Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IB 277



100 Ib 277

46. Auszug aus dem Urteil vom 31. Mai 1974 i.S. Zollagentur Öschger AG
gegen Eidg. Zollrekurskommission. Regeste

    Zollgesetz:

    1.  Die Unterbrechung der Verjährung von Zollforderungen beurteilt
sich, selbst wenn ein Zollvergehen vorliegt, einzig nach Art. 64 Abs. 3 ZG
(Erw. 3).

    2.  Unterbrechung oder Ruhen der Verjährung im vorliegenden
Falle? (Erw. 4.)

Sachverhalt

                          Sachverhalt:

    A.- Die Zollagentur Öschger AG, Basel, hat in der Zeit vom 9. Mai bis
23. Dezember 1969 bei Basler Zollämtern insgesamt 83 Sendungen Damenkleider
für die Firmen Spengler AG, Basel, und Steiner AG, Aarburg, zur Einfuhr
angemeldet. Die Ware wurde gestützt auf EFTA-Ursprungserklärungen der
Firma Ric Rac Ltd., London, zollfrei als EFTA-Zonenware abgefertigt.

    Am 22. Januar 1970 ersuchte die Eidg. Oberzolldirektion die zuständige
britische Zollbehörde um Überprüfung von insgesamt 44 EFTA-Erklärungen der
Firma Ric Rac Ltd. Die britische Behörde antwortete am 9. Februar 1972,
ein Teil der von den Erklärungen erfassten Ware müsse als ausserhalb
der Freihandelszone erzeugt gelten, sei es, weil für ihre Fabrikation
ausserzonale Materialien verwendet worden seien, sei es, weil die
Firma Ric Rac Ltd. nicht in der Lage gewesen sei, einen Nachweis ihrer
Unterlieferanten vorzulegen, wonach die verarbeiteten Materialien aus dem
Gebiet der Freihandelsassoziation stammten. Der Antwort lag eine Liste
bei, in der angegeben war, welche Waren sich nicht als EFTA-Zonenwaren
qualifizierten.

    Auf Weisung der Eidg. Oberzolldirektion eröffnete die
Zollkreisdirektion Basel der Zollagentur Öschger AG am 22. März 1972 das
Ergebnis der Überprüfung des Warenursprungs durch die britische Zollbehörde
und stellte ihr die Nacherhebung des entgangenen Zolles von Fr. 38236.25
für die Sendungen an die Spengler AG und Fr. 1168.05 für die an die
Steiner AG gegangene Ware in Aussicht. Sie bemerkte, auf die Einleitung
eines Strafverfahrens werde verzichtet, da die Zollagentur Öschger AG
nicht die Möglichkeit gehabt habe, den Warenursprung zu überprüfen. Die
beiden angekündigten Nachforderungsverfügungen ergingen am 6. April 1972.

    B.- Auf Beschwerde der Zollagentur Öschger AG setzte die
Eidg. Zollrekurskommission am 5. September 1973 die Zollforderung für
die Sendungen an die Spengler AG auf Fr. 34 189.90 herab, bestätigte im
übrigen aber die Verfügungen der Zollkreisdirektion.

    C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die
Zollagentur Öschger AG, die Zollforderung von Fr. 34 189.90 aufzuheben
oder angemessen herabzusetzen. Sie macht im wesentlichen geltend,
die Zollnachforderungen seien bereits verjährt gewesen, als die
Zollkreisdirektion Basel sie ihr am 22. März 1972 eröffnet habe. Das
Ersuchen der Eidg. Oberzolldirektion an die britische Zollbehörde habe
die Verjährung nicht unterbrochen. Nur eine gegen den Zahlungspflichtigen
gerichtete Handlung vermöge gemäss Art. 64 Abs. 3 ZG die Verjährung
zu unterbrechen. Nach Art. 83 Abs. 3 ZG setze die Unterbrechung
der Verjährung eine "gegen den Täter gerichtete Verfolgungshandlung"
voraus. Die Verjährung könne also nicht ohne Wissen des Zahlungspflichtigen
unterbrochen werden jedenfalls nicht, solange dieser nicht einmal wisse,
dass gegen ihn ein Verfahren laufe. Übrigens verjährten Zollnachforderungen
bereits in einem Jahr, falls, wie hier, kein strafbares Zollvergehen
vorliege. Die Vorinstanz habe zu Unrecht die zweijährige Verjährungsfrist
des Art. 83 OG zur Anwendung gebracht.

    D.- Die Eidg. Zollrekurskommission und die Eidg.  Oberzolldirektion
beantragen, die Beschwerde unter Kostenfolge abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- ...

