschlossen, wenn das Wasser,
wie die Klägerin behauptet, aus hygienischen Gründen als Trinkwasser für
Mensch und Vieh überhaupt nicht verwendbar wäre und nur als Brauchwasser
von Nutzen sein könnte, im übrigen aber nutzlos z.B. in einem Brunnen
abflösse. Die Vorinstanz hat ferner nicht geprüft, welche Beeinträchtigung
sich für den Beklagten ergeben würde, wenn die mit der Klage geforderten
Massnahmen wirklich zu einer gewissen Drosselung des Wasserzuflusses führen
sollten. Bei der Interessenabwägung kommt es nicht auf das Interesse
des Berechtigten an dem gesamten Wasserbezug an, sondern darauf, wie
hoch einerseits die durch die Massnahmen vermeidbaren Schädigungen der
Klägerin sind und wieviel anderseits der durch die gleichen Massnahmen
bewirkte Ausfall des Wasserbezugs für den Beklagten wert ist. Es ist
keineswegs ausgeschlossen, dass eine Schmälerung des Wasserbezugs um
einige Minutenliter für den Betrieb des Beklagten völlig belanglos ist,
so dass ein krasses Missverhältnis selbst dann zu bejahen wäre, wenn der
behebbare Versumpfungsschaden mit der Vorinstanz niedrig bewertet wird.

    ...

    c) Lässt sich aber dem angefochtenen Urteil der für die Entscheidung
massgebliche Sachverhalt nicht entnehmen, so ist die Sache zur Ergänzung
der Akten an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 64 Abs. 1 OG). Diese
wird abzuklären haben, ob die Versumpfung durch die von der Klägerin
geforderten bzw. durch andere, gerichtlich. festzustellende Massnahmen
auf ein erträgliches Mass zurückgeführt werden kann, ohne dass das
Wasserbezugsrecht des Beklagten beeinträchtigt wird. Sollte eine Behebung
der Versumpfung ohne Beeinträchtigung des Wasserbezugsrechts nicht möglich
sein, wird sie sodann eine Interessenabwägung vorzunehmen haben und prüfen
müssen, wie gross einerseits der durch die Sanierungsmassnahmen behebbare
Schaden der Klägerin ist und wieviel anderseits der durch die Massnahmen
bewirkte Ausfall des Wasserbezugs für den Beklagten wert ist. Auf dieser
Grundlage wird die Vorinstanz einen neuen Entscheid zu fällen haben.