Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 II 18



100 II 18

5. Urteil der I. Zivilabteilung vom 8. Februar 1974 i.S. Hartley &
Martin Etablissement gegen Eschler. Regeste

    Abschluss des Vertrages.

    1.  Miete einer Liegenschaft in der Schweiz durch eine Firma im
Ausland, anwendbares Recht (Erw. 1).

    2.  Art. 16 Abs. 1 OR. Der Formvorbehalt muss vor Vertragsschluss
gemacht werden, hat aber keinen Sinn mehr, wenn keine Einigung zustande
kommt (Erw. 2).

    3.  Art. 6 OR. Bestätigung eines vermeintlich bereits mündlich
abgeschlossenen Mietvertrages; Stillschweigen des Empfängers; Bedeutung
der Umstände, insbesondere der Natur des Geschäftes sowie der Verkehrssitte
(Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Max Eschler war Eigentümer der Liegenschaft Badenerstrasse 288-296
in Zürich 4, wo er ein Geschäft für Autozubehör betrieb. Die Stockwerke
1-4 des Hauses 296 nebst Eingangshalle und Nebenräumen vermietete er der
Firma USI.

    Die Firma Hartley & Martin Etablissement in Vaduz befasst sich
insbesondere mit der Untermiete von Geschäftsliegenschaften. Als ihr
Geschäftsführer Bachmann am 12. Januar 1971 erfuhr, dass die Firma USI das
Mietverhältnis wegen finanzieller Schwierigkeiten auflösen könnte, bat er
Eschler um eine Besichtigung, die noch am gleichen Tage stattfand. An der
Besichtigung nahmen auch ein Angestellter der USI sowie Willy Sturzenegger
teil, der für die Alkon AG Mieträume suchte und sich schon vorher mit
Bachmann in Verbindung gesetzt hatte. Nachher verhandelten Bachmann und
Eschler unter vier Augen über den Abschluss eines Mietvertrages. Eschler
verlangte dabei unter anderem, dass die Firma Hartley & Martin eine
Bankbürgschaft für einen Vierteljahreszins, der Fr. 52 202 ausmachte,
beibringe. Bachmann entsprach diesem Verlangen am 13. Januar.

    Am 21. Januar 1971 schrieb die Firma Hartley & Martin dem Eschler, dass
sie den am 12. Januar "mündlich geschlossenen Mietvertrag absprachekonform
schriftlich" bestätige. Wie besprochen, habe sie dazu ein Formular
des Hauseigentümer-Verbandes und Mietervereins Zürich verwendet und
die vereinbarten Ergänzungen eingefügt. Das dem Schreiben beigelegte
Formular eines Mietvertrages für gewerbliche Räume war ausgefüllt,
aber nicht unterzeichnet. Die Firma fügte bei, dass einem zusätzlichen
Austausch gegenseitig unterzeichneter Verträge nichts im Wege stehe, sie
dies aber nicht für nötig halte. Mit Schreiben vom 26. Januar teilte sie
Eschler mit, dass sie das vereinbarte Verbot, Mieträume an Konkurrenten
des Vermieters weiterzuvermieten, irrtümlich nicht in die schriftliche
Bestätigung aufgenommen habe, weshalb Ziff. 16 des Mietvertrages noch
mit der von ihr verfassten Konkurrenzklausel zu ergänzen sei.

    Eschler antwortete auf beide Schreiben erst am 24. Februar 1971. Er
bestritt, dass bereits ein Mietvertrag abgeschlossen worden sei; es
hätten nur Vorbesprechungen stattgefunden, zumal nach den bisherigen
Verhandlungen, wie die Interessentin wisse, immer noch nicht feststehe,
ob die USI die Mieträume überhaupt aufgeben wolle. Die Untermiete von
Räumen gemäss einer in den Vertrag eingefügten Bestimmung komme auf
keinen Fall in Frage; er habe die Untermiete auch der USI untersagt und
erinnere die Interessentin zudem daran, dass in den Vorbesprechungen die
Übernahme von Einrichtungen eine wichtige Rolle gespielt habe, diese Frage
aber ebenfalls nicht gelöst sei. Übrigens habe er soeben erfahren, dass
die USI Geld aus Amerika erwarte und die Räume vorläufig behalten werde;
die Angelegenheit sei damit hinfällig.

