Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IA 287



100 Ia 287

40. Auszug aus dem Urteil vom 18. September 1974 i.S. Primarschulgemeinde
Küsnacht gegen Dr. R. Allemann und Regierungsrat des Kantons Zürich Regeste

    Gemeindeautonomie; Zulassung zu einem Kleinhallenbad.

    Umfang der Autonomie der Gemeinde, wo sie aus eigener Initiative
Einrichtungen erstellt und betreibt. Dürfen die kantonalen Behörden einen
Gemeindeerlass lediglich auf seine Rechtmässigkeit überprüfen, so ist
die Gemeindeautonomie verletzt, wenn sie zu Unrecht eine Rechtsverletzung
annehmen (Erw. 2).

    Die Benützung einer Anstalt setzt regelmässig eine Zulassung voraus
(Erw. 3 a).

    Der sachlich begründete, einer vernünftigen Begrenzung des
Benützerkreises dienende Ausschluss Auswärtiger von der Benützung
kommunaler Anstalten, die nach ihrer Aufnahmekapazität auf die Bedürfnisse
der Einwohnerschaft zugeschnitten sind, ist nicht verfassungswidrig
(Erw. 3 b).

Sachverhalt

    A.- Die Primarschulgemeinde Küsnacht betreibt im Rahmen ihrer
Schulanlage "Heslibach" in Küsnacht ein Kleinhallenbad mit einem
Schwimnmbecken von 10 m x 25 m. Dieses Kleinhallenbad ist, wenn es nicht
von den Schulen der Gemeinde beansprucht wird, auch der Öffentlichkeit
zugänglich. In der Benützungsordnung vom 10. Dezember 1970 wurde
festgelegt, dass nur die Einwohner und die Bürger von Küsnacht Zutritt
zum Bad haben (Badeordnung Art. 1 Abs. 1 Satz 1).

    Gestützt auf diese Bestimmung wurde Dr. Allemann, der in Herrliberg
wohnt und nicht Bürger von Küsnacht ist, als er am 12. April 1972 das
Kleinhallenbad während der allgemeinen Öffnungszeit benützen wollte,
vom Aufsichtspersonal abgewiesen.

    Der Regierungsrat, an den Dr. Allemann die Angelegenheit nach
erfolgloser Beschwerde bei der Primarschulpflege und erfolglosem Rekurs
an den Bezirksrat Meilen weiterzog, hiess den Rekurs gut und hob die den
Benützerkreis einschränkende Bestimmung der Badeordnung auf.

    B.- Gegen den Entscheid des Regierungsrates reichte die
Primarschulgemeinde Küsnacht staatsrechtliche Beschwerde ein mit dem
Antrag, der angefochtene Regierungsratsbeschluss sei aufzuheben.

    Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Regierungsrat habe Art. 1
Abs. 1 Satz 1 der Badeordnung für die Schwimmhalle Küsnacht zu Unrecht
aufgehoben und dadurch die Autonomie der Schulgemeinde verletzt. Es dürften
zwischen Personen, die in einer Gemeinde wohnen oder dort Bürger seien,
und solchen, die zum betreffenden Ort keine nähere Beziehung haben,
rechtliche Unterschiede gemacht werden, wenn triftige sachliche Gründe
solche Unterschiede erheischen. Im Falle des Kleinhallenbades Heslibach
bestehe bei freiem Zutritt auch für Auswärtige wegen des Mangels an
Hallenbädern in der Umgebung die Gefahr der ständigen Überfüllung
des Bades, sodass dann der Zutritt zeitweilig für jedermann gesperrt
werden müsste. Durch eine solche Lösung würden Teile der ortsansässigen
Bevölkerung von der Benützung des Bades praktisch ausgeschlossen oder
darin jedenfalls stark behindert. Das Bad sei aber von der Gemeinde
doch in erster Linie für die eigenen Bedürfnisse geschaffen worden und
es bestehe ein vordringliches Interesse der Gemeindeeinwohner, die durch
ihre Steuergelder finanzierten Institutionen auch tatsächlich benützen zu
können. Das Gebot der rechtsgleichen Behandlung gehe nicht so weit, in
einem Fall wie dem vorliegenden Auswärtige und Einheimische betreffend
Benützungsmöglichkeit gleichzustellen. Angesichts der beschränkten
räumlichen Verhältnisse, der kurzen für die öffentliche Benützung zur
Verfügung stehenden Zeit und des zu erwartenden Andrangs auswärtiger
Besucher habe die Schulgemeinde den Kreis der Benützer auf die Einwohner
und die Bürger der Gemeinde beschränken dürfen.

