Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 II 105



100 II 105

19. Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. März 1974 i.S. H. Kracht's
Erben und Aktiengesellschaft Rosau gegen Stadt Zürich. Regeste

    Altrechtliche Reallast; intertemporales Recht (Art. 2 und 17
SchlT/ZGB).

    1.  Eine unter dem alten zürcherischen Recht gültig
errichtete Reallast, gemäss welcher der jeweilige Eigentümer eines
Grundstücks verpflichtet ist, auf eine diesem Grundstück zustehende
Bauverbotsdienstbarkeit nicht zu verzichten, steht weiterhin unter
dem alten Recht, soweit sie nicht mit Bestimmungen des neuen Rechts in
Widerspruch steht, die um der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit willen
erlassen worden sind (Erw. 1).

    2.  Eine Vorschrift hat nicht schon dann Ordre-public-Charakter,
wenn sie zwingender Natur ist, sondern nur, wenn sie grundlegende
sozialpolitische und ethische Anschauungen des Gesetzgebers verkörpert
(Erw. 2).

    3.  Prüfung der Ordre-public-Widrigkeit der streitigen Reallast unter
dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Untrennbarkeit der Dienstbarkeit
vom berechtigten Grundstück (Erw. 3a), der Identität der Dienstbarkeit
(Erw. 3b) sowie des Verbots der Mehrbelastung des dienenden Grundstücks
(Erw. 3c).

Sachverhalt

    A.- Zur Liegenschaft Kat. Nr. 851 des Hotels Baur au Lac in Zürich
(im folgenden als Liegenschaft Baur bezeichnet) gehört ein relativ
langgezogener Vorgarten, der von der seeseitigen Front des Hotels bis zum
General-Guisan-Quai reicht und im Westen an das Flüsschen "Schanzengraben"
grenzt. Der unmittelbar an den General-Guisan-Quai grenzende südlichste
Teil dieses Hotelgartens darf auf Grund einer im Jahre 1843 zugunsten
der Stadt Zürich begründeten Personaldienstbarkeit nicht überbaut werden;
diese Dienstbarkeit liegt nicht im Streit.

    Eine weitere Bauverbotsservitut bezüglich des Hotelgartens wurde
im Jahre 1845 als Grunddienstbarkeit zugunsten der nur durch den
"Schanzengraben" getrennten Nachbarliegenschaft begründet. Diese
Liegenschaft besteht heute aus den Parzellen Kat. Nr. 1434, 1435 und
2563; auf der Parzelle Kat. Nr. 1434 befindet sich die in den Jahren
1843/44 erstellte Villa Rosau. (Die servitutsberechtigten Parzellen werden
nachfolgend als Liegenschaft Rosau bezeichnet.) Nach dem bei Einführung
des Grundbuchs bereinigten Wortlaut dieser Grunddienstbarkeit dürfen
Bauten auf der Liegenschaft Baur

    "nicht über die Linie der nördlichen Hauptseite des Gebäudes Assek. Nr.
195 auf Kat. Enge Nr. 1434 hinausgesetzt werden, sodass für die dem
Schanzengraben zugekehrte Nebenseite des Gebäudes Assek. Nr. 195 die
freie Aussicht auf die Anlagen vor dem Gebäude Assek. Nr. 520 und auf den
jenseits derselben befindlichen, der Stadt Zürich gehörenden öffentlichen
Platz offen gehalten wird.

    Diese Dienstbarkeit gilt zu Gunsten der Grundstücke Kat. Nr. 1434,
1435 und 1436 Enge."

    Das Gebäude Assek. Nr. 195 ist die Villa Rosau, das Gebäude
Assek. Nr. 520 das Hotel Baur au Lac. Bestand und Inhalt dieser
Dienstbarkeit sind als solche unbestritten. Sie bildet aber Gegenstand
der im folgenden zu behandelnden dinglichen Verpflichtung.

    B.- Im Zusammenhang mit der Erstellung der Quaianlagen (der heutige
General-Guisan-Quai und das Land westlich der Villa Rosau wurden durch
Seeaufschüttung gewonnen) wurde am 22. Oktober 1885 zwischen der Direktion
der Quaibauten namens der Gemeinden Zürich, Riesbach und Enge einerseits
und den damaligen Eigentümern der Liegenschaft Rosau anderseits ein
Vertrag abgeschlossen, in dem unter anderem folgendes vereinbart wurde:

    "Die Nachkommen des Herrn Paul Wunderli sel. übernehmen für sich
und die zukünftigen Eigentümer des Hauses Nr. 195 die Verpflichtung,
auf das ihnen zustehende auf dem Ausgelände des Herrn Theodor Baur in
Zürich als Servitut haftende dingliche Recht, welches im Grundprotokoll
folgendermassen erwähnt ist: "..." ohne Einwilligung der Stadt Zürich nicht
zu verzichten und darauf gestützt Herrn Baur und seinen Rechtsnachfolgern
Bauten in dem servitutsbelasteten Garten, Katasternro 505, zu verwehren."

