Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IB 67



100 Ib 67

11. Auszug aus dem Urteil vom 28. März 1974 i.S. Aktiengesellschaft
X. gegen Eidg. Steuerverwaltung Regeste

    Warenumsatzsteuer: Das Zurverfügungstellen von Arbeitskräften stellt
keine steuerbare Warenlieferung dar.

Sachverhalt

    Die Beschwerdeführerin befasst sich mit der Projektierung,
Fabrikation und Montage von Wärme- und Klimaanlagen sowie mit der
Revision von Tank- und Kläranlagen. Sie ist als Grossist im Register
der Warenumsatzsteuerpflichtigen eingetragen. Im Bereiche ihrer
Geschäftstätigkeit arbeitet sie nicht nur auf werkvertraglicher
Basis; sie stellt auch Dritten ihre Arbeitskräfte zur Ausführung von
Arbeiten in eigener Regie zu einem bestimmten Tarifzur Verfügung. Dabei
kommt sie für die Entlöhnung dieser Arbeitnehmer mit Einschluss der
Sozialleistungen und der Versicherung, z.T. auch für die Ausstattung
mit Werkzeug, auf, während Planung und Materialbeschaffung, die Leitung
der Arbeit und die Verantwortung für den Arbeitserfolg Sache des Kunden
ist. Derartige Verträge über das Zurverfügungstellen von Arbeitskräften
wurden von der Eidg. Steuerverwaltung (EStV), auch wenn es sich um
Arbeiten an Grundstücken und Dauerbauten im Sinne von Art. 18bis des
Warenumsatzsteuerbeschlusses (WUStB) handelte, bisher als umsatzsteuerfrei
anerkannt, sofern der Kunde die besondere Art des Vertragsverhältnisses dem
Arbeitgeber im voraus schriftlich bestätigt hatte. Im Juni 1972 erliess
die EStV eine Mitteilung an alle Grossisten, wonach die geltende Praxis
geändert und ab 1. Juni 1972 die Zurverfügungstellung von Arbeitskräften
als steuerbare Warenlieferung behandelt werde.

    Die Beschwerdeführerin entrichtete daraufhin die bei ihr
erhobene Warenumsatzsteuer nur unter Vorbehalt. Die EStV betrachtete
jedoch die Zahlung als begründet und bestätigte diese Auffassung
im Einspracheverfahren. Dagegen richtet sich die vorliegende
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, die vom Bundesgericht gutgeheissen wurde.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Warenumsatzsteuer unterliegen nach Art. 13 WUStB u.a. die
Lieferung im Inland und der Eigenverbrauch von Waren durch Grossisten. Der
Warenlieferung ist nach Art. 15bis seit 1. Januar 1972 gleichgestellt die
Herstellung von Bauwerken für fremde Rechnung. Als solche gelten nach Art.
18bis "alle Arbeiten an Grundstücken und Dauerbauten mit Ausnahme der
Bebauung des Bodens für die Urproduktion sowie gleichartige Arbeiten
des Gartenbaus". Dass die Installation von Wärme- und Klimaanlagen
und die Montage von Rohrleitungen warenumsatzsteuerpflichtig ist ohne
Rücksicht darauf, ob das verwendete Material vom Unternehmer oder vom
Besteller geliefert wird, ist nicht streitig, wenn feststeht, dass die
Arbeit auf Grund eines Werkvertrages oder eines Auftrages ausgeführt
wird. Die EStV lässt denn auch die Frage offen, ob es sich bei der
Zurverfügungstellung von Arbeitskräften für baugewerbliche Arbeiten nicht
doch um Werkverträge handle. Dies ist aber zweifellos nicht der Fall,
liegt doch beim Werkvertrag die Leitung der Arbeit und die Haftung für den
Erfolg beim Unternehmer. Das wesentliche Kriterium für die Steuererhebung
sieht die EStV darin, dass auf jeden Fall mit der Zurverfügungstellung
von Arbeitskräften auf fremde Rechnung Waren oder Bauwerke gewerbsmässig
hergestellt würden, was die Steuerpflicht auslöse; denn die Steuer habe
jeden wirtschaftlichen Aufwand zu treffen, durch den eine Ware oder ein
Bauwerk umgesetzt, d.h. dem Konsumenten näher gebracht werde.

    Arbeit am eigenen Bau ist - unter Vorbehalt des Eigenverbrauchs
(Art. 16 Abs. 2 WUStB) - steuerfrei. Die Steuerpflicht hängt
ausschliesslich davon ab, ob die Arbeiten als durch den Arbeitgeber
der Ausführenden oder als durch den Eigentümer des Baues vorgenommen zu
werten sind. Bei der Abwägung, wem die Arbeiten umsatzsteuerrechtlich
zuzurechnen sind, muss dem Umstand, dass Planung und Leitung der Arbeiten,
die Weisungsbefugnis gegenüber den eingesetzten Arbeitskräften und
insbesondere die Verantwortung für den Erfolg der Arbeit beim Eigentümer
des Baues liegen, das grössere Gewicht zukommen als dem Verhältnis
zwischen den ausführenden Arbeitern und dem Arbeitgeber, der ihnen zwar
den Lohn bezahlt, aber sich um die Arbeit nicht zu kümmern hat. Gegenstand
der Steuer ist schliesslich das Arbeitsprodukt, das als wirtschaftliche
Leistung des Eigentümers des Bauwerkes zu gelten hat, gleichgültig ob er
es mit seinen eigenen Arbeitern oder mit fremden Arbeitern geschaffen hat.

