Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IB 283



100 Ib 283

47. Urteil vom 26. September 1974 i.S. S. gegen Eidg. Steuerverwaltung
Regeste

    Warenumsatzsteuer: Steuerpflicht eines Kunstmalers.  Bestätigung der
Rechtsprechung (BGE 98 Ib 22).

Sachverhalt

    A.- S. ist frei erwerbender Kunstmaler. Er hat der Eidgenössischen
Steuerverwaltung (EStV) gemeldet, im Jahre 1973 aus dieser Tätigkeit
Einnahmen von über 35 000 Franken erzielt zu haben. Darauf hat die
EStV entschieden, dass er seit 1. Januar 1974 als Hersteller-Grossist
warenumsatzsteuerpflichtig sei. Sie hat seine Einsprache hiegegen am
27. März 1974 gestützt auf BGE 98 Ib 22 ff. abgewiesen.

    B.- Mit der gegen den Einspracheentscheid gerichteten
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt S., es sei festzustellen, dass er
nicht warenumsatzsteuerpflichtig sei. Er macht geltend, er stelle nicht
Waren, sondern Kunstwerke her und sei auch nicht gewerbsmässig tätig. Die
im angefochtenen Entscheid befolgte neue Praxis sei mit der gesetzlichen
Ordnung und dem Gebot der Rechtsgleichheit nicht vereinbar.

    C.- Die EStV schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 8 Abs. 1 lit. a WUStB ist steuerpflichtig, wer als
Grossist im Inland Waren liefert. Der Hersteller, der jährlich für
mehr als 35000 Franken solche Lieferungen ausführt, gilt als Grossist
(Art. 9 Abs. 1 lit. b). Als Hersteller gilt, wer gewerbsmässig Waren oder
Bauwerke herstellt (Art. 10 Abs. 2). Als Ware gilt u.a., was Gegenstand
eines Fahrniskaufes sein kann (Art. 17). Wer eine von ihm hergestellte
Ware einem Käufer oder Besteller abgibt, führt damit eine Lieferung
aus (Art. 15). Der Warenlieferung ist die Herstellung von Bauwerken -
d.h. die Ausführung von Arbeiten an Grundstücken und Dauerbauten - für
fremde Rechnung gleichgestellt (Art. 15bis, 18bis).

    Das Bundesgericht hat im Urteil A. vom 28. Januar 1972 (BGE 98 Ib 22
ff.) angenommen, das vom Bildhauer oder Kunstmaler geschaffene Werk sei
das Produkt einer Herstellung gemäss WUStB (Ware oder Bauwerk). Indem er
von ihm hergestellte bewegliche oder unbewegliche Erzeugnisse einem Käufer
oder Besteller abgebe, führe er "Warenlieferungen" im Sinne des WUStB aus
(Erw. 2). Wenn er seine Kunst selbständig und dauernd ausübe und damit den
Lebensunterhalt bestreiten oder wesentlich dazu beitragen wolle, müsse ihm
daran gelegen sein, zahlende Abnehmer (Käufer oder Besteller) zu finden.
Gelinge ihm das, so nehme er als Lieferer von ihm hergestellter Waren
oder Bauwerke am Wirtschaftsleben teil; unter solchen Umständen sei er im
Sinne des WUStB gewerbsmässig tätig (Erw. 3). Demnach werde die EStV von
ihrer bisherigen Praxis, wonach der "frei schaffende" bildende Künstler,
"welcher Kunstwerke ausschliesslich um ihrer selbst willen herstellt",
nicht als Grossist steuerpflichtig werden könne, abgehen müssen (Erw. 4).

    Auf Grund dieses Urteils hat die EStV ihre Praxis geändert;
dementsprechend hat sie auch S. steuerpflichtig erklärt.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer hält das Urteil A. für unrichtig. Vorab
bestreitet er, dass ein bildender Künstler als gewerbsmässig tätiger
Hersteller von "Waren" oder "Bauwerken" im Sinne des WUStB betrachtet
werden könne.

    Nach seiner Auffassung arbeitet ein Kunstmaler oder ein Bildhauer
aus Liebe zu seiner Kunst und nicht, jedenfalls nicht in erster Linie,
des Gewinnes wegen. Das dürfte im allgemeinen zutreffen, ist aber nicht
entscheidend. Nicht nur Künstlern, sondern auch zahlreichen Handwerkern
ist mehr an der Qualität ihrer Arbeit als am dafür erhältlichen Entgelt
gelegen. Das hindert aber weder die einen noch die andern, von den
Einnahmen zu leben, die ihnen die Abgabe ihrer Werke an zahlende Abnehmer
verschafft. Tun sie dies, so sind sie im Sinne des Art. 10 Abs. 2 WUStB
gewerbsmässig tätig.

    Dem Beschwerdeführer ist zuzugeben, dass ein Werk der bildenden
Kunst (Gemälde, Zeichnung, Skulptur usw.) in der Regel weit mehr wert
ist als das Material (Leinwand, Papier, Stein, Farben usw.), aus dem es
geschaffen wird. Das Material erlaubt indes dem schöpferischen Geist, sich
in einer neuen Sache zu verkörpern, welche Gegenstand eines Fahrniskaufes
sein kann. Eine verkäufliche bewegliche Sache ist aber eine Ware im Sinne
des WUStB (Art. 17), auch wenn sie ein Kunstwerk ist, das von Künstlern
oder Kunstliebhabern nicht als Handelsobjekt betrachtet wird. Bewegliche
Werke der bildenden Kunst werden denn auch von Händlern gekauft und
verkauft, und mancher Käufer erwirbt ein solches Erzeugnis zum Zwecke
der Kapitalanlage oder in Spekulationsabsicht. Demnach muss angenommen
werden, dass der Kunstmaler oder Bildhauer eine Warenlieferung gemäss
Art. 15 WUStB vornimmt, wenn er ein von ihm geschaffenes (hergestelltes)
bewegliches Werk einem Käufer oder Besteller abgibt.