    Bei der Fertigung, vollzogen am 25. Mai 1887, wurde diese Verpflichtung
ausdrücklich als dinglich bezeichnet. Anlässlich der Einführung des
eidgenössischen Grundbuches im Kreis Zürich-Enge wurde sie gestützt
auf Art. 45 SchlT/ZGB als altrechtliche dingliche Verpflichtung, auf
ein Dienstbarkeitsrecht nicht zu verzichten und Bauten zu verwehren,
zulasten der Liegenschaft Rosau und zugunsten der Stadt Zürich angemerkt.

    Die Liegenschaft Baur steht heute im Eigentum der Kollektivgesellschaft
H. Kracht's Erben. Die Liegenschaft Rosau ihrerseits steht in Eigentum
der Aktiengesellschaft Rosau, deren Aktien sich in den Händen der
Kollektivgesellschaft H. Kracht's Erben befinden. Diese möchte die
Bauverbotsdienstbarkeit, die zugunsten der Liegenschaft Rosau auf der
Liegenschaft Baur lastet, löschen lassen. Sie gelangte am 24. Dezember
1938, am 29. April 1958 und am 17. Dezember 1964 mit dem Gesuch an die
Stadt Zürich, der Löschung der Dienstbarkeit zuzustimmen. Die Stadt Zürich
wies diese Gesuche ab.

    Das dienstbarkeitsbelastete Gebiet der Liegenschaft Baur gehört
nach der am 1. Dezember 1969 in Kraft getretenen Bauordnung der Stadt
Zürich in die Freihaltezone. Die Frage der Entschädigungspflicht
der Stadt Zürich für diese öffentlichrechtliche Baubeschränkung wird
massgebend davon beeinflusst, ob die auf der Liegenschaft Baur lastende
Grunddienstbarkeit gelöscht werden kann. Aus diesem Grunde haben die
Kollektivgesellschaft H. Kracht's Erben und die von ihr wirtschaftlich
beherrschte Aktiengesellschaft Rosau ein grosses Interesse daran
zu wissen, ob die seinerzeit zugunsten der Stadt Zürich eingegangene
dingliche Verpflichtung der jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft Rosau,
auf die Grunddienstbarkeit nicht zu verzichten und Bauten zu verhindern,
zu Recht bestehe.

    C.- Mit Klage gegen die Stadt Zürich vom 18. November 1965
unterbreiteten die Kollektivgesellschaft H. Kracht's Erben und die
Aktiengesellschaft Rosau dem Bezirksgericht Zürich folgende Streitfrage
zur Beurteilung:

    "Ist festzustellen, dass die im Grundbuch Enge-Zürich angemerkte
altrechtliche dingliche Verpflichtung, auf eine Dienstbarkeit nicht zu
verzichten und Bauten zu verwehren, angemerkt zu Lasten der Kat. Nrn. 1434,
1435 und 1436 (neu Kat. Nr. 2563) der Aktiengesellschaft Rosau und
zu Gunsten der Stadt Zürich, ungültig ist, und ist das Grundbuchamt
Enge-Zürich anzuweisen, diese Anmerkung zu löschen?"

    Durch Urteil vom 12. Juli 1968 wurde die Klage abgewiesen. Eine
Berufung gegen diesen Entscheid wurde vom Obergericht des Kantons Zürich
mit Urteil vom 22. Juli 1971 abgewiesen.

    D.- Gegen das obergerichtliche Urteil reichten die Klägerinnen sowohl
Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht des Kantons Zürich als
auch Berufung an das Bundesgericht ein. In der Berufung stellten sie den
Antrag auf Gutheissung der Klage.

    In Anwendung von Art. 57 OG wurde das bundesgerichtliche Verfahren bis
zur Erledigung der kantonalrechtlichen Nichtigkeitsbeschwerde sistiert. Mit
Beschluss vom 17. August 1973 wies das Kassationsgericht des Kantons
Zürich die Nichtigkeitsbeschwerde ab, soweit es darauf eintrat.

    Hierauf wurde der Beklagten Frist zur Einreichung der Berufungsantwort
angesetzt. Die Beklagte stellte darin den Antrag, auf die Berufung sei
nicht einzutreten eventuell sei sie abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Die Vorinstanz hat auf Grund des zur Zeit des Vertragsschlusses
anwendbaren zürcherischen Rechts geprüft, ob die streitige Verpflichtung
gültig zustandekommen sei. Sie hat damit die Grundsätze des schweizerischen
intertemporalen Privatrechts unbestrittenermassen richtig angewendet,
denn nach Art. 1 Abs 1 und 2 SchlT/ZGB werden Tatsachen, die vor
dem Inkrafttreten des ZGB eingetreten sind, nach dem damaligen Recht
beurteilt. Art. 17 SchlT/ZGB, der von den dinglichen Rechten im besonderen
handelt, ändert jedenfalls hinsichtlich deren Entstehung nichts an dieser
Grundregel.

