Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IA 462



100 Ia 462

65. Urteil vom 30. Oktober 1974 i.S. Derungs gegen Gemeinde St. Martin
und Regierung des Kantons Graubünden. Regeste

    Art. 116 Abs. 1 und 2 BV.

    1.  Sprachenfreiheit als ungeschriebenes Grundrecht der
Bundesverfassung; kantonale Kompetenz zur Ordnung der Unterrichtssprache
in den öffentlichen Schulen; Territorialitätsprinzip (Erw. 2 a und b).

    2.  Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichtes (Erw. 3 a); keine
willkürliche Auslegung des kantonalen Rechtes durch die Kantonsbehörden
(Erw. 3 c).

    3.  Fehlende Verletzung der Sprachenfreiheit (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Die Gemeinde St. Martin im bündnerischen Lugnez zählt rund
60 Einwohner, von denen die Mehrheit deutsch und etwa 20% romanisch
sprechen. Der Unterricht in der im Gemeindeteil Lunschania gelegenen
Schule wird durch einen Lehrer romanischer Muttersprache in deutscher
Sprache erteilt. In den Schulen der rätoromanischen Nachbargemeinden
Tersnaus und Uors wird in romanischer Sprache unterrichtet.

    Die Familie des auf dem Hof St. Martin in der Gemeinde St. Martin
als Landwirt tätigen Silvester Derungs spricht romanisch, wie das
angeblich seit alters auf diesem Gehöft der im übrigen deutschen
Valsergemeinde St. Martin der Fall ist. Als der älteste Sohn 1967
schulpflichtig wurde, schickte der Vater ihn nicht in die Schule
der Wohngemeinde, sondern in jene von Tersnaus, damit er in seiner
Muttersprache unterrichtet werde. Zunächst erhob die Gemeinde Tersnaus
kein Schulgeld und die Gemeinde St. Martin übernahm die Kosten für die
auswärtige Mittagsverpflegung. 1969 wurde der zweite, 1971 der dritte
Sohn schulpflichtig. Sie besuchten ebenfalls die romanische Schule in
der Nachbargemeinde. Die Gemeinde Tersnaus verlangte von 1969 an ein
Schulgeld, ebenso von 1971 an die Gemeinde Uors, deren Schule ein Sohn des
Silvester Derungs besuchte. Von 1969 an übernahm die Gemeinde St. Martin
die Kosten für die auswärtige Verpflegung nicht mehr. Bis 1972 bezahlte
Derungs Schulgeld und Mittagsverpflegung selber. Seither weigert er sich,
den Gemeinden Tersnaus und Uors die Schulgelder zu entrichten.

    B.- Im April 1973 stellte Derungs der Gemeinde St.  Martin das
Gesuch um Übernahme der Schulgelder und der Kosten für die auswärtige
Verpflegung. Mit Beschluss vom 5. Mai 1973 lehnte die Gemeindebehörde
das Begehren ab, teilte dem Gesuchsteller aber gleichzeitig mit, wenn
seine Kinder die Schule in Lunschania besuchen würden, erhielten sie
unentgeltlich Unterricht und Mittagsverpflegung.

    Gegen diesen Gemeindebeschluss erhob Derungs Beschwerde beim
Erziehungsdepartement des Kantons Graubünden, die am 7. Januar 1974
teilweise gutgeheissen wurde. Das Departement verpflichtete die Gemeinde
Uors, das Schulgeld auf maximal Fr. 500.-- pro auswärtigen Schüler und
Jahr anzusetzen und dem Rekurrenten allfällig zuviel bezahlte Beträge
zurückzuerstatten oder mit Guthaben gegenüber dem Rekurrenten zu
verrechnen. Im übrigen wies es die Beschwerde ab.

    Den Entscheid des Erziehungsdepartements focht Derungs mit
Verwaltungsbeschwerde bei der Regierung des Kantons Graubünden an. Er
stellte das Begehren, für das Schuljahr 1972/73 sei er vom Schulgeld für
die drei schulpflichtigen Kinder zu entlasten. Dieselbe Befreiung möge man
ferner für das Schuljahr 1973/74 verfügen, wobei ab Herbst 1973 auch das
Schulgeld für den vierten Knaben einbezogen werden sollte, der in diesem
Zeitpunkt in die Schulpflicht eingetreten sei. Für das Schuljahr 1971/72
möge das bezahlte Schulgeld mindestens teilweise zurückerstattet werden,
und es seien angemessene Rückerstattungen für die weiter zurückliegenden
Schuljahre zu gewähren. Für die Schuljahre 1971 bis 1974 sollten ihm
jene Betreffnisse der kantonalen Schulkinderfürsorge zugesprochen werden,
deren Geltendmachung die Gemeinden zu seinem Nachteil unterlassen hätten.