    Die Firma Hartley & Martin hielt Eschler entgegen, sie habe mit
ihm am 12. Januar mündlich einen Mietvertrag abgeschlossen und dessen
Inhalt mit Schreiben vom 21. und 26. Januar bestätigt, ohne dass er sich
dagegen innert nützlicher Frist verwahrt habe. Sie habe die Mietsache
am 15. Januar 1971 für die Dauer von zehn Jahren zu einem jährlichen
Basiszins von Fr. 291 442.-- an die Alkon AG weitervermietet, mit ihm
aber einen Zins von Fr. 208 810.-- vereinbart. Durch den Vertragsbruch
sei ihr somit ein Schaden entstanden.

    B.- Da Eschler die Ersatzpflicht bestritt, klagte die Firma Hartley &
Martin im Juni 1971 gegen ihn auf Zahlung von Fr. 20 658.-- nebst Zins. Der
Betrag entspricht dem ihr angeblich entgangenen Gewinn für das zweite
Quartal 1971. Sie behielt sich vor, den Beklagten noch für weiteren
Schaden aus entgangenem Gewinn zu belangen.

    Am 12. Juli 1971 starb der Beklagte. An seine Stelle trat sein Sohn
Max Paul Eschler in den Prozess ein.

    Das Bezirksgericht Zürich und auf Appellation hin am 14. September
1973 auch das Obergericht des Kantons Zürich wiesen die Klage ab.

    Die Klägerin führte gegen das Urteil des Obergerichts
Nichtigkeitsbeschwerde. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies die
Beschwerde am 3. Dezember 1973 "im Sinne der Erwägungen" ab. Es stellte
fest, die Akten enthielten entgegen der Annahme des Obergerichts keine
Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin das Schreiben vom 21. Januar 1971
nicht gutgläubig verfasst habe.

    C.- Die Klägerin hat gegen das Urteil des Obergerichts auch Berufung
eingelegt. Sie beantragt, es aufzuheben und die Klage gutzuheissen.

    Der Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene
Urteil zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Ob auf ein streitiges Rechtsverhältnis schweizerisches oder
ausländisches Recht anwendbar ist, hat das Bundesgericht auf Berufung
hin von Amtes wegen zu prüfen (BGE 94 II 302 Erw. 3a, 96 II 87 Erw. 6).

    Der vorliegende Streit, der sich auf die Miete eines in der Schweiz
gelegenen Grundstückes bezieht, ist nach schweizerischem Recht zu
beurteilen (SCHÖNENBERGER/JÄGGI, OR Allg. Einleitung N. 274; vgl. BGE
82 II 553). Das gilt auch für die Frage, ob zwischen den Parteien
überhaupt ein Mietvertrag zustande gekommen ist (SCHÖNENBERGER/JÄGGI,
aaO N. 258). Die Parteien versuchen dies mit Recht nicht zu widerlegen;
sie haben sich vielmehr schon im kantonalen Verfahren selber auf
schweizerisches Recht berufen.

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht stellt in Würdigung der Zeugenaussagen Bachmanns
fest, die Klägerin habe nicht nachweisen können, dass sie am 12. Januar
1971 mit Vater Eschler einen Mietvertrag abgeschlossen habe; der Vorbehalt
einer Bankgarantie und von Referenzen lasse im Gegenteil darauf schliessen,
dass Vater Eschler sich damals noch nicht endgültig habe entscheiden
wollen. Das ist Beweiswürdigung, die das Bundesgericht bindet; denn die
Klägerin macht nicht geltend, die Feststellung des Obergerichts beruhe auf
einem offensichtlichen Versehen oder auf einer Verletzung bundesrechtlicher
Beweisvorschriften (Art. 63 Abs. 2 OG).