    In Anwendung des zürcherischen Privatrechts, das zur Zeit der
Begründung der streitigen dinglichen Verpflichtung galt, gelangte die
Vorinstanz zum Schluss, dass es sich bei dieser Verpflichtung um eine
Reallast im Sinne der §§ 755 ff. des Privatrechtlichen Gesetzbuches für
den Kanton Zürich in der Fassung von 1853, in Kraft seit dem 31. März 1854
(PGB), handle. Der jeweilige Eigentümer der Liegenschaft Rosau sei danach
mit der Verpflichtung belastet, auf die dieser Liegenschaft zulasten
der Liegenschaft Baur zustehende Dienstbarkeit nicht zu verzichten,
sondern sie aufrechtzuerhalten und bei drohender Verletzung geltend
zu machen, wobei der Wert der Liegenschaft Rosau für die Erfüllung
Sicherheit biete. Diese Verpflichtung sei an sich unbefristet, jedoch
gegen Entschädigung ablösbar, und sie falle dahin, wenn die Dienstbarkeit
für das Grundstück Rosau objektiv kein Interesse mehr habe. Sie entfalte
grundsätzlich nur obligatorische Wirkungen und könne somit nicht direkt
gegenüber dem Eigentümer des dienstbarkeitsbelasteten Grundstücks geltend
gemacht werden. Dinglichen Charakter habe sie nur insofern, als sie den
jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft Rosau treffe und der Wert dieser
Liegenschaft für die Folgen der Nichterfüllung hafte. Die Verpflichtung
behindere den Eigentümer der Liegenschaft Rosau in seiner Verfügung über
die Dienstbarkeit nicht, abgesehen von dem einzigen Fall, dass durch
den Verzicht auf sie der Wert des Grundstückes nicht mehr ausreichende
Sicherheit für den Schadenersatz böte, der infolge der Verletzung der
Verpflichtung geschuldet werde.

    b) Soweit die Vorinstanz entschied, dass eine Verpflichtung mit dem
soeben umschriebenen Inhalt nach dem früheren zürcherischen Privatrecht
möglich gewesen sei, kann ihr Urteil vom Bundesgericht nicht überprüft
werden, da keine Verletzung von Bundesrecht in Frage steht. Darüber besteht
zwischen den Parteien keine Meinungsverschiedenheit. Sie sind sich auch
darin einig, dass die streitige Verpflichtung nach dem neuen Recht nicht
mehr als dingliche, nämlich als Grundlast im Sinne von Art. 782 ZGB,
begründet werden könnte. Dem steht die Vorschrift in Absatz 3 des eben
erwähnten Artikels entgegen, wonach eine Grundlast nur eine Leistung
zum Inhalt haben kann, die sich entweder aus der Natur des belasteten
Grundstücks ergibt oder die für die wirtschaftlichen Bedürfnisse eines
berechtigten Grundstückes bestimmt ist. Keine dieser Voraussetzungen trifft
auf die in Frage stehende Verpflichtung zu, denn diese ergibt sich nicht
aus der Natur der Liegenschaft Rosau als belastetem Grundstück noch ist
sie für die wirtschaftlichen Bedürfnisse eines berechtigten Grundstückes
bestimmt (berechtigt ist die Stadt Zürich).

    Ist davon auszugehen, dass das streitige Recht als ein dingliches
gültig begründet wurde und beim Inkrafttreten des ZGB bestand, so ist es
nach Art. 17 Abs. 1 SchlT/ZGB grundsätzlich auch unter dem neuen Recht
anzuerkennen. Weil seine Errichtung nach dem ZGB nicht mehr möglich
wäre, bestimmt sich sein Inhalt gemäss Art. 17 Abs. 3 SchlT/ZGB nach dem
früheren Recht und konnte es nach Art. 45 Abs. 1 SchlT/ZGB im Grundbuch
nicht eingetragen, sondern lediglich angemerkt werden. Die Vorinstanz hat
den Inhalt des streitigen Rechtsverhältnisses somit richtigerweise auf
Grund des früheren zürcherischen Rechts ermittelt. Auch insoweit entzieht
sich der angefochtene Entscheid der Überprüfung durch das Bundesgericht.

    c) Nach Art. 2 SchlT/ZGB entfalten Bestimmungen des ZGB, die um
der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit willen aufgestellt sind,
unter Vorbehalt abweichender Regeln rückwirkende Kraft. Demgemäss
finden Vorschriften des bisherigen Rechts, die nach der Auffassung des
neuen Rechts der öffentlichen Ordnung oder Sittlichkeit widersprechen,
nach dessen Inkrafttreten keine Anwendung mehr. Diese Ausnahme vom sonst
massgebenden Grundsatz der Nichtrückwirkung muss auch für jene dinglichen
Rechte gelten, die nach dem neuen Recht nicht mehr errichtet werden könnten
und deren Inhalt sich gemäss Art. 17 Abs. 3 SchlT/ZGB nach dem bisherigen
Recht bestimmt (BGE 93 II 75/76, 79 II 405/406. Erw. 5, 49 II 335/336;
LEEMANN, N. 62 zu Art. 782 und N. 18/19 zu Art. 788 ZGB; LIVER, N. 214-216
zu Art. 734 und N. 200 zu Art. 736 ZGB). Soweit in BGE 94 II 247/248
Erw. 9b unter Berufung auf MUTZNER (N. 17 der Vorbemerkungen zum Ersten
Abschnitt des SchlT/ZGB sowie N. 83 zu Art. 17 SchlT/ZGB) beiläufig eine
andere Ansicht vertreten wurde, kann daran nicht festgehalten werden. Die
Auffassung Mutzners hätte zur Folge, dass die Vorbehaltsklausel gerade dann
nicht angewendet werden dürfte, wenn ein dingliches Recht so sehr von den
heutigen Anschauungen abweicht, dass es gar nicht mehr begründet werden
könnte, und deshalb die Gefahr eines Widerspruchs mit der öffentlichen
Ordnung in besonderem Masse besteht.