Erwägung 2

    2.- Die Parteien sind sich darüber einig, dass am 22. Januar 1970,
als die Eidg. Oberzolldirektion ihr Überprüfungsgesuch an die britische
Zollbehörde richtete, die Verjährungsfristen für die hier im Streite
liegenden Zollnachforderungen bereits liefen. Fest steht ausserdem, dass
der Beschwerdeführerin erstmals mit Schreiben vom 22. März 1972 von dieser
Überprüfung und ihrem Ergebnis sowie der Absicht der schweizerischen
Zollbehörden, Zoll nachzufordern, Kenntnis gegeben wurde. Die Eidg.
Oberzolldirektion hat die britische Zollbehörde, wie sich aus den
Akten ergibt, erstmals am 12. Februar 1971, also mehr als ein Jahr nach
Zustellung des Überprüfungsgesuchs, zur Antwort auf das Gesuch gemahnt. Die
Verjährungseinrede der Beschwerdeführerin wäre demnach jedenfalls dann
begründet, wenn den Schreiben der Eidg. Oberzolldirektion an die britische
Zollbehörde keine die Verjährung unterbrechende Wirkung zukäme.

Erwägung 3

    3.- Die Unterbrechung der Verjährung von Zollforderungen ist in
Art. 64 Abs. 3 ZG geregelt. Sie beurteilt sich selbst wenn ein Zollvergehen
vorliegt nicht nach Art. 83 Abs. 3 ZG, bzw. Art. 284 Abs. 3 BStP, verweist
Art. 64 Abs. 2 ZG doch für diesen Fall einzig auf die Absätze 1 und 2
von Art. 83 ZG.

    Anzunehmen, die Unterbrechung der Verjährung der Zollforderungen
aus Zollvergehen sei bloss aus Versehen nicht auch den für die
Verfolgungsverjährung geltenden Regeln unterstellt worden, verbietet
sich. Art. 64 Abs. 2 des bundesrätlichen Entwurfs zum Zollgesetz
lautete: "Werden Zölle und andere Abgaben durch Widerhandlungen gegen
Zollvorschriften hinterzogen, so gelten hinsichtlich ihrer Verjährung die
für die Verfolgungsverjährung (Art. 82 dieses Gesetzes) vorgesehenen
Bestimmungen" (BBl 1924 I 94). Dieser Wortlaut hätte zum Schlusse
verführen können, nicht nur der Beginn und die Dauer, sondern auch die
Unterbrechung der Verjährung von Zollforderungen richteten sich nach
den für die Verfolgungsverjährung aufgestellten Regeln; dies obschon
in Absatz 3 derselben Bestimmung bereits die heute in Art. 64 Abs. 3 ZG
enthaltene Norm über die Unterbrechung der Verjährung von Zollforderungen
vorgesehen war. Wenn die heute geltende Fassung von Art. 64 Abs. 2 ZG nur
noch für den Beginn und die Dauer der Verjährung von Zollforderungen auf
die Bestimmung über die Verfolgungsverjährung verweist, so will sie damit
offenbar klarstellen, dass sich die Unterbrechung der Forderungsverjährung
in jedem Falle nach Art. 64 Abs. 3 ZG beurteilt (vgl. Urteil vom
29. November 1963 i.S. Wolff, Erw. 7). Ob ein Zollvergehen vorliegt,
braucht somit in diesem Zusammenhange hier nicht geprüft zu werden.

Erwägung 4

    4.- Nach Art. 64 Abs. 3 ZG wird die Verjährung von Zollforderungen
durch jede zur Geltendmachung des Anspruchs gegen einen Zahlungspflichtigen
gerichtete Handlung unterbrochen. Sie ruht während des Laufes eingeräumter
Zahlungsfristen.

    a) Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführerin weder das
Überprüfungsgesuch noch die beiden Mahnungen der Eidg. Oberzolldirektion
an die britische Zollbehörde zur Kenntnis gebracht worden sind.
Amtshandlungen, von denen der Zahlungspflichtige keine Kenntnis erlangt,
können aber in der Regel nicht als Handlungen betrachtet werden,
die im Sinne von Art. 64 Abs. 3 ZG zur Geltendmachung des Anspruchs
gegen den Zahlungspflichtigen gerichtet sind, mithin die Verjährung der
Zollforderung unterbrechen. Analog der Regelung, die auf Grund von Art. 135
ff. OR für zivilrechtliche Forderungen gilt, kann auch die Verjährung von
Zollforderungen grundsätzlich nur durch Handlungen unterbrochen werden, die
dem Zahlungspflichtigen zur Kenntnis gelangen. Wie im Zivilrecht, ist eine
Ausnahme von diesem Grundsatz im wesentlichen nur bei echter Solidarität
zwischen mehreren Zahlungspflichtigen anzunehmen (vgl. zit. Urteil i.S.
Wolff, Erw. 7).