    C.- Namens des Regierungsrates beantragt die Direktion des Innern
Abweisung der Beschwerde. Dr. Allemann stellt sinngemäss den gleichen
Antrag. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- In materieller Hinsicht muss zunächst geprüft werden, ob der
Primarschulgemeinde in dem hier zur Diskussion stehenden Bereich -
Ordnung der Benützung einer kommunalen Anstalt - Autonomie zukommt.

    Nach der Verfassung des Kantons Zürich gibt es neben politischen
Gemeinden und Kirchgemeinden die Schulgemeinden (Primarschulgemeinden und
Oberstufenschulgemeinden) als selbständige Körperschaften, welche für die
Belange der Volksschule zuständig sind (Art. 42 und 52 Abs. 2 KV). Für
die Schulgemeinden gilt wie für die andern Gemeinden der in Art. 48 KV
umschriebene Grundsatz der Gemeindeautonomie; sie sind befugt, "ihre
Angelegenheiten innerhalb der Schranken der Verfassung und der Gesetze
selbständig zu ordnen". Zum autonomen Wirkungsbereich einer Gemeinde gehört
traditionsgemäss die Regelung des Betriebes und der Benützung der von ihr
errichteten Anstalten (wie Schulen, Heime, Spitäler, Bibliotheken usw.),
unter Vorbehalt übergeordneter gesetzlicher Vorschriften des Kantons
und des Bundes. Fällt die Errichtung und der Betrieb einer öffentlichen
Anstalt in den gesetzlich geregelten Aufgabenkreis der Gemeinde, so ist
die ihr auf diesem Gebiet zustehende Entscheidungsfreiheit in der Regel
durch kantonales Recht begrenzt. Hingegen geniesst die Gemeinde dort,
wo sie aus eigener Initiative Einrichtungen aufbaut und betreibt, zu
deren Schaffung sie nicht verpflichtet ist und die nicht irgendwelchen
gesetzlichen Vorschriften des Kantons unterstehen, eine umfassendere
Gestaltungsfreiheit.

    Das Kleinhallenbad der Primarschulgemeinde Küsnacht ist eine solche
ohne gesetzliche Verpflichtung geschaffene kommunale Institution. Spezielle
Vorschriften des kantonalen Rechts, welche die Entscheidungsfreiheit der
Gemeinde einschränken könnten, bestehen offenbar nicht. In bezug auf die
Ordnung des Betriebs des Kleinhallenbades hat die Beschwerdeführerin als
Trägerin der von ihr erstellten Einrichtung demnach eine relativ erhebliche
Entscheidungsfreiheit im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur
Gemeindeautonomie (BGE 100 I a 203 E. 2 mit Verweisungen; betr. Autonomie
beim Betrieb kommunaler Anstalten vgl. BGE 100 I a 92).

    Ist folglich davon auszugehen, dass die Primarschulgemeinde Küsnacht
bezüglich des Erlasses einer Badeordnung autonom ist, bleibt zu prüfen, ob
der Regierungsrat, indem er im Zusammenhang mit einem Rechtsanwendungsfall
die strittige Bestimmung über den Benützerkreis aufhob, tatsächlich in
ihren geschützten Autonomiebereich eingegriffen hat.

    Ob eine Gemeinde durch einen über autonomes Recht befindenden
Rechtsmittelentscheid einer kantonalen Behörde in ihrer Autonomie
verletzt ist, hängt vom Umfang der der Rekursinstanz zustehenden
Überprüfungsbefugnis ab. Dürfen die kantonalen Behörden einen
Gemeindeerlass lediglich auf seine Rechtmässigkeit überprüfen, so ist die
Gemeindeautonomie verletzt, wenn sie zu Unrecht annehmen, es liege eine
Rechtsverletzung vor, oder wenn sie auch die Zweckmässigkeit des Erlasses
überprüfen und dadurch ihre Prüfungsbefugnis überschreiten (BGE 93 I 160).

    Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass der Regierungsrat an sich
kraft seiner Funktion als Aufsichtsbehörde verfassungswidrige Vorschriften
oder Reglemente der Gemeinde aufheben kann; sie macht jedoch geltend,
die strittige Benützungsvorschrift stelle - entgegen der Ansicht des
Regierungsrates - keinen Verstoss gegen das sowohl in der Bundesverfassung
(Art. 4) wie auch in der kantonalen Verfassung (Art. 2) verankerte Prinzip
der Rechtsgleichheit dar. Die Autonomie der Primarschulgemeinde Küsnacht
ist verletzt, wenn der Regierungsrat zu Unrecht eine Verletzung dieses
Grundsatzes angenommen hat.

    Nach der mehrfach, zuletzt in BGE 96 I 456 bestätigten Rechtsprechung
des Bundesgerichts bindet Art. 4 BV sowohl die rechtsanwendenden
wie die rechtssetzenden, die kantonalen ebenso wie die kommunalen
Behörden. Ausser den Schranken, die sich aus dem übrigen Verfassungs- und
aus dem Bundesrecht ergeben, haben deshalb der kantonale und der kommunale
Gesetzgeber das Gleichheitsprinzip nach Art. 4 BV zu beachten. Gegen diesen
verfassungsmässigen Grundsatz verstösst ein allgemeinverbindlicher Erlass
dann, wenn er sich nicht auf ernsthafte sachliche Gründe stützen lässt,
sinn- und zwecklos ist oder rechtliche Unterscheidungen trifft, für die
ein vernünftiger Grund in den zu regelnden tatsächlichen Verhältnissen
nicht ersichtlich ist. Bei der Umschreibung der Zulassungsbedingungen ist
das Gemeinwesen als Träger einer Anstalt also insofern an das Prinzip
der Rechtsgleichheit gebunden, als keine sachlich nicht vertretbaren
Einschränkungen und Unterscheidungen getroffen werden dürfen (BGE 92
I 510).

Erwägung 3

    3.- a) Die Benützung einer Anstalt ist nicht eine Art des
Gemeingebrauchs öffentlicher Sachen, wie die Direktion des Innern
in ihrer Vernehmlassung annimmt, sondern die Anstaltsbenützung setzt
regelmässig eine Zulassung voraus (WOLFF H. J., Verwaltungsrecht II,
3. Aufl. S. 337). Die Zulassung kann sehr formlos erfolgen und an keine
besonderen Voraussetzungen geknüpft sein (z.B. Anmeldung und Registrierung
als Bibliotheksbenützer, Zahlung einer Eintrittsgebühr bei Museen und
Schwimmbädern). Oft verlangt aber die Art der Institution (z.B. höhere
Schule) oder ihre beschränkte Kapazität (Schwimmbad, Sportanlage,
Altersheim) eine gewisse Begrenzung des möglichen Benützerkreises.

    Es ist Sache des Anstaltsträgers, die Benützungsordnung und die
Zulassungsbedingungen festzulegen. Die Kompetenz zur Regelung dieser
Frage ergibt sich aus der Trägerschaft selber und es bedarf keiner
speziellen gesetzlichen Ermächtigung hiezu. Durch kantonale Vorschriften
oder Subventionsbedingungen kann die Autonomie des Anstaltsträgers zur
Regelung der Anstaltsordnung beschränkt sein. Solche Einschränkungen der
Autonomie bestehen jedoch im vorliegenden Fall nicht.

    b) Die Einrichtungen einer Gemeinde sind in der Regel nach ihrer
Grösse und Aufnahmekapazität auf die Bedürfnisse der Einwohnerschaft
zugeschnitten. Wenn zur Vermeidung eines übermässigen Andranges
und unangenehmer Wartezeiten die Benützung eines Kleinhallenbades
den Gemeindeeinwohnern, welche die Steuerzahler des die Institution
tragenden Gemeinwesens sind, vorbehalten wird, so bedeutet dies keine
Rechtsungleichheit. Aus Art. 4 BV lässt sich nicht ableiten, dass eine
Gemeinde als Trägerin einer öffentlichen Anstalt verpflichtet sei, deren
Benützung jedermann - d.h. auch auswärtigen Interessenten - zu gestatten,
selbst unter Benachteiligung der Gemeindeeinwohner. Die Begrenzung des
Benützerkreises auf Gemeindeeinwohner verletzt Art. 4 BV folglich nicht.

