Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IB 8



100 Ib 8

2. Urteil vom 22. März 1974 i.S. Sunne gegen Schweiz. Eidgenossenschaft
Regeste

    Verantwortlichkeitsgesetz; Verfügung eines Zollbeamten.

    1.  Verfügungen der Zollorgane über die eigene Zuständigkeit sind
nicht an die Formvorschriften von Art. 34 und 35 VwG gebunden; Art. 12
VG findet auf solche Verfügungen jedenfalls dann keine Anwendung, wenn
sie sofort vollzogen werden (Erw. 2).

    2.  Rechtmässigkeit der Weisung eines Zollbeamten des Flugplatzes
Samedan, ein in Samedan zwischengelandetes, mit Handelswaren beladenes
Flugzeug zur Zollkontrolle nach Zürich-Kloten zurückzufliegen (Erw. 3).

Sachverhalt

                          Sachverhalt:

    A.- Am 16. August 1971 liess Björn Sunne auf dem Flughafen Kloten 20
Kartons (= 200 000 Stück) unverzollte Zigaretten aus dem Zollfreilager
auslagern und auf den Pilatus Porter HB-FEY verladen. Sunne, der als
Passagier mitflog, wollte die Zigaretten ins Zollausschlussgebiet Samnaun
bringen. Eine Ausfuhrabfertigung war nicht notwendig, da sich die Ware
nicht im freien inländischen Verkehr befand.

    Das Flugzeug konnte am vorgesehenen Ort (Alp Trida, Gemeinde
Samnaun) nicht landen und setzte daher auf dem Flugplatz Samedan auf. Dem
zuständigen Beamten der Grenzwache, wurden die Zigaretten als für Samnaun
bestimmt gemeldet. Er sorgte dafür, dass die Ladung nicht entfernt
werden konnte und erkundigte sich bei der Zollkreisdirektion Chur nach
dem weiteren Vorgehen. Sunne und der Pilot begaben sich inzwischen nach
Samnaun, um einen neuen Landeplatz auszukundschaften.

    Auf Weisung der Zollkreisdirektion Chur, die sich ihrerseits bei
der Oberzolldirektion erkundigt hatte, untersagte der Grenzwachbeamte am
folgenden Tag den direkten Weiterflug nach Samnaun und veranlasste den
Rückflug nach Kloten. Am 19. August 1971 startete das Flugzeug mit der
Zigarettenladung erneut in Kloten. Die Landung in Samnaun gelang diesmal,
wenn auch mit einem Zwischenfall, und die Zigaretten wurden den Empfängern
ausgeliefert. Zur Eindämmung des Schmuggels ist die abgabefreie Einfuhr von
Tabakwaren in die Talschaft kontingentiert. Die per Flugzeug eingetroffenen
Zigaretten wurden den Empfängern auf ihr Kontingent angerechnet.

    B.- Mit Schreiben vom 25. Januar 1972 an die Oberzolldirektion machte
der Vertreter von Björn Sunne die Zollverwaltung für die infolge der
Weisung vom 16./17. August 1971 zum Rückflug von Samedan nach Kloten
entstandenen Mehrkosten von Fr. 1518.-- haftbar.

    Die Oberzolldirektion bestritt in ihrer Antwort vom 13. März 1972
die Schadenersatzpflicht; sie schrieb, das Büro des Abschnittschefs
der Grenzwache in Samedan sei zur Ausfuhrabfertigung der unverzollten
Zigaretten nicht zuständig gewesen, weshalb es das Flugzeug zu Recht nach
Zürich Kloten zurückgewiesen habe.

    C.- Mit verwaltungsrechtlicher Klage vom 11. September 1972 verlangt
Sunne von der Eidgenossenschaft Schadenersatz von Fr. 1518.-- zuzüglich
5 % Zins seit 17. August 1971.

    Der Kläger führt zur Begründung aus, eine Zollabfertigung in
Samedan sei nicht nötig gewesen, nachdem dieselbe ja bereits in Kloten
stattgefunden habe und das Flugzeug auf dem Flugplatz Samedan unter
Zollaufsicht im Transit parkiert worden sei. Eine Abfertigung zur
Wareneinfuhr habe nicht zur Diskussion gestanden, da die Talschaft
Samnaun als Zollausland zu betrachten sei. Die Weisung zum Rückflug
sei daher widerrechtlich, und gemäss Art. 3 des Bundesgesetzes über
die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und
Beamten vom 14. März 1958 (VG) sei die Eidgenossenschaft zum Ersatz des
entstandenen Schadens verpflichtet.