    Die Klägerinnen machen nun geltend, das streitige Recht der Stadt
Zürich sei mit zwingenden und um der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit
willen aufgestellten Grundsätzen des Dienstbarkeitenrechts des ZGB nicht
vereinbar, mit Grundsätzen also, die für die Bauverbotsdienstbarkeit der
Liegenschaft Rosau zulasten der Liegenschaft Baur gälten. Richtig ist,
dass für den gesetzlichen Inhalt dieser Dienstbarkeit gemäss Art. 17 Abs. 2
SchlT/ZGB das neue Recht massgebend ist, obwohl sie ebenfalls unter dem
alten Recht errichtet wurde; im Unterschied zum streitigen Recht kann eine
solche Servitut jedoch auch unter der Herrschaft des ZGB begründet werden,
weshalb Art. 17 Abs. 3 SchlT/ZGB keine Anwendung findet.

    Es stellt sich somit die Frage, ob das im Streite liegende Recht
der Stadt Zürich mit seinem vom Bundesgericht nicht überprüfbaren
altrechtlichen Inhalt gegen Bestimmungen des ZGB verstosse, die im
Sinne von Art. 2 SchlT/ZGB um der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit
willen aufgestellt worden sind. Dabei handelt es sich um eine Frage
bundesrechtlicher Natur, so dass die Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts
in dieser Hinsicht gegeben ist. Die abweichende Auffassung der Beklagten
und der darauf gestützte Nichteintretensantrag sind nicht begründet. Der
angefochtene Entscheid beruht in diesem Punkt auf Bundesrecht, dessen
Anwendung mit der Berufung beanstandet wird. Ob nach dem früheren
zürcherischen Recht bereits die gleichen Grundsätze für Dienstbarkeiten
massgebend waren wie nach dem ZGB, kann das Bundesgericht zwar nicht
prüfen. Selbst wenn die Vorinstanz das frühere Recht diesbezüglich
unrichtig oder überhaupt nicht angewendet haben sollte, muss es aber
möglich sein, im Berufungsverfahren zu rügen, das dem früheren Recht
unterliegende Rechtsverhältnis verstosse gegen Bestimmungen des neuen
Rechts, denen im Sinne von Art. 2 SchlT/ZGB Ordrepublic-Charakter zukomme
(MUTZNER, N. 17 zu Art. 2 SchlT/ZGB).

Erwägung 2

    2.- Damit der Ordre-public-Charakter einer Vorschrift bejaht werden
kann, genügt es nicht, dass es sich um eine Vorschrift zwingender
Natur handelt. Die streitige altrechtliche Verpflichtung wäre also
nicht schon dann ungültig, wenn sie gegen zwingende Grundsätze des
heutigen Dienstbarkeitsrechtes verstossen würde. Die öffentliche
Ordnung und Sittlichkeit rechtfertigen die rückwirkende Anwendung,
einer Norm vielmehr erst dann, wenn diese zu den Grundpfeilern der
heutigen Rechtsordnung gehört, wenn sie mit andern Worten grundlegende
sozialpolitische und ethische Anschauungen verkörpert (BGE 93 II 382
Erw. 4a, 84 II 183/184; MUTZNER, N. 28 zu Art. 2 SchlT/ZGB; BROGGINI,
in Schweizerisches Privatrecht, I, S. 451). Diese Eigenschaft kommt
nach der Rechtsprechung etwa dem aus Art. 2 und 27 ZGB ableitbaren Verbot
übermässiger zeitlicher Bindung durch obligatorische Rechtsgeschäfte zu
(BGE 97 II 395) oder dem in Art. 788 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB ausgesprochenen
Grundsatz, dass eine Grundlast jedenfalls nach dreissigjährigem Bestand
abgelöst werden kann (BGE 93 II 75/76). Dabei ist zu beachten, dass
ein altrechtliches Rechtsinstitut nur dann als im Widerspruch zum Ordre
public stehend zu betrachten ist, wenn die nach der alten Rechtsordnung
eintretende Rechtswirkung im konkreten Fall nach der Auffassung des neuen
Rechts der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit widersprechen würde
(MUTZNER, N. 84 zu Art. 17 und N. 17 zu Art. 2 SchlT/ZGB; vgl. auch BGE
84 II 184, 43 II 8/9).

