Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IA 77



100 Ia 77

12. Auszug aus dem Urteil vom 13. Februar 1974 i.S. X. und Y. gegen
Regierungsrat des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 57 BV, disziplinarische Bestrafung von Strafgefangenen.

    Die disziplinarische Bestrafung wegen unerlaubter
heimlicher Kontaktnahme unter Strafgefangenen zur Sammlung von
Unterschriften,unerlaubter Weiterleitung eines "offenen Briefes" sowie
Anstiftung zu solchen Verfehlungen ist als Sanktion zur Aufrechterhaltung
der Ordnung im Strafvollzug sachlich begründet und verletzt die
Petitionsfreiheit nicht.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- X. und Y. verbüssten in der Strafanstalt Regensdorf wegen
Vermögensdelikten Freiheitsstrafen. Im November 1972 verfasste X. als
Insasse der Strafanstalt einen "Offenen Brief an den Bundesrat", wobei
ihm Y. behilflich war. Der "Offene Brief" enthält eine Kritik an der
Strafvollzugspraxis und die Bitte, der Bundesrat möge dem Strafvollzug
in der Schweiz seine ganz besondere Aufmerksamkeit zuwenden. Der "Offene
Brief" wurde von X. und Y. einer grösseren Anzahl von Mitgefangenen der
Strafanstalt Regensdorf zur Unterschrift vorgelegt. Hierauf schmuggelte
X. das von 61 Gefangenen unterzeichnete Schriftstück anlässlich eines
Urlaubs aus der Strafanstalt, schickte ein Exemplar an den Bundesrat
und Kopien an Parlamentarier, Hochschuldozenten und Vertreter der
Presse. X. orientierte die Direktion der Strafanstalt schriftlich über
sein Vorgehen. Schon vor dessen Urlaub war eine bei den Gefangenen zur
Unterschrift zirkulierende Kopie des "Offenen Briefes" einem Angestellten
in die Hände gefallen.

    B.- Am 13. Dezember 1972 traf die kantonale Direktion der Justiz
gemäss § 57 Abs. 2 der Verordnung des Regierungsrates über die kantonale
Strafanstalt Regensdorf vom 24. September 1964 (im folgenden kurz Vo
Regensdorf) an Stelle der primär zuständigen Direktion der Strafanstalt
eine Verfügung, wonach die Gefangenen X., wegen Verletzung von § 49
lit. g, h und i Vo Regensdorf mit sechs Tagen Arrest und Rückversetzung
in die 1. Disziplinarklasse, und Y., wegen Verletzung von § 49 lit. i
in Verbindung mit lit. g und h Vo Regensdorf mit drei Tagen Arrest und
Rückversetzung in die 2. Disziplinarklasse, bestraft wurden.

    C.- Die gegen die disziplinarische Bestrafung eingereichten Rekurse von
X. und Y. wies der Regierungsrat des Kantons Zürich am 21. Februar 1973 ab.

    Der Regierungsrat anerkannte, dass es sich bei dem "Offenen Brief
an den Bundesrat" um eine Petition handle und dass das Petitionsrecht
grundsätzlich auch dem Strafgefangenen zustehe. Die Sammlung von
Unterschriften für eine kollektive Petition unter den Gefangenen
der Strafanstalt könne aber nur im Rahmen der für die Gefangenen
geltenden Bestimmungen (Hausordnung) zulässig sein. Die unkontrollierte
Kontaktnahme und der schriftliche Verkehr zwischen den Gefangenen sei -
trotz gewissen gewohnheitsrechtlichen Lockerungen - aus Sicherheitsgründen
zu Recht verboten; die Verletzung dieser Vorschriften sei disziplinarich
zu bestrafen, auch wenn diese Verfehlungen bei der Vorbereitung und
Weiterleitung einer inhaltlich zulässigen Petition begangen worden seien;
die ausgefällten Disziplinarstrafen seien angemessen.

    D.- Gegen diesen Entscheid reichten X. und Y.  staatsrechtliche
Beschwerde ein. In der Begründung wird sinngemäss u.a. geltend gemacht,
der angefochtene Entscheid verstosse gegen das in der Bundesverfassung
gewährleistete Petitionsrecht.

    E.- Namens des Regierungsrates beantragt die Direktion der Justiz
des Kantons Zürich, die Abweisung derselben, soweit darauf eingetreten
werden könne.