    Die Regierung wies die Beschwerde am 20. Mai 1974 ab. Zur Begründung
führte sie im wesentlichen aus: Grundsätzlich habe jedes Kind die Schule
der Gemeinde zu besuchen, in der es sich mit Einwilligung des gesetzlichen
Vertreters aufhalte. Der Schulort der Kinder Derungs sei die Gemeinde St.
Martin. In der kleinen Gesamtschule Lunschania der Gemeinde St. Martin
unterrichte seit Jahren ein romanischsprechender Lehrer aus Tersnaus. Er
sei fähig und bereit, die Kinder Derungs solange deutsch und romanisch zu
unterrichten, bis sie genügende Kenntnisse der deutschen Sprache hätten,
um ausschliesslich dem Unterricht in dieser Sprache folgen zu können. Die
Möglichkeit des unentgeltlichen Primarschulunterrichts bestehe somit am
Schulort, obwohl die Muttersprache der Kinder romanisch sei. Zu weitern
Leistungen könne die Gemeinde St. Martin nicht verpflichtet werden,
zumal Art. 11 Abs. 2 des Bündner Schulgesetzes eine Kann-Vorschrift
sei, die nicht extensiv interpretiert werden dürfe. Der Schulbesuch
in den Nachbargemeinden könne nicht mit Sprachschwierigkeiten begründet
werden. Der Grund liege in persönlichen Verhältnissen. Die Nachbargemeinden
Uors und Tersnaus könnten nicht gezwungen werden, die Kinder Derungs
in ihre Schulen aufzunehmen. Die Aufnahme erfolge freiwillig, weshalb
das Erziehungsdepartement keine Möglichkeit gehabt habe, das Schulgeld
der Gemeinde Uors auf das in Graubünden übliche Minimum pro auswärtigen
Schüler und Jahr anzusetzen. Mit dem Antrag betreffend Ersatz der Kosten
für die auswärtige Verpflegung der Kinder Derungs durch die Gemeinden
Uors und Tersnaus habe sich die Regierung in diesem Verfahren nicht
zu beschäftigen, da es sich um eine Erweiterung des erstinstanzlichen
Rekursbegehrens handle.

    C.- Gegen diesen Entscheid führt Silvester Derungs gestützt auf die
Art. 4, 27 Abs. 2 und 116 Abs. 1 BV staatsrechtliche Beschwerde. Er
verlangt die Aufhebung des Entscheids und bestimmte Anordnungen des
Bundesgerichts. Auf die Begründung der Beschwerde ist, soweit nötig,
in den folgenden Erwägungen einzugehen.

    D.- Die Regierung des Kantons Graubünden beantragt Abweisung der
Beschwerde. Die Gemeinde St. Martin stellt sinngemäss den gleichen Antrag.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- a) Nach Lehre und Rechtsprechung gehört die Sprachenfreiheit,
d.h. die Befugnis zum Gebrauch der Muttersprache, zu den ungeschriebenen
Freiheitsrechten der Bundesverfassung (BGE 91 I 485; FLEINER/GIACOMETTI,
Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 390 ff.; AUBERT, Traité de
droit constitutionnel suisse, I N 31 l'II N 1754; SCHÄPPI, Der Schutz
sprachlicher und konfessioneller Minderheiten im Recht von Bund und
Kantonen, Diss. Zürich 1971. S. 55 ff.). Soweit die Muttersprache zugleich
eine der Nationalsprachen des Bundes ist, stellt die Sprachenfreiheit
zudem die Grundlage für die Erhaltung der Sprachgebiete in der Schweiz
dar, die Gegenstand des Art. 116 BV bildet. Die in Abs. 1 dieser
Verfassungsvorschrift enthaltene Garantie des Fortbestands der vier
Nationalsprachen wäre undenkbar, wenn der Gebrauch dieser Sprachen in ihrem
Geltungsbereich nicht gewährleistet wäre. Der Art. 116 BV garantiert die
Sprachenfreiheit allerdings nicht selbst; er setzt sie vielmehr voraus
und zieht ihr im öffentlichen Interesse gewisse Schranken (BGE 91 I 486).