Erwägung 3

    3.- Die Klägerinnen machen unter Hinweis auf ein ihre Auffassung
stützendes Gutachten von Prof. Liver geltend, die altrechtliche
Verpflichtung des jeweiligen Eigentümers der Liegenschaft Rosau,
auf die Bauverbotsdienstbarkeit zulasten der Liegenschaft Baur ohne
Einwilligung der Stadt Zürich nicht zu verzichten und gestützt darauf
die Erstellung von Bauten im servitutsbelasteten Garten zu verhindern,
verletze zwingende und um der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit willen
aufgestellte Grundsätze des Dienstbarkeitsrechts des ZGB. Diese Grundsätze
erblicken sie vor allem in der Untrennbarkeit der Grunddienstbarkeit vom
berechtigten Grundstück und in der Wahrung der Identität der Dienstbarkeit
bei deren Ausübung. Die streitige Verpflichtung widerspricht nach ihrer
Auffassung somit insbesondere dem Verbot, dass eine Grunddienstbarkeit
ohne gleichzeitige Übertragung des berechtigten Grundstücks weder ganz
noch teilweise übertragen und dass sie auch zu keinem andern Zweck
ausgeübt werden kann als zu jenem, zu welchem sie begründet wurde. Die
Verletzung dieser Grundsätze führe, so machen die Klägerinnen geltend,
zu einer unzulässigen Verschlechterung der Stellung des Eigentümers der
servitutsbelasteten Liegenschaft; diesem sei nicht zuzumuten, dass Ausübung
und Aufrechterhaltung der Dienstbarkeit von den Interessen dritter,
am Servitutsverhältnis nicht beteiligter Personen abhängig gemacht werde.

    a) Aus dem Wesen der Grunddienstbarkeit als einem Recht, das mit
dem Eigentum an einem Grundstück unlösbar verknüpft ist, ergibt sich,
dass sie für sich allein weder ganz noch teilweise übertragen und daran
auch kein beschränktes dmgliches Recht begründet werden kann (LIVER,
N. 40 zu Art. 730 und N. 44 zu Art. 734 ZGB; LEEMANN, N. 11 zu Art. 730
ZGB). Die Vorinstanz hat diesen im ZGB zwar nicht ausgesprochenen, sich
daraus jedoch ohne Zweifel ergebenden Grundsatz nicht in Frage gestellt,
sondern ausdrücklich anerkannt. Sie vertritt indessen die Auffassung,
im streitigen Rechtsverhältnis liege keine Übertragung oder dingliche
Belastung der Grunddienstbarkeit; diese stehe vielmehr nach wie vor einzig
der Eigentümerin der Liegenschaft Rosau zu; die altrechtliche Verpflichtung
habe der Stadt Zürich lediglich Rechte gegenüber dem jeweiligen Eigentümer
dieser Liegenschaft verschafft und nicht auch gegenüber dem Eigentümer
der servitutsbelasteten Liegenschaft Baur.

    Durch die streitige Reallast wird der jeweilige Eigentümer
der Liegenschaft Rosau verpflichtet, die Bauverbotsdienstbarkeit
zulasten der Liegenschaft Baur ohne Zustimmung der Beklagten nicht
aufzugeben und sie auszuüben. Darin liegt keine Verfügung über das
Recht, sondern eine Verpflichtung bezüglich dessen Ausübung. Der
Dienstbarkeitsberechtigte bleibt alleiniger Inhaber der Dienstbarkeit,
und er übt weiterhin sein eigenes Recht aus. Von einer Übertragung
oder Abtretung der Dienstbarkeit an die Stadt Zürich kann unter diesen
Umständen nicht gesprochen werden. Auch eine dingliche Belastung der
Dienstbarkeit als solcher liegt nicht vor, denn die von der Vorinstanz
als Reallast qualifizierte altrechtliche Verpflichtung lastet auf der
Liegenschaft Rosau als Ganzer und nicht nur auf der zu deren Gunsten
bestehenden Bauverbotsservitut. Hingegen fragt es sich, ob der aus einer
Grunddienstbarkeit Berechtigte einem Dritten gegenüber Verpflichtungen
obligatorischer Natur hinsichtlich der Ausübung und der Aufrechterhaltung
seines Rechtes eingehen darf.

    Diese Frage wird von den Kommentatoren verschieden beantwortet. LEEMANN
bejaht die Möglichkeit der Begründung obligatorischer Rechte an einer
Grunddienstbarkeit und nennt als Beispiel hiefür den Fall, "dass der auf
den Bezug von Wasser Berechtigte einem Dritten das Recht einräumt, das
betreffende Wasser seinem Grundstück zuzuleiten". Er hält eine solche
Vereinbarung für zulässig, sofern sich daraus keine Mehrbelastung zum
Nachteil des Servitutsbelasteten ergibt (N. 12 zu Art. 730 ZGB). LIVER
hingegen verneint die Zulässigkeit der Einräumung obligatorischer Rechte
an Grunddienstbarkeiten mit der Begründung, der Eigentümer des berechtigten
Grundstücks werde die Dienstbarkeit nur dann durch Vermietung, Verpachtung
oder Verleihung ausnützen, wenn er mangels eigenen Bedürfnisses oder
aus einem andern Grunde nicht in der Lage sei, von ihr selber vollen
Gebrauch zu machen, so dass die Dienstbarkeit zum Vorteil des Eigentümers
des belasteten Grundstücks nur schwach genutzt oder unausgeübt bleibe,
wenn ihre Ausnützung nicht Drittpersonen eingeräumt werden dürfe (N. 42
zu Art. 730 ZGB). In seinem Rechtsgutachten führt Liver überdies aus,
die Aufrechterhaltung der Dienstbarkeit unabhängig von den Bedürfnissen
des Servitutsberechtigten würde dazu führen, dass die Grunddienstbarkeit
hinsichtlich ihres Bestandes zu einer Personaldienstbarkeit gemacht und
zugleich auf einen Dritten übertragen würde, was ohne Mitwirkung des
Eigentümers des belasteten Grundstückes ausgeschlossen sei.