    In der Vernehmlassung teilt die Justizdirektion mit, die beiden
Beschwerdeführer seien definitiv aus der Strafanstalt entlassen und ein
Vollzug der angefochtenen Arreststrafen falle somit ausser Betracht; die
Anfechtung der Bestrafung sei gegenstandslos geworden. In der Sache selber
legt sie das Hauptgewicht nicht auf die Verletzung des praktisch nicht mehr
existierenden Schweigegebotes, sondern auf die unerlaubte Zirkulation
eines Schriftstückes unter den Gefangenen und das Hinausschmuggeln
desselben. Eine kollektive Petition sei auch in der Strafanstalt nicht
grundsätzlich ausgeschlossen, sondern mit Bewilligung der Anstaltsleitung
könnten Unterschriften gesammelt werden; jede Petition müsse unzensiert
weitergeleitet werden. Die nicht bewilligte Zirkulation und das geheime
Hinausschmuggeln seien aber nicht zulässig.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Art. 57 BV gewährleistet das Petitionsrecht.  Unter dem
Petitionsrecht versteht man die Möglichkeit, ungehindert Bitten,
Vorschläge, Kritiken oder Beschwerden in Angelegenheiten ihres
Kompetenzbereichs an die Behörden zu richten, ohne deswegen Belästigungen
oder Rechtsnachteile irgendwelcher Art befürchten zu müssen (BGE 98
Ia 488 und die dort zit. Literatur). Im angefochtenen Entscheid des
Regierungsrates des Kantons Zürich wird ausdrücklich festgestellt,
dass auch ein Strafgefangener das Recht zur Einreichung einer Petition
hat und dass ein als Petition bezeichnetes Schriftstück von der
Anstaltsleitung ohne Zensur an den Adressaten weiterzuleiten ist. Dem
Sammeln von Unterschriften bei den Mitgefangenen für eine kollektive
Petition steht die Hausordnung entgegen. In der Vernehmlassung wird
die Möglichkeit der Bewilligung für eine solche Unterschriftensammlung
erwähnt. Die Frage, ob sich aus Art. 57 BV direkt ableiten lässt, dass
dem Strafgefangenen stets nicht nur die Einreichung einer Einzelpetition
zu gestatten, sondern auch die Organisation einer kollektiven Petition
(Unterschriftensammlung) zu ermöglichen ist, braucht hier nicht entschieden
zu werden; denn es ist im vorliegenden Fall nicht zu bestimmen, in welchem
Rahmen das Petitionsrecht auch im Strafvollzug gewährleistet bleiben
muss, sondern es geht darum, ob Verstösse gegen die im Interesse der
Sicherheit aufgestellten Ordnungsvorschriften gerechtfertig sind und nicht
disziplinarisch geahndet werden dürfen, wenn diese Disziplinarverstösse
der Einreichung einer kollektiven Petition dienen.

    b) Eine solche generelle Rechtfertigungsfunktion im Disziplinarrecht
einer Strafanstalt kann dem Art. 57 BV nicht zukommen. Auch wenn sich
aus dieser Verfassungsvorschrift eine Ausnahme von der inhaltlichen
Briefkontrolle und eventuell sogar ein Anspruch auf Bewilligung der
Sammlung von Unterschriften in der Strafanstalt ergibt, so ist damit
das heimliche Sammeln von Unterschriften und das Hinausschmuggeln einer
Postsendung nicht gerechtfertigt. Der Strafgefangene kann das in Art. 57 BV
gewährleistete Petitionsrecht nur im Rahmen der Anstaltsordnung ausüben. Da
die Kontaktnahme nur in gewissen Grenzen erlaubt und die Übergabe von
schriftlichen Mitteilungen an Mitgefangene grundsätzlich verboten ist,
erfordert das Sammeln von Unterschriften, soweit es unter dem Aspekt der
Sicherheit gestattet werden kann, eine Bewilligung der Anstaltsleitung,
die dann gegebenenfalls auch gleichzeitig dem Missbrauch der so erweiterten
Kontaktmöglichkeit in geeigneter Weise vorbeugen wird. Petitionsschriften
brauchen nicht aus der Anstalt geschmuggelt zu werden, die Anstaltsleitung
ist zur Weiterleitung verpflichtet. Unter welchen Voraussetzungen - im
Falle einer verfassungswidrigen Behinderung des Petitionsrechtes durch
die Anstaltsleitung - ein heimliches Vorgehen gerechtfertigt sein könnte,
bleibe hier dahingestellt; denn die Beschwerdeführer versuchten gar nicht,
ihre Petition unter Einhaltung der Hausordnung einzureichen, sie wählten
von vornherein ein heimliches, gegen die Hausordnung verstossendes Vorgehen
und können sich nicht auf eine Art "Notstand" berufen.

    Mit den angefochtenen Arreststrafen wird nicht die Ausübung des
Petitionsrechtes an sich geahndet, was verfassungswidrig wäre, sondern
Justizdirektion und Regierungsrat bestraften die vorsätzliche Missachtung
von klaren Vollzugsvorschriften; die Einreichung der Petition als solche
wird den Beschwerdeführern nicht vorgeworfen, sondern nur das heimliche
Vorgehen unter Verletzung der Hausordnung.

    c) Die ausgefällten Strafen dürfen selbstverständlich in einem solchen
Fall nicht wegen der Petition über das der Schwere der disziplinarischen
Verfehlungen entsprechende Mass hinaus erhöht werden; "Strafschärfung"
wegen der Einreichung oder wegen des Inhaltes der Petition wäre ein durch
Art. 57 BV verbotener Rechtsnachteil. Die Beschwerdeführer machen jedoch
nicht geltend, die verhängten Arreststrafen überschritten das bei solchen
disziplinarischen Verstössen übliche Mass, im Grunde sei die Einreichung
einer Petition als solche bestraft bzw. mitbestraft worden. Im übrigen
ist die Frage, ob die konkreten Arreststrafen sich auf die angemessene
Ahndung der begangenen Verletzungen der Hausordnung beschränken, kein
grundsätzliches Problem, auf welches trotz des Wegfalls eines aktuellen
Interesses in diesem Verfahren noch einzutreten wäre.

    d) Die prinzipielle Frage, ob es verfassungsmässig zulässig ist,
die ordnungswidrige heimliche Kontaktnahme mit Mitgefangenen und das
Hinausschmuggeln von Postsendungen auch dann zu bestrafen, wenn diese
Disziplinarverstösse der Einreichung einer Petition dienen, ist aus den
dargelegten Gründen zu bejahen, mit dem selbstverständlichen Vorbehalt,
dass bei einer solchen disziplinarischen Bestrafung nicht indirekt die
blosse Tatsache der Ausübung des Petitionsrechts geahndet werden darf.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.