Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 III 76



100 III 76

20. Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Dezember 1974 i.S. Oetiker
gegen Severin & Co. Regeste

    Aberkennungsklage (Art. 83 Abs. 2 SchKG)

    Sieht das kantonale Recht gegen den Rechtsöffnungsentscheid ein
ordentliches Rechtsmittel vor, so beginnt die Frist für die Einreichung
der Aberkennungsklage erst mit dem Entscheid der oberen Instanz bzw. mit
dem unbenutzten Ablauf der Rechtsmittelfrist zu laufen. Ein verspätet
eingereichtes Rechtsmittel vermag den Lauf der Klagefrist nicht zu hemmen.

Sachverhalt

    A.- Mit Zahlungsbefehl Nr. 424 des Betreibungsamtes Hergiswil vom
31. Oktober 1972 betrieb die in Berlin ansässige Firma Severin & Co.,
Assekuranz, Finanzierung, Vermittlung, gestützt auf vier Eigenwechsel
den Schuldner Ernst Oetiker für einen Betrag von Fr. 130 680.--
nebst Zins, Kommission und Protestkosten. Auf Rechtsvorschlag hin
gewährte der Einzelrichter für Schuldbetreibung und Konkurs Nidwalden
am 29. November 1972 der Gläubigerin provisorische Rechtsöffnung. Gegen
diesen Entscheid, der ihm am 16. Dezember 1972 zugestellt worden war,
legte der Vertreter des Schuldners mit Eingabe vom 5. Januar 1973
Berufung ein. Das Konkursgericht des Kantons Nidwalden trat jedoch mit
Urteil vom 5. Februar 1973, den Parteien zugestellt am 26. Februar 1973,
auf die Berufung nicht ein. In der Begründung führte es aus, die 5-tägige
Berufungsfrist habe in den Betreibungsferien geendet, weshalb sie bis zum
dritten Tag nach dem Ende der Ferienzeit verlängert worden sei (Art. 63
SchKG). Da der 2. Januar (Berchtoldstag) in Nidwalden kein Feiertag sei,
sei die 3-tägige Verlängerungsfrist am 4. Januar 1973 abgelaufen. Die am
5. Januar 1973 zur Post gegebene Berufung sei somit verspätet erfolgt.

    B.- Am 6. März 1973 reichte der Schuldner beim Kantonsgericht des
Kantons Nidwalden Aberkennungsklage ein. Das Kantonsgericht trat jedoch
mit Urteil vom 27. Februar 1974 nicht auf die Klage ein. Hiegegen
appellierte der Kläger an das Obergericht des Kantons Nidwalden,
welches indessen am 11. Juli 1974 das Urteil des Kantonsgerichts
bestätigte. Beide Gerichte gingen davon aus, die 10-tätige Frist für die
Einreichung der Aberkennungsklage habe schon mit dem unbenützten Ablauf
der Berufungsfrist gegen den Rechtsöffnungsentscheid und nicht erst mit
dem Nichteintretensentscheid des Konkursgerichts zu laufen begonnen. Die
erst am 6. März 1973 zur Post gegebene Klage sei daher verspätet.

    C.- Mit der vorliegenden Berufung ans Bundesgericht beantragt der
Kläger, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache sei
zur materiellen Behandlung der Aberkennungsklage an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

    Eine Berufungsantwort wurde nicht eingeholt.

Auszug aus den Erwägungen:

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 83 Abs. 2 SchKG kann der Betriebene binnen 10 Tagen seit
der provisorischen Rechtsöffnung auf dem Weg des ordentlichen Prozesses
auf Aberkennung der Forderung klagen. Sieht das kantonale Recht gegen den
Rechtsöffnungsentscheid ein ordentliches Rechtsmittel vor, so beginnt
die Klagefrist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung erst mit
dem Entscheid der oberen Instanz bzw. mit dem unbenutzten Ablauf der
Rechtsmittelfrist zu laufen (BGE 77 III 138, 47 III 67 ff.; FAVRE, Droit
des poursuites, 3. Aufl., S. 159; JAEGER, N. 7 zu Art. 83 SchKG; BRAND,
SJK 957 S. 4).