    Den Klägerinnen ist einzuräumen, dass die obligatorische Verpflichtung
des Dienstbarkeitsberechtigten gegenüber einem Dritten, sein Recht
nicht aufzugeben und es tatsächlich auszuüben, zu einer Loslösung der
Grunddienstbarkeit von den persönlichen Interessen des Berechtigten
führen kann. Auch wenn dieser an der Aufrechterhaltung und Ausübung
der Dienstbarkeit aus irgendwelchen Gründen kein eigenes Interesse mehr
hat, ist er durch die dem Dritten gegenüber eingegangene Verpflichtung
gebunden und muss auf seinem Recht bestehen. Es gibt allerdings
auch andere Fälle, in denen Umfang und Intensität der Ausübung einer
Grunddienstbarkeit nicht durch die persönlichen Interessen des daraus
Berechtigten bestimmt werden. Wenn der Dienstbarkeitsberechtigte einem
Dritten ein Nutzungsrecht am Grundstück als solchem einräumt, sei es ein
dingliches wie die Nutzniessung oder ein obligatorisches wie Miete und
Pacht, erstreckt sich dieses Nutzungsrecht auch auf die zugunsten des
Grundstücks bestehenden Grunddienstbarkeiten (LIVER, N. 40 und 41 zu
Art. 730, N. 25 ff. zu Art. 739 ZGB). Der Servitutsbelastete muss es
in diesen Fällen hinnehmen, dass sich die Ausübung der Dienstbarkeit
nach den Bedürfnissen des Nutzungsberechtigten und nicht nach jenen
des Liegenschafteneigentümers richtet. So hat es z.B. der Belastete
zu dulden, dass ein umfangmässig nicht beschränktes Wegrecht über
sein Grundstück viel intensiver ausgeübt wird, wenn der alleinstehende
Dienstbarkeitsberechtigte die bisher selbstbewohnte Liegenschaft verlässt
und diese einer kinderreichen Familie vermietet, die den betreffenden
Weg viel häufiger benützt.

    Es fragt sich nun, ob die Einräumung obligatorischer Rechte in Bezug
auf Grunddienstbarkeiten nur dann zulässig sein soll, wenn dem Dritten
ein Nutzungsrecht an der Liegenschaft selbst verliehen wird. Diese
Frage ist im Falle positiver Dienstbarkeiten, die auch als affirmative
bezeichnet werden und die dem Berechtigten die Befugnis zu einem Tun
geben, währenddem sie dem Belasteten eine Duldungspflicht auferlegen
(vgl. LIVER, N. 4, und LEEMANN, N. 16 zu Art. 730 ZGB), in aller Regel
ohne weiteres zu bejahen. Es springt in die Augen, dass der Berechtigte
emem Dritten, dem kein Nutzungsrecht an der Liegenschaft selbst zusteht,
nicht die Befugnis verleihen darf, die Dienstbarkeit auszuüben, also
z.B. den Dienstbarkeitsweg zu benützen; sonst würde in der Tat der für
die Grunddienstbarkeit typische Zusammenhang zwischen Berechtigung und
Grundstück aufgehoben. Nicht gleich verhält es sich indessen bei negativen
Dienstbarkeiten, die den Belasteten zur Unterlassung bestimmter Handlungen
verpflichten. Hier ist es möglich, die Servitutsausübung in den Dienst von
Drittinteressen zu stellen, ohne dem Dritten das Recht zur Ausübung der
Dienstbarkeit einräumen zu müssen. Die Servitut wird weiterhin nur durch
den Berechtigten ausgeübt, allerdings nicht mehr nach seinem freien Willen,
sondern in Erfüllung einer obligatorischen Verpflichtung. Durch diese
Verpflichtung wird wohl das Interesse an der Servitutsausübung von der
Person des Dienstbarkeitsberechtigten auf einen Dritten verlagert, nicht
aber das Recht als solches oder dessen Ausübung diesem übertragen. Der
Grundsatz der Unübertragbarkeit der Grunddienstbarkeit wird daher durch
die streitige Verpflichtung nicht verletzt, jedenfalls nicht in einem Mass,
die dem Ordre public widersprechen würde.

    b) Unter Identität der Dienstbarkeit wird der Grundsatz verstanden,
dass die Ausübung einer Dienstbarkeit nur im Rahmen des ursprünglichen
Zweckes zulässig ist, zu dem sie begründet wurde; fällt dieser dahin, darf
die Dienstbarkeit nicht zu einem andern Zweck aufrechterhalten werden,
sondern ist auf Begehren des Belasteten zu löschen (LIVER, N. 58 ff.,
66, 146 ff., 153, 155 ff. zu Art. 736 und N. 2 zu Art. 739 ZGB). Das
Bundesgericht hat in seiner neueren Rechtsprechung diesen Grundsatz in
Anlehung an Liver ausdrücklich anerkannt (BGE 94 II 149/150 Erw. 7; 92 II
94 Erw. 4 mit Hinweisen). Die Klägerinnen machen nun geltend, die streitige
Verpflichtung verstosse gegen den Grundsatz der Identität, weil sie den
Eigentümer der Liegenschaft Rosau zwinge, die Dienstbarkeit zu einem andern
als dem ursprünglichen Zweck, der auf Erhaltung der Aussicht gerichtet war,
auszuüben; die Stadt Zürich sei nämlich wegen der Bewahrung des Stadtbildes
an der Nichtüberbauung des Vorgartens der Liegenschaft Baur interessiert,
was einem völlig anderen Zweck als dem ursprünglichen gleichkomme.