    Die Kompetenz zur Ordnung des Sprachengebrauchs Privater steht
den Kantonen zu. Das ergibt sich aus Art. 116 Abs. 2 BV, der nur die
Amtssprachen der Bundesbehörden festlegt (FLEINER/GIACOMETTI, aaO S. 395;
THILO, FJS 301 S. 2 f.; SCHÄPPI, aaO S. 60 ff.; anderer Meinung: BERNHARD,
Die Sprachen und der Aufbau schweizerischer Gemeinwesen, in Europa Ethnica,
Heft 11970 S. 4). In der öffentlichen Schule wird der Unterricht in der
Regel in der Amtssprache des Einzugsgebiets erteilt. Die Befugnis, die
Unterrichtssprache festzulegen, ist in dieser Hinsicht bereits in der
allgemeinen Zuständigkeit des Kantons zur Bestimmung seiner Amtssprache
enthalten (BGE 911 487).

    b) Das Sprachenrecht der Schweiz wird vom sogenannten
Territorialitätsprinzip beherrscht. Darnach dürfen im Interesse des
Sprachfriedens die überlieferten Grenzen der Sprachgebiete und Sprachinseln
nicht, jedenfalls nicht bewusst verschoben werden (VEB 1956 S. 58;
HEGNAUER, Das Sprachenrecht der Schweiz, Diss. Zürich 1947 S. 261 ff.;
GIAN-RETO GIERE, Die Rechtsstellung des Rätoromanischen in der Schweiz,
Diss. Zürich 1956, S. 56; SCHÄPPI, aaO S. 59 f.). In der Gemeinde, in
der nur eine Sprache gesprochen wird oder die weitaus grösste Mehrheit
die nämliche Muttersprache hat, wird der Unterricht regelmässig in dieser
Sprache erteilt. Ob in grossen Ortschaften mit einer starken sprachlichen
Minderheit eine Pflicht des Gemeinwesens bestehen könnte, eine öffentliche
Schule einzurichten, in der die Schüler der Minderheit in ihrer Sprache
unterrichtet werden, mag dahingestellt bleiben. Sicher kann die kleine
Gemeinde St. Martin, deren Bevölkerung zum weitaus grössten Teil deutsch
spricht, nicht verhalten werden, neben ihrer kleinen Gesamtschule, in
der deutsch unterrichtet wird, auch Klassen zu führen, in welchen der
Unterricht in romanischer Sprache erteilt wird. Der Beschwerdeführer
selber behauptet das mit Recht nicht.

    Derungs verlangt vielmehr, es sei ihm das Schulgeld für den Besuch
der romanischen Schule durch seine Kinder in den Nachbargemeinden zu
erlassen und es seien die Kosten für die auswärtige Mittagsverpflegung
der Kinder vom Gemeinwesen zu übernehmen.

Erwägung 3

    3.- a) Ob der Beschwerdeführer für Schulgeld und Mittagsverpflegung
der Kinder selber aufzukommen hat, bestimmt sich zunächst nach kantonalem
Recht. Dessen Anwendung kann das Bundesgericht grundsätzlich nur unter
dem Gesichtswinkel der Willkür überprüfen. Anders wäre es bloss, wenn
sich der Eingriff in das Grundrecht der Sprachenfreiheit besonders
einschneidend auswirken würde. Das ist nicht der Fall. Die Kinder
des Beschwerdeführers hätten die Möglichkeit, den Schulunterricht in
St. Martin unentgeltlich zu besuchen, wobei sie der Lehrer romanischer
Muttersprache solange in romanischer und deutscher Sprache unterrichten
würde, bis sie dem Unterricht in dieser Sprache zu folgen vermöchten. Auf
ihre Muttersprache würde also weitgehend Rücksicht genommen. Es bedeutet
keinen besonders schweren Eingriff in die Sprachenfreiheit, dass dem
Beschwerdeführer dann, wenn er es vorzieht, die Kinder in romanische
Schulen der Nachbargemeinden zu schicken, die Übernahme des Schulgeldes
und der Kosten für die Mittagsverpflegung zugemutet wird. Im Bereich der
Sprachenfreiheit wird es wohl ohnehin nur selten zu besonders schweren
Eingriffen kommen (BGE 91 I 488). Die Auslegung des kantonalen Gesetzes-
und Verordnungsrechts hat das Bundesgericht demnach im zu beurteilenden
Fall nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür zu überprüfen. Erweist es
sich, dass die Regierung bei Anwendung des kantonalen Rechts nicht in
Willkür verfiel, so prüft das Bundesgericht hernach frei, ob bei dieser
Anwendung des kantonalen Rechts das in Frage stehende Grundrecht, d.h. die
Sprachenfreiheit, gewahrt ist.