    Ist nach dem angefochtenen Urteil aber davon auszugehen, dass
Vater Eschler sich am 12. Januar noch nicht festlegen wollte, so wird
die zusätzliche Begründung der Vorinstanz, der Hauseigentümer habe sich
entsprechend einer allgemeinen Übung für den Abschluss des Mietvertrages
stillschweigend die Schriftform vorbehalten, hinfällig. Art. 16 Abs. 1 OR
regelt den Fall, dass die Parteien für einen Vertrag, der vom Gesetz an
keine Form gebunden ist, die Anwendung einer solchen vorbehalten haben. Die
Bestimmung stellt die Vermutung auf, dass die Parteien vor Erfüllung der
Form nicht verpflichtet sein wollen. Dies setzt jedoch voraus, dass es
bei den mündlichen Verhandlungen zu einer Einigung gekommen ist. Trifft
das, wie im vorliegenden Fall, nicht zu, so ist die Frage, ob eine Form
vorbehalten worden sei, gegenstandslos.

    Sollte das Obergericht die zusätzliche Begründung nur für den Fall
beigefügt wissen, dass die Hauptbegründung nicht standhielte, so wäre
dies für das Bundesgericht unbeachtlich. So oder anders bleibt es bei
seiner tatsächlichen Feststellung, dass die Behauptung der Klägerin,
ihr Geschäftsführer habe sich mit Vater Eschler am 12. Januar über alle
wesentlichen Bestandteile des Vertrages mündlich geeinigt, sich nicht
beweisen liess. Damit ist auch dem Einwand der Klägerin, die Vorinstanz
hätte die Beweislast für einen stillschweigenden Formvorbehalt dem
Beklagten auferlegen müssen, der Boden entzogen.

Erwägung 3

    3.- Die Klägerin macht geltend, das Obergericht habe das Stillschweigen
von Vater Eschler auf ihr Schreiben vom 21. Januar 1971 zu Unrecht als
unerheblich betrachtet. Wenn der Mietvertrag nicht bereits am 12. Januar
zustande gekommen sei, müsse dieses Schreiben rechtlich jedenfalls als
Vertragsofferte im Sinne von Art. 6 OR gewürdigt werden, die Eschler
stillschweigend angenommen habe.

    Art. 6 OR regelt, wie aus seinem Randtitel erhellt,
die stillschweigende Annahme eines Antrages zum Abschluss eines
Vertrages. Nach dieser Bestimmung gilt ein Vertrag als abgeschlossen,
wenn wegen der besonderen Natur des Geschäftes oder nach den Umständen
eine ausdrückliche Annahme nicht zu erwarten ist und der Antrag nicht
binnen angemessener Frist abgelehnt wird.

    a) Im vorliegenden Fall wollte die Klägerin mit ihren Schreiben vom
21. und 26. Januar Eschler keinen Antrag zum Abschluss eines Vertrages
unterbreiten; nach der Feststellung des Kassationsgerichtes war sie
vielmehr in guten Treuen der Auffassung, mit diesen Schreiben und dem
ausgefüllten Mietvertragsformular einen am 12. Januar mit Eschler mündlich
abgeschlossenen Vertrag zu bestätigen. Auf einen solchen Sachverhalt
ist Art. 6 OR nicht unmittelbar anwendbar. Das Bundesgericht hat indes
wiederholt die analoge Anwendung dieser Bestimmung auf Fälle bejaht, in
denen eine Partei einen vermeintlich mündlich abgeschlossenen Vertrag
schriftlich bestätigt und der Empfänger sich dagegen nicht innert
angemessener Frist verwahrt hat (BGE 30 II 298, 38 II 583, 40 II 133, 71
II 223; nicht veröffentlichtes Urteil vom 12. April 1960 i.S. P. Brugger &
Co. gegen Opopharm AG). Nach dieser Rechtsprechung kommt nichts darauf
an, ob die Parteien vorher ergebnislos verhandelt oder ob sie sich
wenigstens in einigen (wesentlichen) Punkten geeinigt haben. Im Falle,
der dem Entscheid 71 II 223 zugrunde lag, stand z.B. fest, dass die
Parteien verhandelt, sich aber gerade über wesentliche Punkte (Preis,
Zahlungsweise und Lieferfrist) nicht hatten einigen können.