    Das städtebauliche Interesse der Stadt Zürich an der Freihaltung
des servitutsbelasteten Landes geht ohne Zweifel wesentlich über den
servitutarischen Zweck, der Liegenschaft Rosau die freie Aussicht auf die
Anlagen vor dem Hoten Baur und auf den jenseits derselben befindlichen
öffentlichen Platz zu erhalten, hinaus. In einem gewissen Bereich
decken sich jedoch die beiden Zwecke. Soweit die aus städtebaulichen
Gründen angestrebte Freihaltung des Hotelgartens sowie die freie
Aussicht von der Liegenschaft Rosau auf und über diesen Garten mit dem
gleichen Mittel des Bauverbots verwirklicht werden können, geht der
speziellere Zweck der Aussichtserhaltung im andern auf. Der Schutz
des Stadtbildes umfasst zwar nicht nur, aber auch den Ausblick von
der Liegenschaft Rosau gegen die Liegenschaft Baur. Die städtebaulich
motivierte Freihaltung des Hotelgartens bezieht sich auf sämtliche
Anblicke dieses Gartens. Die Aussichtsservitut zielt demgegenüber nur
auf die Erhaltung der Aussicht in einer bestimmten Blickrichtung ab. Es
lässt sich nicht verhindern, dass die Bewahrung dieser Aussicht nicht
bloss dem Dienstbarkeitsberechtigten, sondern gleichzeitig auch andern
Liegenschaften und einer weiteren Öffentlichkeit zugute kommt. In diesem
besonderen Ausschnitt des Blickfeldes stimmen der städtebauliche und
der servitutarische Freihaltungszweck überein. Die Aufrechterhaltung
und Ausübung der Aussichtsservitut dient insoweit zwangsläufig auch dem
Interesse der Stadt an der Nichtüberbauung des Hotelgartens. Hätte die
Beklagte nicht nur die streitige Reallast, sondern die Liegenschaft Rosau
selber erworben, so könnte ihr das Recht nicht abgesprochen werden, an
der Aussichtsservitut zulasten der Liegenschaft Baur festzuhalten, weil
mit deren Ausübung gleichzeitig der für sie bedeutendere städtebauliche
Freihaltungszweck wahrgenommen würde. Solange das ursprüngliche Interesse
an der Bewahrung der freien Aussicht objektiv noch vorhanden ist, hätte die
Stadt Zürich ungeachtet des Überwiegens ihres Interesses an der Erhaltung
des Stadtbildes Anspruch auf Weiterbestand der Dienstbarkeit. Wenn dem
aber so ist, kann auch in der Einräumung des streitigen Rechts keine
Verletzung des Grundsatzes der Identität erblickt werden. Voraussetzung
ist allerdings, dass der ursprüngliche Zweck der Dienstbarkeit nicht
dahingefallen, sondern auch heute noch aktuell ist. Wie im angefochtenen
Urteil für das Bundesgericht verbindlich festgestellt wird, ist dies
jedoch der Fall. Die streitige Verpflichtung steht daher auch in dieser
Hinsicht nicht im Widerspruch zum Ordre public.

    c) Unter Berufung auf das Gutachten von Prof. Liver machen die
Klägerinnen schliesslich geltend, es führe zu einer erheblichen und
daher unzulässigen Mehrbelastung des dienenden Grundstückes, wenn sich
der Eigentümer des herrschenden Grundstückes gegenüber einem Dritten
verpflichten könne, die Dienstbarkeit unabhängig von seinen eigenen
Bedürfnissen aufrechtzuerhalten und durchzusetzen.

    Ob eine Mehrbelastung durch die Dienstbarkeit erheblich und somit
gemäss Art. 739 ZGB unzulässig sei, ist ebenso wie die Abwägung des
Interesses am Fortbestand der Dienstbarkeit im Falle von deren Ablösung
nach einem objektiven Massstab zu beurteilen. In beiden Fällen ist vom
Interesse auszugehen, das die Dienstbarkeit zur Zeit ihrer Begründung für
das herrschende Grundstück hatte (BGE 91 II 194; 92 II 93/94 Erw. 3; 94 II
148 f.). Dieses Interesse ist mit dem heutigen zu vergleichen. Das heutige
Interesse an der Dienstbarkeit ist auf Grund objektiver Gegebenheiten zu
ermitteln; auf die individuellen Bedürfnisse, die Neigungen und Launen des
gegenwärtigen Eigentümers des herrschenden Grundstücks ist nicht Rücksicht
zu nehmen. Massgebend ist vielmehr der Nutzen, den die Dienstbarkeit für
das berechtigte Grundstück hat (LIVER, N. 150 und 152 zu Art. 736 und
N. 8 zu Art. 739 ZGB).