    Diese Betrachtungsweise, von der bis anhin auch die EStV ausgegangen
ist, verstösst keineswegs gegen den Grundgedanken der Warenumsatzsteuer.
Baugewerbliche Arbeiten sind nur zu erfassen, wenn sie gewerbsmässig
auf fremde Rechnung ausgeführt werden. Bei Arbeiten am eigenen Bau
könnte sich, sofern sie gewerbsmässig vorgenommen werden, die Frage
nach dem Eigenverbrauch (Art. 16 Abs. 2 WUStB) stellen; dagegen ist
die Voraussetzung des Arbeitens auf fremde Rechnung nicht gegeben. Wie
der Eigentümer sich die Arbeitskräfte beschafft, mit denen er die
Arbeit ausführt (ständiges eigenes Personal, Taglöhner, von Dritten zur
Verfügung gestellte Arbeitskräfte) ist für die umsatzsteuerrechtliche
Qualifikation der Arbeitsleistung nicht von Belang. Erst wenn ein Dritter
als Unternehmer, Beauftragter oder sonstiger selbständiger Besorger der
Arbeit auftritt, fallen Hersteller und Abnehmer auseinander, entsteht
eine Lieferung im Sinne von Art. 13 lit. a WUStB und findet damit ein
steuerbarer Umsatz statt.

Erwägung 2

    2.- Die EStV begründet die Praxisänderung mit Überlegungen der
Steuergerechtigkeit, der Wettbewerbsneutralität und der praktischen
Handhabung. Diese Gründe vermögen nicht zu überzeugen:

    a) Insbesondere ist nicht einzusehen, wieso die neue Praxis gerechter
sein soll als die bisherige. Der zur Diskussion stehende Tatbestand
könnte an sich nach dem Sinn des Gesetzes mit einigen guten Gründen den
steuerpflichtigen Vorgängen zugeordnet werden. Wo die entscheidende
Abgrenzung gegenüber den steuerfreien zu treffen ist, ist reine
Auslegungsfrage. Es mag gerecht erscheinen, Arbeiten, die durch "geliehene"
Arbeitskräfte Dritter ausgeführt worden sind, jenen gleichzustellen,
die im Werkvertragsverhältnis durch Dritte ausgeführt werden, und damit
anders zu behandeln als mit eigenem Personal ausgeführte Arbeiten. Es ist
aber ebenso gerecht, alle am eigenen Bauwerk geleisteten Arbeiten gleich
zu behandeln ohne Rücksicht auf die Art der Beschaffung der Arbeitskräfte,
aber anders als die Fälle, bei denen die Verantwortung für Arbeitsablauf
und -ergebnis bei einem Dritten liegt. Bei jeder Betrachtungsweise wird
man sich damit abfinden müssen, dass genau dieselbe Arbeit unter bestimmten
Umständen umsatzsteuerpflichtig ist, unter anderen nicht.

    b) Auch aus dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsneutralität lässt sich die
Praxisänderung nicht begründen. Die EStV hat jedenfalls nicht darzutun
vermocht, inwieweit die Wettbewerbsverhältnisse durch die bisherige
Praxis verfälscht worden sein sollen. Zwar scheinen bis anhin offenbar
hauptsächlich Grossunternehmen mit Verträgen über die Zurverfügungstellung
von Arbeitskräften zu arbeiten. Allein, dieses Mittel steht auch anderen
Betrieben zur Verfügung, die ähnliche Bedürfnisse aufweisen. Es liesse
sich mit guten Gründen behaupten, dass es sogar für kleinere Betriebe,
die über weniger eigenes baubranchenkundiges Personal verfügen als die
Grossindustrie, ebenso interessant sein kann wie für diese.

    c) Dem Gesichtspunkt der Praktikabilität schliesslich kann
grundsätzlich keine entscheidende Bedeutung zukommen. Dass die neue Praxis
unter Umständen eine gewisse Vereinfachung erlauben würde, mag zutreffen;
ebenso kann sie aber, wenn es um die Abrechnung im Einzelfall geht,
aufwendigere Abgrenzungsprobleme mit sich bringen. Im Rahmen des gesamten
mit der Warenumsatzsteuererhebung verbundenen Verwaltungsaufwandes fällt
dieser Gesichtspunkt jedenfalls nicht ernstlich ins Gewicht.

    Sprechen damit keine entscheidenden Gründe zu Gunsten einer
Praxisänderung, ist die bisherige Praxis beizubehalten. Gegenüber dem
Postulat der Rechtssicherheit lässt sich eine Praxisänderung grundsätzlich
nur begründen, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis der ratio legis,
veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelten Rechtsanschauungen
entspricht (H. DUBS, Praxisänderungen, S. 138 ff).