    b) Der Beschwerdeführer beklagt sich darüber, dass er die Kosten
für die auswärtige Verpflegung seiner Kinder selber zu tragen hat. Die
Regierung führte im angefochtenen Entscheid aus, mit dem Antrag
betreffend Ersatz der Kosten für die auswärtige Verpflegung habe sich
die Beschwerdeinstanz nicht zu befassen, da es sich um eine Erweiterung
des erstinstanzlichen Rekursbegehrens handle. Derungs könnte in diesem
Punkt mit seiner Beschwerde nur mit der Begründung durchdringen, es
verstosse gegen Art. 4 BV, dass sich die Regierung nicht mit diesem
Antrag beschäftigte. Eine solche Rüge erhebt er aber nicht. Vielmehr
begründet er die Beschwerde so, wie wenn die Regierung in diesem Punkt
auf seinen Antrag eingetreten wäre. Da der Beschwerdeführer nicht dartut,
dass es die Regierung in Verletzung des Art. 4 BV ablehnte, auf den die
Verpflegungskosten betreffenden Antrag einzutreten, erweist sich die
Beschwerde in diesem Punkt als unbegründet.

    c) Nach Art. 11 Abs. 1 des Bündner Schulgesetzes hat jedes Kind die
Schule der Gemeinde zu besuchen, in der es sich mit Einwilligung des
gesetzlichen Vertreters dauernd aufhält. Nach Abs. 2 kann ein Kind auf
Gesuch hin in die Schule einer Nachbargemeinde aufgenommen werden, wenn der
Schulbesuch wesentlich erleichtert wird. Die beteiligten Gemeinden einigen
sich über ein allfälliges Schulgeld, das in der Regel die Wohngemeinde des
Kindes entrichtet. In Streitfällen entscheidet das Erziehungsdepartement
über Zuweisung und Schulgeld. Art. 12 der Vollziehungsverordnung zum
Schulgesetz (VV) lautet:

    "Das Gesuch um Zulassung zur Schule in einer Nachbargemeinde ist an
deren Schulrat zu richten. Dieser entscheidet über die Aufnahme nach
Anhören des Schulrates der Wohngemeinde und setzt im Benehmen mit ihm
ein allfälliges Schulgeld fest. Dieses entrichtet die Wohngemeinde.

    Das Schulgeld haben der gesetzliche Vertreter oder die Pflegeeltern
selber zu entrtchten, sofern der Schulbesuch in der Nachbargemeinde aus
Gründen erfolgt, die in ihren oder des Kindes persönlichen Verhältnissen
liegen."