    Die Vorinstanz hat festgestellt, dass ein Bedürfnis der Liegenschaft
Rosau am Fortbestand der Aussichtsservitut immer noch bestehe und von
erheblicher Bedeutung sei. Der von den Klägerinnen hervorgehobene
Umstand, dass der pekuniäre Wert der Dienstbarkeit nicht mehr
in ihrem ursprünglichen Zweck liege, sondern in der Möglichkeit
ihrer vertraglichen Aufhebung gegen Entgelt, fällt wohl bei einer
wirtschaftlichen Betrachtungsweise ins Gewicht, kann aber im vorliegenden
Zusammenhang nicht ausschlaggebend sein. Da die Servitut auch heute
noch den gleichen Bedürfnissen dient wie zur Zeit ihrer Begründung,
kann in der Verpflichtung, sie aufrechtzuerhalten und durchzusetzen,
keine unzulässige Mehrbelastung des Eigentümers des dienenden Grundstücks
erblickt werden. Die Grunddienstbarkeit wird durch diese Verpflichtung
nicht von den Bedürfnissen des berechtigten Grundstückes unabhängig
gemacht. Diese Bedürfnisse bleiben vielmehr für die Beurteilung des
Interesses am Fortbestand der Servitut ausschliesslich massgebend. So kann
insbesondere die Ablösung der Dienstbarkeit gemäss Art. 736 ZGB verlangt
werden, sobald die Bedürfnisse des Grundstückes deren Fortbestand nicht
mehr rechtfertigen.

    Zuzugeben ist den Klägerinnen allerdings, dass die streitige
Verpflichtung zu einer Loslösung der Dienstbarkeit von den individuellen
Bedürfnissen des jeweiligen Eigentümers des herrschenden Grundstücks
führt. Der Dienstbarkeitsbelastete geht damit der Möglichkeit verlustig,
einen am Fortbestand der Servitut aus persönlichen Gründen nicht besonders
interessierten Berechtigten zur Aufgabe seines Rechts zu bewegen. Zu
denken ist vor allem an den Fall, dass der Berechtigte im Hinblick auf
enge persönliche Beziehungen zum Belasteten oder wegen eines verlockenden
finanziellen Angebots bereit wäre, auf sein Recht zu verzichten, mit
Rücksicht auf die streitige Verpflichtung jedoch davon absieht.

    Darin liegt indessen keine Verschlechterung der Stellung des
Belasteten, die mit den Grundsätzen des Dienstbarkeitsrechtes unvereinbar
wäre. Die individuellen Bedürfnisse und Interessen des Berechtigten
haben wie gesehen in der Regel keine rechtliche Bedeutung für den Bestand
und die Ablösbarkeit einer Grunddienstbarkeit. Es ist deshalb nicht als
unzulässige Mehrbelastung des dienenden Grundstücks zu betrachten, wenn
der Fortbestand der Servitut von diesen rein persönlichen Interessen des
Berechtigten unabhängig gemacht und dessen allfällige Verzichtsbereitschaft
eingeschränkt oder aufgehoben wird. So hat der Belastete es
unbestrittenermassen zu dulden, dass der Berechtigte einem Dritten
ein dingliches oder obligatorisches Nutzungsrecht an der Liegenschaft
selber einräumt und auf diese Weise einen Verzicht auf die Servitut für
die Dauer des Rechts praktisch verunmöglicht. Der Berechtigte kann sich
der Möglichkeit, aus freiem Willen auf die Dienstbarkeit zu verzichten,
sodann auch dadurch begeben, dass er sein Grundstück verpfändet; denn in
diesem Fall kann er die Servitut nur mit Zustimmung der Pfandgläubiger
löschen lassen (BGE 82 I 38; HOMBERGER, N. 10 zu Art. 964 ZGB; LIVER,
N. 38 zu Art. 730, N. 29 ff. zu Art. 734 und N. 190 zu Art. 737 ZGB;
LEEMANN, N. 5 zu Art. 734 ZGB). Nach Liver ist für die Löschung einer
Dienstbarkeit in gewissen Fällen sogar die Zustimmung der Inhaber von
Grunddienstbarkeiten am herrschenden Grundstück erforderlich, so etwa,
wenn der an einem Quellengrundstück zum Bezug von Wasser Berechtigte sein
Grundstück mit einem Tränkerecht belastet hat (N. 40 zu Art. 730 ZGB und
Nachtrag dazu, N. 34 zu Art. 734 und insbesondere N. 188 zu Art. 737 ZGB).

    Diese Beispiele zeigen, dass der Belastete keinen Anspruch darauf hat,
dass der allfällige Verzichtwille des Berechtigten nicht durch Bindungen
gegenüber Dritten beschänkt werde. Auch unter dem Gesichtspunkt der
Mehrbelastung verstösst daher die streitige Reallast jedenfalls nicht
gegen die öffentliche Ordung.

Erwägung 4

    4.- Widerspricht aber die Verpflichtung des jeweiligen
Eigentümers der Liegenschaft Rosau gegenüber der Stadt Zürich, auf die
Bauverbotsdienstbarkeit zulasten der Liegenschaft Baur nicht zu verzichten
und die Erstellung von Bauten im servitutsbelasteten Garten zu verhindern,
nicht dem Ordre public, so verstösst der angefochtene Entscheid nicht
gegen Bundesrecht. Die Berufung ist daher abzuweisen.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts (II.
Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 22. Juni 1971 bestätigt.