Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IB 162



100 Ib 162

26. Auszug aus dem Urteil vom 28. Juni 1974 i.S. Geissbühler gegen
Eidg. Departement des Innern Regeste

    Massnahmen zum Schutz von Kulturdenkmälern: Art. 16 NHG.

    -  Damit Art. 16 NHG anwendbar ist, muss dem Kulturdenkmal unmittelbare
Gefahr drohen; zu einem bloss indirekten Schutz bietet die Bestimmung
keine Grundlage.

    - Von den Sicherungsmassnahmen ist nur zurückhaltend Gebrauch zu
machen.

Sachverhalt

                           Sachverhalt

    Der Beschwerdeführer ist Eigentümer eines Grundstückes, auf dem
sich Überreste der einstigen gallo-römischen Militärsiedlung Petinesca
finden. Es handelt sich dabei um Stätten von grossem, einmaligem
kulturhistorischem Stellenwert von nationaler Bedeutung. Am 15. März 1974
verkaufte der Beschwerdeführer das Grundstück zum Preis von rund Fr. 90.-
/m2. Da der Kanton Bern, dem ein Vorkaufsrecht an diesem Grundstück
zusteht, zu diesem Preis von seinem Recht nicht Gebrauch machen will,
wandten sich die kantonalen Behörden an das Eidg. Departement des Innern
(EDI) und machten es auf den Sachverhalt aufmerksam. Dieses verfügte
daraufhin ein Bau- und Veränderungsverbot für die Dauer von fünf Jahren. Es
berief sich auf Art. 16 des Bundesgesetzes über Natur- und Heimatschutz
vom 1. Juli 1966 (NHG); die Massnahme solle es ermöglichen, in Ruhe die
notwendigen Schritte zur Enteignung des Grundstückes einzuleiten. Gegen
diese Verfügung erhebt der Betroffene Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- (Prozessuales).

Erwägung 2

    2.- Droht einer geschichtlichen Stätte oder einem Kulturdenkmal von
nationaler Bedeutung unmittelbar Gefahr, kann der Bundesrat ein solches
Objekt durch befristete Massnahmen unter den Schutz des Bundes stellen und
die nötigen Sicherungen zu seiner Erhaltung anordnen (Art. 16 NHG). Objekte
von nationaler Bedeutung sind in erster Linie Stätten und Sachen, die als
solche in das vom Bund nach Art. 5 NHG zu erstellende Inventar aufgenommen
worden sind. Hinsichtlich der Militärstation Petinesca scheint eine solche
Inventarisierung noch nicht vorgenommen worden zu sein. Schutzwürdig sind
aber auch solche Objekte, die nicht oder noch nicht in das Verzeichnis
aufgenommen wurden, wenn an ihrer Erhaltung ein über den Kanton oder
die Gegend, in der sie liegen, hinausgreifendes Interesse besteht. Die
Überreste der gallorömischen Militärstation Petinesca sind, da die Schweiz
arm ist an Kulturdenkmälern aus römischer Zeit, offensichtlich als Objekte
von nationaler Bedeutung zu betrachten. Der Beschwerdeführer behauptet
nichts anderes.

    Damit Art. 16 NHG anwendbar ist, muss dem Kulturdenkmal Gefahr
drohen. In dieser Hinsicht sind die zur Beurteilung der Beschwerde
massgebenden Verhältnisse von der Vorinstanz nur sehr summarisch geprüft
worden. Eine Gefahr für die Überreste, z.B. eine drohende Beseitigung
oder Veränderung, scheint nicht zu bestehen. Aus den Akten ergibt sich
kein Hinweis darauf, dass der derzeitige oder der künftige Eigentümer eine
nachteilige Veränderung an den Kulturdenkmälern selbst beabsichtigen. Es
geht aus dem Bericht des Landesmuseums hervor, dass die Überreste zurzeit
nicht voll zur Geltung kommen, weil die bestehenden Bauten dem im Wege
stehen. Es erscheint offenbar wünschenswert, dass diese Bauten in der
Zukunft beseitigt werden, um das Kulturzentrum besser hervortreten
zu lassen. Durch Neubauten in unmittelbarer Nähe des Schutzobjektes
dürfte daher eine Beeinträchtigung der heutigen Situation eintreten, die
ein Eingreifen rechtfertigen könnte. Droht einem Objekt von nationaler
Bedeutung in diesem Sinne Gefahr, sind auch einschneidende Massnahmen, wie
z.B. die Anordnung von Bauverboten, zulässig (vgl. Sten. Bulletin 1966 NR
333, Votum Heil und Antwort von Bundesrat Tschudi). Indessen ergibt sich
aus den Akten nicht, dass der Käufer der Liegenschaft eine Erweiterung des
bestehenden Hauses oder die Erstellung weiterer Bauten auf dem Grundstück
anstrebt. Vorgesehen ist anscheinend bloss die Renovation des bestehenden
Gebäudes. Es ist daher fraglich, ob davon gesprochen werden kann, dem
Kulturdenkmal in seinem bisherigen Bestand drohe überhaupt durch den
Ver-. kauf und die vorgesehenen Veränderungen baulicher Art am fraglichen
Wohnbau Gefahr.

