Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 100 IA 28



100 Ia 28

5. Urteil vom 3. April 1974 i.S. Bachofner gegen Rekurskommission des
Obergerichts des Kantons Thurgau. Regeste

    Art. 4 BV; Kostenvorschuss.

    1.  Die Motive der staatsrechtlichen Urteile als verbindliche Weisungen
an den kantonalen Richter (Erw. 2).

    2.  Die Prüfung eines Ausstands- oder Ablehnungsbegehrens darf der
Richter nicht von einer Sicherstellung der diesbezüglichen Kosten abhängig
machen (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Im Forderungsprozess von Peter Mathys, Gartenbau, Maischhausen,
gegen die Beschwerdeführer wurde Gärtnermeister Julius Koch als Experte
bestellt. Nach Eingang der Expertise stellten die Eheleute Bachofner gegen
den Verfasser ein Ablehnungsbegehren und machten geltend, der Experte
sei mit dem Kläger befreundet und stehe zu ihm in einem Abhängigkeits-
und Pflichtverhältnis. Das Ablehnungsbegehren wurde vom Obergericht im
Berufungsverfahren mit der Begründung abgelehnt, der Experte sei auf
seine Pflichten hingewiesen worden.

    Mit Urteil vom 14. November 1973 hob das Bundesgericht dieses Urteil
auf. Es stellte dabei fest, das Obergericht habe pflichtwidrig nicht
geprüft, ob das behauptete Befangenheitsverhältnis bestehe, und damit
den Beschwerdeführern das rechtliche Gehör verweigert.

    B.- Die Rekurskommission des Obergerichts setzte hierauf den
Beschwerdeführern eine Frist zur Bezahlung eines Vorschusses von 200.--,
verbunden mit der Androhung, dass bei Nichtleistung innert der gesetzten
Frist die Befragung des Julius Koch zum Ablehnungsbegehren unterbleibe.

    Mit einem vor Fristablauf gestellten Gesuch beantragten die
Beschwerdeführer eine Fristverlängerung. Das Obergericht wies dieses
Gesuch und gleichzeitig die Berufung gegen das Urteil in Gutheissung der
Forderungsklage ein zweites Mal ab, wiederum ohne materielle Prüfung
der gegen den Experten erhobenen Einwendungen. Es wird dargetan, dass
die Abklärung eventueller Ausstandsgründe nicht von Amtes wegen erfolge,
sondern nur auf Kosten desjenigen, dem nach Art. 8 ZGB die Beweispflicht
zufalle.

    C.- Gegen dieses Urteil haben die Beschwerdeführer erneut
staatsrechtliche Beschwerde eingereicht.

    Die Rekurskommission des Obergerichts beantragt, die Beschwerde
sei abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Im Urteil vom 14. November 1974 wurde ausdrücklich festgehalten,
dass Art. 4 BV der Partei eines Zivil- oder Strafprozesses einen Anspruch
darauf gibt, dass die anwendbaren Vorschriften über die Besetzung der
Gerichte eingehalten werden (BGE 90 I 66 Erw. 2). Ein Gleiches gelte auch
für die Ausstandsvorschriften für Sachverständige, auf deren Gutachten
sich ein Urteil stütze (BGE 97 I 4, 323 mit Hinweisen).

    Das Bundesgericht stellte weiter fest, dass die Eheleute Bachofner
ein Rekusationsbegehren eingereicht haben, welches das Obergericht
nicht geprüft habe. Das Obergericht sei indessen zur ernsthaften Prüfung
verpflichtet, weshalb sein Urteil aufgehoben wurde.

Erwägung 2

    2.- Der Umstand, dass sich das Bundesgericht gemäss der
vorwiegend kassatorischen Funktion der staatsrechtlichen Beschwerde
im Urteilsdispositiv mit der Aufhebung des fehlerhaften Urteils
begnügt, ändert nichts daran, dass die Urteilsmotive zu beachten
sind. Diese enthalten insofern verbindliche Weisungen, als sie
sich auf eine gutzumachende Unterlassung beziehen (GIACOMETTI,
Die Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 245 f; MARTI, Die staatsrechtliche
Beschwerde, S. 145). Die Verbindlichkeit der Motive eines staatsrechtlichen
Urteils für den kantonalen Richter, der nochmals zu urteilen hat,
ergibt sich auch daraus, dass sich das Bundesgericht selbst daran
gebunden erachtet (BGE 92 I 508). Der in den Art. 66 OG und 227ter BStP
niedergelegte Grundsatz, wonach die kantonale Instanz ihrer Entscheidung
die rechtliche Begründung des Bundesgerichts zu Grunde zu legen habe,
gilt auch für das staatsrechtliche Verfahren.

    Die Rekurskommission des Obergerichts hatte demnach der ihr in den
Motiven des Urteils vom 14. November 1974 auferlegten Verpflichtung,
das Ablehnungsbegehren gegen den Experten zu prüfen, nachzukommen und
durfte diese nicht von einer Kautionsleistung der Partei abhängig machen.

    Deshalb ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

Erwägung 3

    3.- Die vom Obergericht vertretene Auffassung, es habe ein
Ausstandsbegehren nicht von Amtes wegen zu prüfen, bzw. die ein
Ausstandsbegehren stellende Partei habe die für die Abklärung
erforderlichen Kosten vorzuschiessen, wäre ohnehin schlechthin
unhaltbar. Der Anspruch der in ein Prozessverfahren einbezogenen
Parteien auf die richtige Zusammensetzung des Gerichts und damit
auch, dass gegenüber den Richtern und Hilfspersonen wie den Experten
keine Ablehnungs- oder Ausstandsgründe vorliegen, ergibt sich sowohl
unmittelbar aus Art. 58 BV wie auch aus Art. 4 BV. Die Umschreibung
und Unterscheidung der Gründe, die einen Ausstand oder eine Ablehnung
rechtfertigen, liegt zwar bei den Kantonen, doch unter Vorbehalt der sich
aus dem Bundesverfassungsrecht unmittelbar ergebenden Grundsätze (BGE 91
I 401, 92 I 271 f). Das thurgauische Prozessrecht (§ 248 ZPO) verweist
hinsichtlich der Eigenschaften, welche ein Experte zu besitzen hat,
ausdrücklich auf die Vorschriften über die Ablehnung von Gerichtspersonen
(§§ 68, 70 und 73 ZPO). Davon, dass die Prüfung eines Ausstands- oder
Ablehnungsbegehrens von einer Sicherstellung der diesbezüglichen Kosten
abhängig gemacht werden könnte, sagt das Gesetz nichts. Eine solche
Vorschrift wäre auch weder mit Art. 4 noch mit Art. 58 BV vereinbar. Zwar
ist es zulässig, die Prüfung von Beweisanträgen von der Sicherstellung
der entsprechenden Kosten abhängig zu machen. Doch kann sich dies nur
auf solche Anträge beziehen, welche den Prozessgegenstand betreffen, und
nicht auf die richtige Besetzung des Gerichts. Der verfassungsmässige
Anspruch darauf, dass nur ein unabhängiger Richter und dieser nur auf
Grund eines Gutachtens eines unabhängigen Experten urteilt, darf durch
nichts geschmälert werden.

Erwägung 4

    4.- Muss die Beschwerde gutgeheissen werden, so erübrigt sich die
Prüfung der Frage, ob die Vorinstanz sich auch der Willkür schuldig gemacht
hat, indem sie die nachgesuchte Verlängerung der Zahlungsfrist ablehnte.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil der Rekurskommission
des Obergerichtes des Kantons Thurgau vom 14. Januar 1974 aufgehoben.