    D.- Die Eidg. Finanzverwaltung, welche den Bund in diesem Verfahren
vertritt, beantragt die Abweisung der Klage.

    E.- In Replik und Duplik halten die Parteien an ihren Begehren fest.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Ein auf Art. 3 VG gestützter Anspruch auf Schadenersatz ist
gemäss Art. 10 VG im Bestreitungsfalle durch verwaltungsrechtliche Klage
(Art. 116 ff. OG) geltend zu machen. Die Frist zur Klage gemäss Art. 20
Abs. 3 VG wurde im vorliegenden Fall gewahrt. Dem Eintreten auf die Klage
steht nichts entgegen.

Erwägung 2

    2.- Der Kläger begründet seinen Schadenersatzanspruch mit der
Behauptung, die im August 1971 an ihn ergangene Weisung zum Rückflug von
Samedan nach Zürich sei rechtswidrig, er sei dadurch im Sinne von Art. 3
Abs. 1 VG widerrechtlich geschädigt worden.

    Gemäss Art. 12 VG können rechtskräftige Verfügungen, Entscheide und
Urteile in einem Verantwortlichkeitsverfahren nicht überprüft werden. Die
im vorliegenden Falle beanstandete Weisung zum Rückflug ist eine Verfügung.
Diese Verfügung wurde nicht in einem Beschwerdeverfahren angefochten,
sondern der Kläger hat sie zunächst befolgt und erst einige Monate
später (am 25. Januar 1972) unter Berufung auf ihre Rechtswidrigkeit
Schadenersatz verlangt.

    Im Verfahren vor Bundesgericht hat der Kläger gegen die Berufung auf
Art. 12 VG eingewendet, die Verfügung sei nicht in einem ordnungsgemässen
Verfahren ergangen; überdies habe die Oberzolldirektion ihn im Schreiben
vom 13. März 1972 ausdrücklich auf den Weg der verwaltungsrechtlichen
Klage verwiesen.

    a) Art. 34 VwG bestimmt, dass Verfügungen den Parteien schriftlich zu
eröffnen sind; gemäss Art. 35 VwG muss die schriftliche Eröffnung mit einer
Rechtsmittelbelehrung versehen sein. Auf das Verfahren der Zollabfertigung
findet das Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren nach Art. 3 lit. e
VwG jedoch keine Anwendung. Die Weisung zum Rückflug nach Zürich erfolgte
im Rahmen der Zollabfertigung. Art. 3 lit. e VwG ist sinngemäss auf
das ganze Zollverfahren zu beziehen (Art. 29 ff. ZG); auf jeden Fall
gehört die Verfügung der Zollorgane über die eigene Zuständigkeit zu
den unter dem Randtitel "Zollabfertigung" (Art. 33 ff. ZG) geordneten
Amtshandlungen und fällt somit unter den Ausschlussgrund von Art. 3 lit. e
VwG. Die Art. 34 und 35 VwG waren daher nicht zu beachten. Die mündlich
eröffnete und mit keinem Rechtsmittel angefochtene Verfügung ist formell
rechtskräftig geworden.

    b) Nach Art. 12 VG kann die Rechtmässigkeit einer Verfügung
grundsätzlich nur im dafür vorgeschriebenen Rechtsmittelverfahren
überprüft werden. Versäumt der Betroffene die Rechtsmittelfristen, so
kann er die Verfügung deshalb in aller Regel auch auf dem Umweg über ein
Verantwortlichkeitsverfahren nicht mehr anfechten. Diese Ordnung ist nun
aber offensichtlich vor allem auf schriftlich eröffnete und mit einer
Rechtsmittelbelehrung versehene Verfügungen zugeschnitten. Wird jedoch
eine Verfügung, wie es im vorliegenden Falle geschehen ist, bloss mündlich
und ohne Hinweis auf die Anfechtungsmöglichkeiten eröffnet und ausserdem
sofort vollzogen, so dass ein Beschwerdeverfahren gar keine Korrektur mehr
bringen könnte, sondern in einer blossen Feststellung enden müsste, so kann
dem Betroffenen der unbenützte Ablauf der Rechtsmittelfrist billigerweise
im Verantwortlichkeitsverfahren nicht entgegengehalten werden. Auf solche
Verfügungen findet Art. 12 VG keine Anwendung. Im vorliegenden Falle ist
deshalb die Weisung zum Rückflug nach Kloten entgegen der Ansicht der
Beklagten auf ihre Rechtmässigkeit zu überprüfen.