    Die Gefahr muss ausserdem eine unmittelbare sein ("un danger imminent",
"un pericolo imminente"). Damit ist in erster Linie gemeint, dass die
Gefahr zeitlich unmittelbar bevorsteht. Während der französische und der
italienische Gesetzeswortlaut einzig diese Auslegung nahelegen, lässt
die deutsche Fassung auch den Schluss zu, dass die Gefahr die Objekte von
nationaler Bedeutung unmittelbar in ihrem bisherigen Bestand treffen muss.
Diese Auslegung entspricht dem Zweck des Gesetzes, das historische Stätten
oder Kulturdenkmäler in ihrem materiellen Bestand und im Rahmen ihrer
Umgebung, soweit es auf sie ankommt, erhalten will. Der angefochtene
Entscheid bezweckt keinen solchen Schutz. Wie insbesondere aus der
Vernehmlassung der Vorinstanz hervorgeht, soll das Veränderungsverbot dazu
dienen, dem Kanton Bern oder allenfalls der Eidgenossenschaft den Erwerb
der Parzelle Nr. 129 auf dem Enteignungsweg zu einem Preis zu sichern,
der den Erwerbern angemessen erscheint. Tatsächlich besteht die Gefahr,
dass das Gemeinwesen, sofern es die Liegenschaft enteignungsweise erwerben
muss, ohne die Auswirkungen des Veränderungsverbots eine Mehrleistung
erbringen muss, wenn bis zur Einleitung des Enteignungsverfahrens
die bestehenden Gebäulichkeiten in Stand gestellt werden. Allein eine
solche Gefahr ist keine Gefahr für die Kulturdenkmäler selbst, sondern
höchstens für die Finanzen des Gemeinwesens, das die Liegenschaft erwerben
will. Zu einem solchen bloss indirekten Schutz der Kulturdenkmäler
bietet aber Art. 16 NHG keine Grundlage, verlangt er doch, dass
den Denkmälern unmittelbar Gefahr drohe. Aus der Beschränkung der
Eingriffsmöglichkeit der Eidgenossenschaft auf Fälle unmittelbarer Gefahr
lässt sich entnehmen, dass von Sicherungsmassnahmen nur zurückhaltend
Gebrauch zu machen ist, im wesentlichen nur dann, wenn alle andern
Mittel für die unmittelbare Sicherung versagen (vgl. Botschaft des
Bundesrates zum NHG, BBl 1965 III 108, zu Art. 15 des Entwurfes). Aus
dem Gesetz ergibt sich kein Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber dem
Gemeinwesen für den Fall, dass es eine Liegenschaft mit geschichtlichem
Stellenwert enteignungsweise erwerben muss, über die im Enteignungsrecht
selbst enthaltenen Sicherungsmöglichkeiten gegen ungerechtfertigte
Forderungen (wie z.B. durch Anordnung des Enteignungsbannes) weitere
Sicherungsmöglichkeiten durch Anordnung vorläufiger Massnahmen zur
Verfügung stellen wollte; ohnehin verweist das Gesetz den Bund in solchen
Fällen in erster Linie auf den Weg freihändigen Erwerbs. Durch ungesäumte
Einleitung des Enteignungsverfahrens, die im zu beurteilenden Falle
vermutlich ohne grosse Weiterungen möglich ist, wird wahrscheinlich das
enteignende Gemeinwesen, sei es der Bund oder der Kanton Bern, verhindern
können, dass er ungerechtfertigterweise einen missbräuchlich geschaffenen
Mehrwert entschädigen muss.

    Die Vorinstanz hat Art. 16 NHG somit in einer Weise ausgelegt und
angewandt, die mit seinem Sinn nicht vereinbar ist, weil sie über ihn
hinausgeht. Sie hat damit Bundesrecht verletzt, so dass ihr Entscheid
aufzuheben ist.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer beantragt, die Sache sei an die
Vorinstanz zurückzuweisen zu neuer Beurteilung. Er will sich nicht
allen Sicherungsmassnahmen widersetzen, sondern will solche, die ihm
verhältnismässig scheinen, hinnehmen. Eine Rückweisung erübrigt sich
jedoch. Sofern in Zukunft durch den derzeitigen oder einen künftigen
Eigentümer der Liegenschaft eine unmittelbare Gefahr für die Denkmäler
selbst geschaffen werden sollte, beispielsweise durch Beseitigung oder
Lageveränderung, durch Um- oder Neubauten, die den Zugang zum einstigen
Militärlager behindern oder über den heutigen Zustand hinaus die Sicht
auf die historische Stätte verschlechtern, steht es den Behörden der
Eidgenossenschaft und allenfalls des Kantons Bern, sofern das kantonale
Recht hierzu überhaupt eine Rechtsgrundlage aufweist, zu, einzuschreiten
und durch entsprechende Massnahmen eine Verschlechterung der Situation
abzuwenden. Es erscheint auch nicht ausgeschlossen, dass die kantonalen
Rechtsgrundlagen bereits im jetzigen Zeitpunkt Massnahmen zur präventiven
Sicherung der Stätte zulassen. Darüber ist jedoch hier nicht zu befinden.