    Grundsätzlich hat demnach die Wohngemeinde das von einer
Nachbargemeinde verlangte Schulgeld zu übernehmen. Anders verhält es sich,
wenn der Schulbesuch in der Nachbargemeinde aus Gründen erfolgt, die in den
persönlichen Verhältnissen der Eltern bzw. Pflegeeltern oder des Kindes
liegen. Die Vorschrift lässt verschiedener Auslegung Raum. Sie kann mit
Fug in dem Sinn ausgelegt werden, dass die Wohngemeinde das Schulgeld nur
zu übernehmen hat, wenn der auswärtige Schulbesuch in sachlichen Umständen
begründet ist, so etwa, wenn der Weg zur Schule der Wohngemeinde lang und
beschwerlich, jener zur Schule der Nachbargemeinde kurz und bequem ist. Ob
die Muttersprache als sachlicher Umstand oder als persönliches Verhältnis
zu werten ist, mag hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls erscheint die
Erklärung der Regierung nicht als willkürlich, im hier zu beurteilenden
Fall, da die Kinder des Beschwerdeführers in der Schule der Wohngemeinde
zunächst in romanischer und deutscher Sprache unterrichtet worden wären
und sich somit keine schwerwiegenden Sprachprobleme ergeben hätten,
erfolge der Schulbesuch in den Nachbargemeinden aus "in den persönlichen
Verhältnissen" liegenden Gründen. Nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung liegt Willkür nur vor, wenn der Entscheid nicht nur
unrichtig, sondern darüber hinaus schlechthin unhaltbar ist, namentlich
wenn er einen allgemeinen Rechtsgrundsatz offensichtlich schwer verletzt
oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 97
I 352 mit Verweisungen). Die Regierung musste zudem bei der Auslegung
des Art. 12 VV auch Art. 11 Abs. 2 des Schulgesetzes beachten, wonach
der Besuch der Schule in einer Nachbargemeinde nur zu gestatten ist,
wenn dadurch "der Schulbesuch wesentlich erleichtert" wird. Nachdem der
Schullehrer der Wohnortsgemeinde St. Martin fähig und bereit gewesen wäre,
die Kinder des Beschwerdeführers solange in romanischer und deutscher
Sprache zu unterrichten, bis sie ausschliesslich dem deutschen Unterricht
hätten folgen können, erweist sich die regierungsrätliche Auffassung nicht
als geradezu unhaltbar, der Schulbesuch in Lunschania sei nicht dermassen
erschwert gewesen, dass sich der auswärtige Schulbesuch zu rechtfertigen
vermöchte. Ist dem aber so, durfte die Regierung ohne Willkür erwägen,
zu einer Übernahme des Schulgeldes sei die Gemeinde St. Martin nach
dem Sinn des Gesetzes nicht verpflichtet. Sie hat das kantonale Recht,
soweit es die Bezahlung des Schulgeldes regelt, somit nicht willkürlich
ausgelegt, was das Bundesgericht nach der oben angeführten Rechtsprechung
allein prüfen kann. Der Beschwerdeführer selber behauptet das im übrigen
nicht. Er macht nur im Zusammenhang mit dem Kostgeld Willkür geltend.

Erwägung 4

    4.- Hält die Auslegung der kantonalen Vorschriften über die Bezahlung
des Schulgeldes vor Art. 4 BV stand, so stellt sich die Frage, ob durch
diese Rechtsanwendung die Sprachenfreiheit verletzt wird. Normalerweise
schützen die Grundrechte nur gegen Eingriffe des Staates. Sie geben
im allgemeinen nicht Anspruch auf positive staatliche Leistungen. Die
Beschwerde zielt darauf ab, dass das Gemeinwesen das Schulgeld für den
romanischen Unterricht der Kinder Derungs in den Nachbargemeinden zu
bezahlen habe. Es wird damit eine positive Leistung des Gemeinwesens
verlangt. Ob die Sprachenfreiheit zu den wenigen Grundrechten zu rechnen
ist, die Anspruch auf positive Leistungen geben, mag bezweifelt werden,
kann aber, wie sich zeigen wird, offen bleiben (vgl. AUBERT, aaO II S. 630
N 1750 ff.).