Erwägung 3

    3.- a) Dass der Zollflugplatz Samedan für die Zollkontrolle von
Handelswaren nicht zuständig ist, wird vom Kläger nicht bestritten. Er
macht auch nicht geltend, seine Ladung von 326 kg Zigaretten sei keine
Handelsware.

    Die behauptete Rechtswidrigkeit des Vorgehens wird ausschliesslich
damit begründet, dass gar keine Zollkontrolle notwendig gewesen sei.

    b) Die fraglichen Zigaretten waren dem Zollfreilager in Zürich
entnommen und zum direkten Ausflug aus dem schweizerischen Zollgebiet
freigegeben worden. Ob damit auch die Einfuhr in das schweizerische
Zollausschlussgebiet Samnaun und die klare Umgehung der dort geltenden
Kontingentierung "gestattet" war, ist hier nicht zu prüfen, da die
Rechtmässigkeit der beanstandeten Verfügung davon unabhängig ist. Eine
Zwischenlandung in der Schweiz vor Überschreitung der Zollgrenze
oder nach einem Flug über ausländisches Gebiet und nach der Rückkehr
in die Schweiz hatte auf jeden Fall zur Folge, dass eine neue (wenn
vielleicht auch vereinfachte) Zollkontrolle stattfinden musste. Aus
keiner Vorschrift des Zollrechts lässt sich ableiten, dass eine solche
Zwischenlandung wegen der vorangegangenen Zollbehandlung auf einem andern
Flugplatz ohne neue Zollkontrolle zugelassen werden muss. Art. 56 ZG
erklärt bei Zwischenlandungen die Vorschriften über Ein- und Ausfuhr
als anwendbar. Art. 55 ZG schreibt vor, dass Luftfahrzeuge nur von
Zollflugplätzen aus nach dem Ausland abfliegen dürfen, was sinngemäss
bedeutet, dass der Abflug auf einem zur zollrechtlichen Abfertigung der
Ladung zuständigen Zollflugplatz zu erfolgen hat. Art. 42 LZO sieht bei
einer einzigen Zwischenlandung ohne Veränderung der Ladung unter Vorbehalt
von Kontrollmassnahmen die Befreiung von der eigentlichen Zollbehandlung
vor. Dieses vereinfachte Verfahren kann jedoch nur auf einem zur
Abfertigung der Ladung befugten Zollflugplatz durchgeführt werden. Die
nicht zur Zollkontrolle von Handelswaren zuständige Amtsstelle in Samedan
konnte und musste sich nicht mit der Zollkontrolle oder Abfertigung eines
Flugzeuges befassen, welches eindeutig Handelswaren mit sich führte und
zudem offensichtlich für eine zollrechtlich sehr problematische Aktion
(Umgehung der Kontingentierung der zollfreien Tabakeinfuhr im Samnaun)
bestimmt war.

    Der Grenzwachbeamte in Samedan war zur zollrechtlichen Behandlung
des mit Handelswaren beladenen Flugzeuges nicht zuständig; selbst
die Erledigung einer Zwischenlandung einer solchen Ladung (im Sinne
von Art. 42 LZO) fiel nicht in seine Zuständigkeit. Die Weisung zum
Rückflug nach Kloten war daher nicht widerrechtlich. Ob im konkreten
Fall ein Entgegenkommen der Zollorgane möglich gewesen wäre, ist
vom Bundesgericht nicht zu untersuchen. Das gewählte Vorgehen war
vorschriftsgemäss. - Wer auf einem für die Zollkontrolle seiner Ladung
nicht zuständigen Zollflugplatz landet, hat die Mehrkosten für den Flug
nach dem zuständigen Zollamt selber zu tragen. Wie es sich im Falle einer
eigentlichen Notlandung verhielte, ist hier nicht zu prüfen.

    Dies führt zur Abweisung der Klage.