    Gegen diese Auslegung führt die Vorinstanz insbesondere an, Art. 64
Abs. 2 ZG habe den Zweck, sicherzustellen, dass hinterzogene Zölle
solange nacherhoben werden könnten, als auch ein Strafanspruch geltend
gemacht werden könnte. Die Verfolgungsverjährung werde aber nach der
bundesgerichtlichen Praxis (BGE 73 IV 258, 90 IV 63) durch jede amtliche
Handlung unterbrochen, die geeignet sei, das Verfahren zu fördern und
nicht, wie Aktenstudium, etc., rein interner Natur sei. Die Vorinstanz
verkennt dabei, dass mit der ausdrücklichen Beschränkung der Tragweite von
Art. 64 Abs. 2 ZG auf Beginn und Dauer der Verjährung klargestellt worden
ist, dass sich die Unterbrechung der Forderungsverjährung nach anderen
Regeln richtet, als die Unterbrechung der Verfolgungsverjährung, der
Eintritt der Forderungsverjährung somit gar nicht immer mit dem Eintritt
der Verfolgungsverjährung zusammenfallen muss. Sie übersieht auch die
schweren praktischen Nachteile, die ihre Auslegung zur Folge hätte. Es
versteht sich, dass es für den Zahlungspflichtigen von grösster Wichtigkeit
ist, zu wissen, ob die Verjährung einer Zollforderung unterbrochen
worden ist, dies insbesondere, wenn er, wie im vorliegenden Falle
die Beschwerdeführerin, den Zollbetrag an sich auf Dritte überwälzen
könnte. Einer Handlung der Zollbehörde, die dem Zahlungspflichtigen
nicht zur Kenntnis gelangt, generell verjährungsunterbrechende Wirkung
zuerkennen, hiesse, in diesem Gebiete die Rechtssicherheit aufheben.

    Die Verjährung der Zollnachforderungen ist im vorliegenden Falle somit
nicht gültig unterbrochen worden. Verjährungsunterbrechende Wirkung hätte
dem Überprüfungsgesuch und den Mahnungen der Eidg. Oberzolldirektion an die
britische Zollbehörde nur zuerkannt werden können, wenn diese Schreiben
und ihre möglichen Folgen (Nacherhebung von Zoll) der Beschwerdeführerin
unverzüglich zur Kenntnis gebracht worden wären, was übrigens ohne weiteres
möglich gewesen wäre.

    b) Die Eidg. Oberzolldirektion fragt sich in ihrer Vernehmlassung, ob
nicht in Anlehnung an Art. 64 Abs. 3 ZG zweiter Satz anzunehmen sei, die
Verjährung habe in der Zeit zwischen dem Abgang des Überprüfungsgesuchs und
dem Eintreffen des Untersuchungsberichts geruht. Für eine solche Annahme
lässt sich der Umstand anführen, dass die Eidg. Zollbehörden in jener Zeit
tatsächlich gar nicht in der Lage waren, die Abgabeforderungen geltend
zu machen und auch, abgeshen von Mahnungen, nichts vorkehren konnten,
um das Eintreffen des Untersuchungsberichts der britischen Zollbehörde
zu beschleunigen (vgl. Urteil vom 13. April 1962 i.S. Natural AG). Im
Interesse der Rechtssicherheit kann aber nur in besonderen Ausnahmefällen
ein Ruhen der Forderungsverjährung angenommen werden (vgl. BGE 90 II
228 ff.). Im vorliegenden Falle hätte diese Annahme höchstens getroffen
werden können, wenn die Forderungsverjährung mit dem Überprüfungesuch der
Eidg. Oberzolldirektion an die britische Zollbehörde gültig unterbrochen
worden wäre. Aus Art. 101 Abs. 3 ZG hat das Bundesgericht geschlossen,
dass die Verfolgungsverjährung während des Beschwerdeverfahrens
über die Abgabefestsetzung ruhe (BGE 88 IV 93, 89 IV 163). Für die
Forderungsverjährung lässt sich weder aus dieser Bestimmung noch aus den
bundesgerichtlichen Entscheiden dazu etwas herleiten.

    Die gegen die Beschwerdeführerin geltend gemachten Zollnachforderungen
sind somit verjährt.