    Eine analoge Anwendung von Art. 6 OR auf Fälle, in denen die Parteien
sich in wesentlichen Punkten nicht haben einigen können, die mündlichen
Verhandlungen somit vorläufig oder endgültig als gescheitert betrachtet
werden müssen, erweckt freilich Bedenken. Ob diesfalls schon die Tatsache,
dass verhandelt worden ist und eine Partei der andern gutgläubig eine
schriftliche Bestätigung zugestellt hat, bei Stillschweigen des Empfängers
auf dessen Zustimmung schliessen lasse (vgl. SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 97,
99 und 100 zu Art. 6 OR), scheint ohne besondere Umstände selbst im
kaufmännischen Verkehr zweifelhaft zu sein. Die Frage braucht jedoch
nicht weiter erörtert zu werden, da eine analoge Anwendung von Art. 6 OR
auf den vorliegenden Fall schon aus anderen Gründen zu verneinen ist.

    b) Die Vermutung des Art. 6 OR, wonach Stillschweigen auf einen Antrag
als Zustimmung gilt, trifft nach dem Wortlaut der Bestimmung nur zu, wenn
nach der Natur des Geschäftes oder nach den Umständen eine ausdrückliche
Annahme nicht zu erwarten ist.

    Die Vorinstanz führt dazu unter Hinweis auf das Urteil des
Bezirksgerichtes aus, dass es nicht nur in Zürich, sondern in der
ganzen Schweiz zur Übung geworden ist, Mietverträge über Liegenschaften
schriftlich abzuschliessen. Hiezu besteht vor allem dann Anlass, wenn es
sich, wie im vorliegenden Fall, um einen Mietvertrag mit einem jährlichen
Basiszins von über Fr. 200 000.-- handelt, der erst zehn Jahre nach
dem Mietbeginn erstmals kündbar sein sollte. Dass Mietverträge gemäss
Art. 11 Abs. 1 OR keiner besondern Form bedürfen, hilft darüber nicht
hinweg. Freilich hätten die Parteien den Vertrag nach dieser Vorschrift
formlos, d.h. mündlich oder sogar stillschweigend (Art. 1 Abs. 1 und 2 OR)
abschliessen können. Von einem solchen Abschluss kann nach den gesamten
Umständen des Falles jedoch nicht die Rede sein.

    Die Natur des beabsichtigten Geschäftes, das nach der Verkehrssitte
schriftlich abgeschlossen wird, ist unvereinbar mit der Annahme,
der Vertrag gelte gemäss Art. 6 OR infolge Schweigens des Empfängers
auf das Bestätigungsschreiben vom 21. Januar als abgeschlossen. Dies
liesse sich im Gegenteil nur sagen, wenn nach der Verkehrssitte eine
ausdrückliche Annahmeerklärung nicht zu erwarten gewesen wäre (BGE 71 II
224; OSER/SCHÖNENBERGER N. 3 und BECKER N. 9 zur Art. 6 OR; vgl. auch §
151 BGB, wo ausdrücklich auf die Verkehrssitte Bezug genommen wird).

    Richtig ist, dass es sich bei beiden Parteien um Kaufleute handelt. Der
formlose Abschluss eines Mietvertrages, zumal über mehrere Stockwerke,
fiel bei der beklagten Partei jedoch nicht unter die von ihr üblicherweise
getätigten Handelsgeschäfte, da sie sich stets an schriftliche Verträge
gehalten haben will. Bei der Klägerin verhielt es sich nicht anders. Nach
dem angefochtenen Urteil musste sie zugeben, dass sie bisher alle
Mietverträge mindestens schriftlich bestätigte, sich also nicht mit
mündlichen Vereinbarungen zu begnügen pflegte. Indem sie Vater Eschler
am 21. Januar ein ausgefülltes Formular über einen "Mietvertrag für
gewerbliche Räume" zustellte, hat sie sich auch im vorliegenden Fall
an diese Übung gehalten. Es hilft ihr deshalb auch nicht, dass sie im
Begleitschreiben ausführte, der Austausch gegenseitig unterzeichneter
Verträge sei nicht erforderlich, könne aber vorgenommen werden, wenn
Eschler es wünsche. Dabei könnte sie die Gegenpartei nur behaften,
wenn sich das Schweigen des Empfängers nach den übrigen Umständen,
insbesondere nach der Verkehrssitte, als Zustimmung werten liesse. Das
trifft offensichtlich nicht zu. Es schadet daher der beklagten Partei
nicht, dass Vater Eschler der Auffassung der Klägerin erst am 24. Februar
1971 widersprochen hat.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts (I.
Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 14. September 1973 bestätigt.