    Im vorliegenden Fall lief die Frist für die Berufung gegen den
Rechtsöffnungsentscheid unbestrittenermassen am 4. Januar 1973 unbenutzt
ab. Der Entscheid wurde damit rechtskräftig, und die 10-tätige Frist
für die Aberkennungsklage begann zu laufen. Die verspätet eingereichte
Berufung vermochte daran nichts mehr zu ändern. Zu Recht hat deshalb
die Vorinstanz angenommen, die erst am 6. März 1973 zur Post gegebene
Aberkennungsklage sei nicht fristgerecht gewesen.

Erwägung 2

    2.- Der Kläger bringt nichts vor, was geeignet wäre, dies
zu widerlegen. Er macht im wesentlichen geltend, erst wenn das
Rechtsöffnungsverfahren endgültig, d.h. also gegebenenfalls auch
vor zweiter Instanz, erledigt sei, habe sich der Betriebene um den
Aberkennungsprozess zu kümmern, und erst in diesem Zeitpunkt beginne
deshalb die Frist von Art. 83 Abs. 2 SchKG zu laufen. Dass nur die
endgültige Erledigung des Rechtsöffnungsverfahrens den Fristenlauf in
Gang zu setzen vermag, steht nicht zur Diskussion. Unbestritten ist
auch, dass der Rechtsöffnungsentscheid nicht definitiv ist, wenn der
Betriebene dagegen Berufung eingelegt hat, mag sich diese in der Folge als
begründet erweisen oder nicht. Kann jedoch die Rechtsöffnung nicht oder
nicht mehr mit Berufung angefochten werden, so wird sie definitiv, das
Rechtsöffnungsverfahren ist endgültig erledigt, und der Lauf der Klagefrist
beginnt. Die Vorinstanz weist zu Recht darauf hin, dass die gegenteilige
Lösung zu Missbräuchen führen könnte, hätte es doch der Schuldner in der
Hand, noch nach Jahr und Tag gegen den Rechtsöffnungsentscheid Berufung
einzulegen, einen Nichteintretensentscheid der Rechtsmittelinstanz zu
erwirken und dadurch den Fristenlauf erneut in Gang zu setzen. Dass eine
unzulässige Appellation die bereits laufende Frist für die Einreichung der
Aberkennungsklage nicht zu hemmen vermag, hat das Bundesgericht übrigens
bereits in BGE 77 III 138/139 klar zum Ausdruck gebracht.

    Sodann rügt der Kläger, das Obergericht verkenne die aufschiebende
Wirkung der Berufung. Unter Hinweis auf GULDENER, Schweizerisches
Zivilprozessrecht, 2. Aufl., S. 500, führt er aus, auch einer
unzulässigerweise eingelegten Berufung komme diese Wirkung zu,
denn der Entscheid über die Zulässigkeit eines Rechtsmittels sei
im Rechtsmittelverfahren zu fällen; bis er ergangen sei, entfalte
auch das unzulässige Rechtsmittel seine Wirkung. Dass auch ein
unzulässiges Rechtsmittel gewisse Wirkungen entfalten kann, trifft
zwar zu (vgl. immerhin Art. 54 Abs. 2 OG, wonach der Eintritt der
Rechtskraft eines berufungsfähigen kantonalen Entscheides nur durch
zulässige Berufung und Anschlussberufung gehemmt wird; ferner LEUCH,
N. 1 zu Art. 334 bern. ZPO, wonach gemäss bernischem Prozessrecht
die Rechtskraft eines appellabeln Urteils, gegen das eine unzulässige
Appellation eingelegt worden ist, bereits im Zeitpunkt des Ablaufs der
Appellationsfrist eintritt). Eine verspätete Berufung vermag indessen den
Eintritt der Rechtskraft des angefochtenen Entscheids nicht mehr rückgängig
zu machen. Gewiss kann streitig sein, ob ein Rechtsmittel fristgerecht
ist. In einem solchen Fall besteht in der Tat ein gewisser Schwebezustand,
bis die obere Instanz über diese Frage entschieden hat. Hat sie dies aber
getan und die Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels verneint, so bleibt es
dabei, dass der angefochtene Entscheid in Rechtskraft erwachsen ist. Aus
der Suspensivwirkung der Berufung ist daher für den vorliegenden Fall
nichts abzuleiten.

    Die Berufung erweist sich somit offensichtlich als unbegründet.