    Schmückt ein bildender Künstler eine Dauerbaute mit einer Wandmalerei,
einem Sgraffito oder einem Relief, so stellt er dadurch zwar nicht eine
Ware, wohl aber ein Bauwerk her (Art. 15bis, 18bis WUStB). Gleich verhält
es sich, wenn er einen Felsen oder ein anderes unbewegliches Naturobjekt
auf solche Weise bearbeitet. Denn nach Art. 18bis WUStB gelten als
Herstellung von Bauwerken alle Arbeiten an Grundstücken und Dauerbauten,
mit Ausnahme der Bebauung des Bodens für die Urproduktion und gleichartiger
Arbeiten des Gartenbaus. Führt der Künstler die Arbeit an der Dauerbaute
oder am Grundstück für fremde Rechnung aus, so erbringt er eine Leistung,
die nach Art. 15bis WUStB der Warenlieferung gleichgestellt ist.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, es verstosse gegen
das Gebot der Gleichheit vor dem Gesetz, wenn wohl bildende Künstler,
nicht aber auch Komponisten, Schriftsteller, Architekten und Advokaten der
Warenumsatzsteuerpflicht unterworfen werden. Der Einwand ist unbegründet;
denn die Unterscheidung, an der sich der Beschwerdeführer stösst, ist
sachlich gerechtfertigt.

    Von einem Architekten ausgearbeitete Pläne können allerdings mitunter
Gegenstand eines Fahrniskaufes sein. In der Regel sind sie aber nicht
zum Verkauf bestimmt. Jedenfalls nimmt der Architekt bei der Ausführung
der ihm erteilten Aufträge nicht Warenlieferungen im Sinne des Art. 15
WUStB vor, auch dann nicht, wenn er dem Auftraggeber Pläne belässt.

    Ebensowenig hat man es mit Warenlieferungen zu tun, wenn ein
Rechtsanwalt einem Auftraggeber Rechtsschriften oder ein schriftliches
Gutachten zustellt.

    Die literarischen und musikalischen Werke werden zwar heutzutage
im allgemeinen auf einen körperlichen Gegenstand aufgezeichnet,
existieren aber unabhängig davon. Sie sind denn auch vielfach durch
blosse Wiedergabe ohne Aufzeichnung überliefert worden. Die körperliche
Unterlage (beschriebenes Papier, gravierte Schallplatte, Tonband), in die
ein literarisches oder musikalisches Werk aufgenommen wird, ist nur ein
Mittel für dessen Erhaltung oder Wiedergabe. Solche Werke können denn
auch selbst dann gesetzlich geschützt sein, wenn sie nicht schriftlich
oder in anderer Weise festgelegt sind (Art. 1 Abs. 3 URG). Dagegen
entstehen die Werke der bildenden Kunst erst dadurch, dass ihr Urheber
seiner schöpferischen Idee in einer Sache Gestalt gibt. Wohl kann auch
die - nicht notwendigerweise vorhandene - körperliche Unterlage eines
literarischen oder musikalischen Werkes (das einzelne Werkexemplar)
Gegenstand eines Fahrniskaufes sein. Aber die Schriftsteller und die
Komponisten führen nicht Warenlieferungen im Sinne des WUStB aus,
wenn sie ihre Manuskripte einem Verleger überlassen. Das Manuskript
ist im Verhältnis zwischen Verlaggeber und Verleger nicht Gegenstand
einer Lieferung gemäss WUStB, sondern nur das Mittel, das dem Verleger
ermöglicht, das Werk zu vervielfältigen und in Vertrieb zu setzen
(Art. 380 OR). Zu Warenlieferungen im Sinne des WUStB kommt es dann
nach der Vervielfältigung des Werkes. Sie werden von den geschäftlichen
Betrieben (Verlegern, Buch- und Musikalienhändlern usw.) ausgeführt,
die sich mit dem Vertrieb des Werkes befassen. Nur ausnahmsweise sind die
Autoren selber Lieferer, und zwar dann, wenn sie ihre Werke im sogenannten
Selbstverlag vertreiben (vgl. WELLAUER, Warenumsatzsteuer, 1959, N. 123).

    Die Lieferung gewisser Waren, die u.a. zur Wiedergabe literarischer
oder musikalischer Werke verwendet werden können, nämlich der Zeitungen,
Zeitschriften und Bücher, ist von der Warenumsatzsteuer durch ausdrückliche
gesetzliche Vorschrift (WUStB Art. 14 Abs. 1 lit. b am Ende) aus Gründen
der Kulturpolitik befreit. Die Ausnahme erstreckt sich auf alle Zeitungen,
Zeitschriften und Bücher, einschliesslich jener, in denen Gemälde,
Zeichnungen und Skulpturen abgebildet werden.

    Art. 14 WUStB schafft also keine Ungleichheit unter den Werken,
die Inhalt der von der Steuer befreiten Veröffentli chungen sein können.

Erwägung 4

    4.- Die vorstehenden Erwägungen führen zum Schluss, dass an der
Auffassung, die in BGE 98 Ib 22 ff. vertreten wurde, festzuhalten ist. Der
Beschwerdeführer ist folglich mit Recht der Warenumsatzsteuerpflicht
unterstellt worden; denn er hat im Jahre 1973 für mehr als 35 000 Franken
von ihm hergestellte Waren - Werke der Malkunst - geliefert.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.