    Die Behauptung des Beschwerdeführers, es sei der Entwicklung
seiner Kinder förderlich, wenn sie in den ersten Schuljahren in ihrer
Muttersprache unterrichtet werden, leuchtet ein. Es ist zudem zu
berücksichtigen, dass nur eine kleine Minderheit des Schweizervolkes
romanisch spricht und die Gefahr besteht, dass der Bereich dieser Sprache
noch mehr eingeschränkt wird. Die Erhaltung der romanischen Sprache
liegt im schweizerischen Interesse. Der Bund und der Kanton Graubünden
bemühen sich darum, die vierte Nationalsprache zu erhalten und zu fördern
(vgl. Botschaft des Bundesrates über die Gewährung eines jährlichen
Beitrages an die Ligia Romontscha/Lia Rumantscha vom 21.12.1973,
BBl 1974 Nr. 6 S. 275 ff. und BB über die Unterstützung der Ligia
Romontscha/Lia Rumantscha vom 23.9.1974, AS 1974 Nr. 45 S. 1797/8). Wenn
ein Kind romanischer Muttersprache schon von den ersten Schuljahren an
dem deutschsprachigen Unterricht folgen muss, ist zu erwarten, dass es
seine Muttersprache nicht im gleichen Masse bewahrt, wie wenn es in der
Schule zunächst in seiner Sprache unterrichtet würde. Es dürfen aber die
tatsächlichen Gegebenheiten nicht aus den Augen verloren werden. Da wegen
des kleinen Sprachbereichs des Rätoromanischen die Kinder dieser Sprache
ohnehin deutsch lernen müssen, ist es aus praktischen Gründen geboten, sie
schon früh in deutscher Sprache zu unterrichten (HEGNAUER, aaO S. 265/6;
GIERE, aaO S. 81/2). Bekanntlich bestehen in den rätoromanischen Gemeinden
vielfach Kleinkinderschulen, in denen ausschliesslich romanisch gesprochen
wird. In der Primarschule wird der Unterricht in den ersten Jahren nur in
romanischer Sprache erteilt, in der vierten oder fünften Klasse beginnt
man mit dem Deutschunterricht und spätestens in der siebten Klasse ist
die Unterrichtssprache mit wenigen Ausnahmen ausschliesslich deutsch. Im
gemischten deutsch-rätoromanischen Sprachgebiet unterrichtet man zumeist
von Anfang an in deutscher Sprache, während das Romanische von der ersten
Klasse an als Sprachfach in ein bis zwei Wochenstunden unterrichtet
wird (vgl. GIERE, aaO S. 75 ff.; SCHÄPPI, aaO S. 111 ff.). Selbst in
romanischen Gemeinden werden die Schüler also zu einem grossen Teil
in deutscher Sprache unterrichtet. Man wird nun kaum behaupten können,
diese auf die praktischen Bedürfnisse ausgerichtete Ordnung verletze die
Sprachenfreiheit. Umso eher muss sich der Vater einer rätoromanischen
Familie damit abfinden, dass seine Kinder in der Schule in deutscher
Sprache unterrichtet werden, wenn er in einer Gemeinde wohnt, in der die
grosse Mehrheit der Bevölkerung deutsch spricht. Vor allem kann dann
nicht von einer Verletzung des Grundrechtes gesprochen werden, wenn
trotz der deutschen Unterrichtssprache der romanisch sprechende Lehrer
fähig und bereit ist, die Kinder solange in romanischer und deutscher
Sprache zu unterrichten, bis sie dem Unterricht in deutscher Sprache
zu folgen vermögen. Hat der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt
der Sprachenfreiheit also keinen Anspruch darauf, dass seine Kinder in
romanischer Sprache unterrichtet werden, so kann er unter dem nämlichen
Gesichtswinkel auch keinen Anspruch auf Bezahlung des Schulgeldes durch
die Gemeinde erheben, wenn er es vorzieht, seine Kinder ausserhalb
der Wohngemeinde in eine Schule mit romanischer Unterrichtssprache zu
schicken. Eine Verletzung der Sprachenfreiheit ist hier nicht gegeben,
weshalb die Beschwerde abzuweisen ist. Ob der Art. 27 BV Ansprüche
gewährleistet, die über die aus der Sprachenfreiheit fliessenden
hinausgehen, braucht nach dem Gesagten (Erw. 1b) hier nicht entschieden
zu werden.

Erwägung 5

    5.- Wenn auch im vorliegenden Fall von Willkür und Verletzung eines
Grundrechtes nicht gesprochen werden kann, so ist immerhin zu bedauern,
dass die kantonalen Behörden nicht Mittel und Wege gefunden haben,
um im Interesse der Erhaltung der romanischen Sprache dem Anliegen des
Beschwerdeführers Rechnung zu tragen. Es kann nicht übersehen werden,
dass der angefochtene Entscheid sich nur schwerlich mit den in der Schweiz
und in Graubünden allgemein unternommenen Bestrebungen zur Wahrung und
Förderung der rätoromanischen Sprache vereinbaren lässt (vgl. u.a. BB vom
23.9.1974 über die Unterstützung der Ligia Romontscha/Lia Rumantscha, aaO).

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.