    Zwar erscheint in dieser Beziehung eine gewisse interkommunale
Grosszügigkeit und Solidarität als wünschenswert. In einer
bevölkerungsdichten Agglomeration kann aber einer Gemeinde nicht zugemutet
werden, dass sie die auf die Bedürfnisse ihrer Einwohner zugeschnittenen
Anstalten ohne weiteres auch Auswärtigen, insbesondere den Bewohnern
benachbarter Gemeinden, öffnet und damit einen übermässigen Andrang in Kauf
nimmt, zum Nachteil der Gemeindeeinwohner, für welche die Institutionen
eigentlich bestimmt sind. Der sachlich begründete, einer vernünftigen
Begrenzung des Benützerkreises dienende Ausschluss Auswärtiger von der
Benützung kommunaler Anstalten ist nicht verfassungswidrig (vgl. hiezu
GRISEL, Droit administratif suisse, S. 122 oben; WOLFF, aaO S. 338 oben).

    c) Der Regierungsrat ging davon aus, dass die Gefahr eines
übermässigen Andrangs in Spitzenzeiten bestehe. In der Beschwerdeantwort
bestreitet Dr. Allemann diese Gefahr unter Hinweis auf die liberaleren
Benützungsordnungen anderer Hallenbäder in der Region Zürich; er fügt
jedoch gleich bei, dass der Gefahr eines übermässigen Andranges wie in
andern Gemeinden durch zeitweise Sperre des Bades zu begegnen wäre. Der
Grad der Wahrscheinlichkeit einer zeitweiligen Überschreitung der
Aufnahmekapazität ist für die verfassungsrechtliche Beurteilung von Art. 1
Abs. 1 Satz 1 der Badeordnung letztlich nicht entscheidend. Eine Gemeinde,
die das Risiko der Überfüllung einer kommunalen Anstalt durch die Zulassung
Auswärtiger nicht in Kauf nimmt, sondern zum Schutze der Gemeindeeinwohner
den Benützerkreis von vornherein auf Personen mit engeren Beziehungen zur
Gemeinde (Einwohner und Bürger) beschränkt, trifft auf jeden Fall nicht
eine Unterscheidung, die vor Art. 4 BV nicht haltbar ist, sondern bleibt
mit dieser Benützungsordnung im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen.

    d) Dieser Schluss steht nicht im Widerspruch zum Urteil vom
24. Oktober 1973, in welchem das Bundesgericht wegen Verletzung von Art.
43 Abs. 4 und Art. 60 BV eine kantonale Vorschrift als verfassungswidrig
bezeichnete, die bei der kantonalen Altersbeihilfe für Nichtkantonsbürger
eine längere Karenzfrist vorsieht als für Kantonsbürger (BGE 99 I a
630). In jenem Urteil ging es um das in besondern Verfassungsnormen
statuierte Gebot der Gleichstellung niedergelassener Schweizerbürger
anderer Kantone mit den Kantonsbürgern. Im vorliegenden Fall aber
handelt es sich um die Frage, ob Art. 4 BV die Gemeinden verpflichtet,
bei kommunalen Anstalten ohne Rücksicht auf die Aufnahmekapazität
ortsfremden Interessenten einen gleichen Anspruch auf Anstaltsbenützung
einzuräumen wie Ortsansässigen. Wenn es in vielen Bereichen als stossend
und durch die Entwicklung weitgehend überholt erscheint, innerhalb
der Einwohnerschaft eines Gemeinwesens zwischen Bürgern und andern
niedergelassenen Schweizern zu unterscheiden, so lässt sich daraus gegen
einen durch die Aufnahmekapazität der Institution begründeten Ausschluss
Ortsfremder (Nicht-Einwohner) von der Benützung einer kommunalen Anstalt
nichts ableiten.

    Eine gewisse Parallele besteht hingegen zwischen der Regelung
der Zulassung zur Anstaltsbenützung und der Bewilligung gesteigerten
Gemeingebrauches an öffentlichen Strassen und Plätzen (BGE 99 I a
398ff betr. Taxibewilligungen): Wie die Domizilklausel ein erlaubtes
Mittel zur notwendigen Auswahl unter den Bewerbern um eine der nicht
unbeschränkt möglichen Bewilligungen für gesteigerten Gemeingebrauch
(z.B. Benützung von Taxistandplätzen) sein kann, so bildet auch bei der
Ordnung der Benützung von Anstalten der Gemeinde die Beschränkung auf
ortsansässige Interessenten ein verfassungsrechtlich zulässiges Kriterium
zur sachlich gerechtfertigten Begrenzung des Benützerkreises.